Wie ein Vater um seinen Sohn kämpft

John Shipton, der Vater von Julian Assange.
John Shipton, der Vater von Julian Assange, kämpft für die Freiheit seines Sohnes. | Bild: NDR

Große Ideen entstehen mitunter am Küchentisch. John Shipton erinnert sich noch gut an jenen Moment, als sein Sohn Julian bei ihm zu Besuch war: "Wir saßen am Küchentisch in meinem Haus in Sydney. Julian sagte: Ich möchte eine Webseite starten, auf der Informanten Dokumente anonym hochladen und so der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen können."

Damals habe sich Shipton gedacht, dass das eine gute Idee sei. Doch die Wucht dieser Idee wird ihm wohl damals nicht klar gewesen sein: Seinen Sohn hat sie ins Gefängnis gebracht und ihn selbst noch einmal ins Rampenlicht. 

Denn John Shipton, 75, ist nun auf einer Mission. Er reist durch Europa, um die Menschen an das Schicksal seines Sohnes zu erinnern. An einem kalten Herbstabend steht der große, hagere Mann mit grauem Haar auf dem Pariser Platz in Berlin. Die Quadriga auf dem Brandenburger Tor ist über ihm zu sehen. An seiner Seite, einige Meter entfernt, weht die amerikanische Flagge der US-Botschaft im Wind. 

Shipton will eine andere Geschichte vom Leben seines Sohnes erzählen

Als er an der Reihe ist, tritt er vor die Gruppe von Friedensaktivisten und Wikileaks-Unterstützern und spricht in seiner leisen, eindringlichen Stimme von seinem Sohn. "Julian ist nun seit neun Jahren eingesperrt", beginnt Shipton leise seine Rede. Er erzählt von seiner letzten Begegnung mit seinem Sohn im Gefängnis in London, einen Tag zuvor. Fast 23 Stunden täglich sei Assange in Einzelhaft in seiner Zelle eingesperrt. "Er steht unter extremem psychologischem Druck", so Shipton. Die Jahre seien nicht spurlos an seinem Sohn vorbei gegangen, mittlerweile zeige er Anzeichen von Folter. 

Als Shipton hier am Brandenburger Tor vom desolaten Zustand seines Sohnes zu sprechen beginnt, werden die Sprechpausen länger, sein Blick ist auf den Boden gerichtet. Noch hat er keine Routine darin, über das Leid seines Sohnes zu sprechen. 

Dabei hat er bereits Mahnwachen in London, in Stockholm, in Dublin, in Hamburg und Köln besucht, um eine andere Geschichte von seinem Sohn zu erzählen, als jene, die zuletzt jahrelang in den Medien vorherrschte. Sanft sei sein Sohn und liebenswert, sagt Shipton. Diese Eigenschaften hätten Menschen immer an der Seite von Julian Assange gehalten. "Seine Überzeugung, für die Wahrheit zu kämpfen, ist ungebrochen."  

So kämpferisch der Ton des Vaters, so düster sind die Aussichten des Sohnes. Seit seiner Festnahme in der ecuadorianischen Botschaft im April 2019 sitzt Julian Assange in Belmarsh, einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis, in Auslieferungshaft. Die amerikanische Regierung will den 48-jährigen Australier in den USA vor Gericht stellen. Auch der Spionage ist er angeklagt. Wird er ausgeliefert, dann drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. 

Den Vorwurf der sexuellen Nötigung spricht er nicht an

Manche Themen haben auf Shiptons Sympathiekampagne keinen Platz. Er spricht nicht vom Vorwurf der sexuellen Nötigung gegen Assange, nicht von dessen angeblich autoritärem Führungsstil bei Wikileaks, nicht von den Clinton-Emails und russischen Hackern, nicht von alten Weggefährten, die sich längst enttäuscht von Assange abgewendet haben. Shipton will wieder an jenen Julian Assange erinnern, wie die Welt ihn einmal wahrgenommen hat, etwa 2010, als Assange mit dem Video "Collateral Murder" US-Kriegsverbrechen enthüllte und über Nacht zur Sensation wurde.

 Shipton ist wie sein Sohn Australier. Er ist seit Jahrzehnten in der Anti-Kriegs-Bewegung aktiv. Assanges Mutter lernte er 1970 bei einem Protest gegen den Vietnamkrieg kennen. Doch die Verbindung hielt nicht. Julian Assange wuchs auf, ohne Kontakt zu Shipton zu haben. Erst als Erwachsener trat er wieder in Shiptons Leben. Einige Gemeinsamkeiten teilen sie dennoch: die Präsenz, die große Statur, auch die ruhige, überlegte Art zu sprechen. 

Shipton besuchte Baschar al-Assad, "Fakten sammeln"

Schon in der Vergangenheit hatte Shipton sich stark gemacht für die Sache seines Sohnes. Als sich Wikileaks in Australien als politische Partei registrieren ließ, war auch Shipton mit von der Partie. Internationales Aufsehen aber erregte er vor allem, als im Jahr 2013 plötzlich Fotos von ihm beim syrischen Machthaber Baschar al-Assad auftauchten. Shipton hatte Assad besucht, als dieser schon weltweit wegen des brutal geführten Krieges in Syrien in der Kritik stand. Selbst Wikileaks distanzierte sich umgehend von der Reise des Assange-Vaters. Er habe nur "Fakten sammeln" wollen, sagt Shipton heute. Getroffen habe er sich in Syrien mit allen Parteien. 

Jetzt ist er wieder in der Sache seines Sohnes unterwegs. Er sitzt im Deutschen Bundestag und hat gerade ein Treffen mit Parlamentariern hinter und eine Pressekonferenz vor sich. "Wenn mein Sohn in die USA ausgeliefert wird, wäre das sein Todesurteil", sagt Shipton. 

Er bittet darum, die Frage nach dem derzeitigen Zustand seines Sohnes nicht beantworten zu müssen. "Es sei denn, Sie wollen einen erwachsenen Mann weinen sehen", fügt er hinzu. Da ist nichts Kokettierendes in seiner Antwort. Dann steht er auf und ist wieder unterwegs, um beim nächsten Termin von seinem Sohn zu erzählen.

Von Antonius Kempmann, NDR

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