Die Entscheidungen aufarbeiten

Reportage von den Dreharbeiten

Michael Brandner
Michael Brandner spielt Hans-Dietrich Genscher. | Bild: ARD / Nicolas Maack

Bei einer Szene aus dem Krisenstab konnten sie erst weiterdrehen, nachdem Genscher am Telefon bestätigt hat, dass er auch in Stress-Situationen niemals geraucht hat. Monatelang hatten Brasse und Huber lange vor den Dreharbeiten immer wieder den Kontakt mit Genscher gesucht. Er, der dann später erklärte, dass dieser Tag in München der schlimmste seines Lebens war, wollte nicht darüber reden. Nicht über die unzureichend trainierte und ausgestattete Polizei, nicht über die Beratungen im Krisenstab. Auch nicht darüber, dass er sich selbst im Austausch als Geisel angeboten hatte und sich vorher noch einmal von seiner Familie am Telefon verabschieden wollte. Aber dann auf einmal war Genscher bereit, alle diese Geschichten zu erzählen. "Das hat uns dann doch gewundert", gibt Huber heute zu.

So offen wie Genscher haben sich auch andere Zeugen dieses Verbrechens geäußert. Einige Meter Prozessakten und die Ergebnisse des Untersuchungsausschusses haben die Autoren gelesen und ausgewertet. Viel Papier, das aber erst zusammen mit den zahlreichen Interviews neue Erkenntnisse geliefert hat. "Zum ersten Mal äußern sich wirklich alle, die entscheidende Rollen an diesem Tag gespielt haben", erklärt Brasse. Bisher war wenig darüber bekannt, wie gut sich deutsche und israelische Sportler aus gemeinsamen Trainingslagern kannten und wie nahe sie sich während der Geiselnahme waren. Heide Rosendahl, zweimalige Olympiasiegerin in München, besuchte ihre israelischen Freunde in deren Notunterkunft, wo sie aus Sicherheitsgründen völlig abgeschottet auf das Ende ihres Alptraums warteten.

Neu ist auch, wie einig sich Sportfunktionäre und Politiker waren, dass nach dem blutigen Ende der Geiselnahme die Spiele weitergehen sollten. "The Games must go on", der berühmte Satz des IOC-Präsidenten Brundage stand intern nie zur Diskussion. Dem Terror nicht nachgeben, war das Gebot der Stunde. Auch Manfred Ommer, der einzige deutsche Olympiateilnehmer, der nach der Geiselnahme abgereist ist, sieht das heute so. Er hatte damals seine Medaillenchance vergeben, als er seine Sachen packte und nach Hause fuhr, weil er nach dem Blutbad von Fürstenfeldbruck nicht mehr unbekümmert an den Start gehen konnte.

Die letzten Vorbereitungen für eine Szene mit Stephan Luca als Polizist Heinz Hohensinn
Die letzten Vorbereitungen für eine Szene mit Stephan Luca als Polizist Heinz Hohensinn. | Bild: ARD

Rosendahls Freundschaft zu den Israelis, Ommers Entschlossenheit, Genschers Mut und das naive Vorgehen der Sicherheitskräfte – viele einzelne Geschichten ergeben in dem Doku-Drama ein ganzes, ein neues Bild. "Das ist bis heute nicht vollständig erzählt. Diese Lücke wollen wir mit dem Film schließen", sagt Dirk Neuhoff, der als NDR-Redakteur dieses Projekt von Anfang an begleitet hat. Der Film soll auch zeigen, dass das Geiseldrama von München den Beginn einer neuen Zeit markiert.

Zum ersten Mal findet ein terroristischer Akt vor den Augen der Weltöffentlichkeit statt. Eine neue Eskalation im immer noch andauernden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern ist erreicht. Deutschland, das sich endlich als freundlich und weltoffen präsentieren will, ist darauf nicht vorbereitet. "Da ist einer sorglosen Gesellschaft zum ersten Mal bewusst geworden, wie leicht sie zu verletzen ist", resümiert Florian Huber. "Das ist ein starker Stoff, der viel über Gesellschaft und Politik der damaligen Zeit erzählt. Deshalb machen wir diesen Film", erklärt Patricia Schlesinger, Leiterin des NDR Programmbereichs Kultur und Dokumentation. Dafür lohnt sich dann doch jedes Detail. Und deswegen hört die Schießerei in Oldenburg auch erst dann auf, als der Panzerwagen zur richtigen Zeit ins Bild gefahren kommt.

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