SENDETERMIN Mo., 30.08.21 | 23:50 Uhr | Das Erste

Geschichte im Ersten: Hoyerswerda '91

Eine Stadt, die Gewalt und ihre Aufarbeitung

Ein mosambikanischer Vertragsarbeiter in seinem Wohnheimzimmer, im Hintergrund die eingeworfenen Fensterscheiben.
Ein mosambikanischer Vertragsarbeiter in seinem Wohnheimzimmer, im Hintergrund die eingeworfenen Fensterscheiben. | Bild: MDR / Gerd Fügert

Im September 1991 kommt es scheinbar aus dem Nichts zu einer öffentlichen Hetzjagd in Hoyerswerda. Eine stetig wachsende Menge aus "einfachen Bürgern" und Neonazis belagert eine ganze Woche lang das Wohnheim von DDR-Vertragsarbeitern aus Mosambik und Vietnam und die zentrale Unterkunft für Asylbewerber aus Osteuropa. Die Menge wirft Fensterscheiben ein und lässt Brandsätze explodieren. Vor den Augen der Öffentlichkeit verschanzen sich die Angegriffenen in Todesangst, die Einsatzkräfte der Polizei sind überfordert, die Bilder der applaudierenden Menge gehen um die Welt.

Auftakt zu einer Welle rechter Gewalt

Die Behörden sehen keinen anderen Ausweg, als die Ausländer aus der Stadt zu evakuieren. 32 Menschen werden verletzt, 82 festgenommen, nur vier verurteilt. In rechten Kreisen wird Hoyerswerda im Anschluss an die Ausschreitungen als erste "ausländerfreie" Stadt bezeichnet. Der Begriff "ausländerfrei" wird daraufhin 1991 zum erstmals eingeführten "Unwort des Jahres" gewählt. Es ist eine Zäsur für Deutschland und der Auftakt zu einer Welle rechter Gewalt Anfang der 90er Jahre.

Am zweiten Tag der Ausschreitungen fliegen zunehmend auch Brandsätze gegen das Vertragsarbeiterwohnheim. Die Polizei ist ohne spezielle Schutzausrüstung und kann die Angreifer nur mit Mühe und mit Hilfe der Diensthunde abwehren.
Am zweiten Tag der Ausschreitungen fliegen zunehmend auch Brandsätze gegen das Vertragsarbeiterwohnheim. Die Polizei ist ohne spezielle Schutzausrüstung und kann die Angreifer nur mit Mühe und mit Hilfe der Diensthunde abwehren. | Bild: MDR / Gerd Fügert

Der Film "Hoyerswerda '91 – Eine Stadt, die Gewalt und ihre Aufarbeitung" rekonstruiert zum einen die Chronik der Ereignisse jener sieben Tage im September und ihrer Ursachen. Zum anderen wird er mit dem Blick von heute – 30 Jahre danach – auf den Umgang mit dem Fanal bis in die Jetztzeit eingehen. Von dem Stigma 1991 hat sich Hoyerswerda bis heute nur schwer erholen können, ist seit der Wiedervereinigung ohnehin eine gebeutelte Stadt, deren Bevölkerung von 70.000 auf knapp 30.000 Einwohner geschrumpft ist.

Welche Spuren haben die Ereignisse hinterlassen?

Der Film nimmt drei Generationen von "Hoyerswerdschen" in den Blick und schaut sich an, welche Spuren die Ereignisse des September 1991 in ihrem Leben hinterlassen und was sie selber mit diesem Erbe gemacht haben. Zudem wird der Film verstärkt auch aus der Perspektive der damaligen Opfer erzählen, die in letzten 30 Jahren zumeist unerzählt geblieben ist. Der Film rekonstruiert auch das damalige desaströse Krisenmanagement der sächsischen Behörden vor dem Hintergrund der damaligen Asyldebatte.

Bereits im Frühjahr 1991 waren die Vorboten der sich im Herbst bahnbrechenden Gewaltwelle unverkennbar. Sachsen verzeichnete im Monat Mai allein ein Drittel aller in Deutschland erfassten rechtsextremen Gewalttaten, ohne darauf adäquat zu reagieren. Für den Film erinnern sich verschiedene damals Beteiligte und Zeitzeugen noch einmal an die Wendezeit, die Ausschreitungen 1991 und den Umgang damit in den folgenden Jahrzehnten: Da sind David Macou, der als Vertragsarbeiter zwölf Jahre in der DDR lebte und über Nacht in seine Heimat Mosambik zurückkehren musste. Die Polizisten Jörg Schwirtznik und Rainer Schölzel, die als Streifenpolizist bzw. Hundertschaftsführer der Bereitschaftspolizei vor Ort völlig überfordert waren und sich von Vorgesetzten und der Politik weitgehend im Stich gelassen fühlten.

Grit Lemke, aufgewachsen in Hoyerswerda, vor dem letzten noch vorhandenen Block des damaligen Vertragsarbeiterwohnheims. Sie wohnte in der gleichen Straße, wurde vom Angriff im benachbarten Jugendklub „Der Laden“ völlig überrascht. Über ihre Kindheit und den September 1991 hat sie nun ein Buch geschrieben, das im September erscheint: „Kinder von Hoy“.
Grit Lemke, aufgewachsen in Hoyerswerda, vor dem letzten noch vorhandenen Block des damaligen Vertragsarbeiterwohnheims. | Bild: MDR/SW-Film

Da ist Grit Lemke, Regisseurin und Autorin, aufgewachsen in Hoyerswerda, die die Ausschreitungen hautnah miterlebte und Hoyerswerda schließlich wegen der Dominanz der Rechten verließ. Heute beklagt sie das langanhaltende Schweigen und die fehlende Auseinandersetzung innerhalb der Stadt. Unter anderem kommt auch Gerhard Gundermann in Archivaufnahmen zu Wort, der "singende Baggerfahrer", der die Geschehnisse damals in zahlreichen Fernsehauftritten kommentierte.

Ein Film von Christian Hans Schulz und Nils Werner

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