SENDETERMIN Mi., 21.10.20 | 21:45 Uhr | Das Erste

Gefährliche Nähe: Das Kraftfahrt-Bundesamt und die Autoindustrie

Ein Auto mit geöffneter Motorhaube
Hat ein Fahrzeug Sicherheitsmängel, kann das gefährlich sein. | Bild: Colourbox / Astrid Gast

Inhalt in Kürze:
– Ein Produktfehler bei Fahrzeugen des Herstellers BMW kann zu Bränden führen.
– Reifen der Marke Dunlop Sport Maxx GT reißen während der Fahrt.
– Das Kraftfahrt-Bundesamt – als die für die Produktsicherheit zuständige Behörde – verlässt sich auf Untersuchungen der Hersteller.

Murat Tiryaki und seine Familie kommen von Freunden, sind müde, wollen nur noch nach Hause. Doch dann verliert der Motor ihres BMW X5 Diesel plötzlich an Leistung, der Motor geht aus. Bei Horneburg (Niedersachsen) rollt Murat Tiryaki von der Autobahn 26, ruft den ADAC. Während die Familie auf die Pannenhelfer wartet, fängt es im Innenraum auf einmal an zu qualmen. Statt der Gelben Engel rufen die Tiryakis nun die Feuerwehr und müssen mit ansehen, wie das Familienauto in wenigen Minuten komplett abbrennt. Ein Gutachten für die Versicherung belegt, dass ein Defekt am Abgasrückführungsmodul den Brand ausgelöst hat.

Brandgefahr bei einer halben Million BMW

Aus diesem Grund ruft BMW 500.499 Modelle nahezu aller Baureihen (1er, 2er, 3er, 4er, 5er, 6er, 7er, X1, X3, X4, X5, X6) zurück in die Werkstätten. BMW erklärt dazu: "Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass es bei einigen Dieselfahrzeugen zu einer Undichtigkeit im Abgasrückführungskühler kommen kann. Diese Undichtigkeit kann in sehr seltenen Fällen zu einem Austritt von Glykol-Kühlflüssigkeit führen. In Kombination mit typischen Ruß-Ablagerungen sowie unter den üblicherweise hohen Temperaturen im AGR-Modul können glühende Partikel entstehen." In sehr seltenen Fällen komme es dabei zu Anschmelzungen im Ansaugkrümmer, die "im Extremfall einen Brand auslösen können", so BMW. In den meisten Fällen entstehe aber kein Brand, sondern lediglich eine "lokale Verschmorung".

Laut Hersteller waren bisher rund 80 Prozent aller betroffenen Autos in den Werkstätten, einige davon sogar mehrfach. BMW erklärt dazu: "Wir beobachten die Feldsituation weiter intensiv und passen unsere Maßnahmen gegebenenfalls entsprechend an. Deshalb kann es durchaus vorkommen, dass ein Kunde erneut gebeten wird, sein Fahrzeug zur Überprüfung in die Werkstatt zu bringen."

 Kraftfahrt-Bundesamt überwacht den Rückruf nicht

Trotz Brandgefahr entscheidet der Hersteller ganz alleine darüber, wie der Rückruf abgewickelt wird. Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) als für die Produktsicherheit zuständige Behörde, vertraut dabei auf BMW, überwacht dessen Maßnahmen nicht einmal. "Das KBA überwacht Rückrufe in den Fällen, in denen der Mangel plötzlich und unvermittelt auftritt und dieser in der Folge eine Gefahr für Fahrzeuginsassen und andere Verkehrsbeteiligte darstellt, auf die der Fahrzeugführer keinen Einfluss hat", teilt das Flensburger Amt "Plusminus" schriftlich mit. Im vorliegenden Fall aber werde der Mangel bemerkt und das Fahrzeug könne abgestellt werden. Gleichwohl finde fortlaufend "eine Auswertung auftretender Fälle im Feld statt, so dass bei einer Veränderung der Sachlage umgehend Anordnungen erfolgen könnten."

 "Absolut unverantwortlich": Kritik am Vorgehen der Behörde

Kritik am Vorgehen der Behörde kommt vom grünen Bundestagsabgeordneten Oliver Krischer, der das Verfahren unvertretbar findet: "Das muss man sich mal vorstellen: Da brennen bei BMW Motoren ab, und man überlässt es allein dem Hersteller, diese Frage zu lösen. Ich finde das absolut unverantwortlich, dass das Kraftfahrt-Bundesamt hier nicht selber aktiv wird und als Behörde diesen Rückruf auch überwacht."

Für den Berliner Rechtsanwalt Prof. Remo Klinger ist diese Praxis des KBA schlicht rechtswidrig – und gefährlich für die Verantwortlichen in der Flensburger Behörde: "Wenn dann etwas passiert, ist ein strafrechtliches Handeln durch Unterlassen, weil man nichts getan hat, relativ naheliegend", so der Jurist.

Geplatzte Reifen: KBA verlässt sich auf Hersteller Dunlop

Ingo Vetter aus Karben bei Frankfurt hat das Kraftfahrt-Bundesamt angeschrieben, nachdem an seinem Fahrzeug auf der Autobahn zwei Reifen gerissen waren. Zum Glück nur bei Tempo 80, so dass er sich auf einen Rasthof retten konnte. "Wenn man mal 160 fährt, fliegt Ihnen das um die Ohren. Irgendwann löst sich der ganze Stahlgürtel, und ich weiß nicht, ob Sie das Fahrzeug dann noch beherrschen können", sagt der Ingenieur.

Das KBA reagiert zwar zunächst, prüft die Gefahr aber nicht selbst, sondern verlässt sich auf Reifenhersteller Dunlop. "Bei der Untersuchung durch die Goodyear Dunlop Tires Germany GmbH konnten neben einer Reparaturstelle Verfärbungen festgestellt werden, die auf eine Nutzung mit nicht angepasstem Luftdruck hinweisen. Aufgrund des Schadensbildes konnte nicht auf einen Serienmangel geschlossen werden", teilt die KBA-Pressestelle mit. Die Antwort des Herstellers fällt ähnlich aus: "Bei der Untersuchung wurden mehrere potenzielle Ursachen für den Zustand des Reifens festgestellt, darunter Hinweise auf zu niedrigen Luftdruck und eine frühere Reparaturstelle." Hinweise auf einen Material- oder Herstellungsfehler des Reifens gebe es nicht.

 "Der Bock wird zum Gärtner gemacht"

Ingo Vetter bestreitet, mit zu niedrigem Luftdruck gefahren zu sein. "Meine Reifendrucksensoren haben mir nie zu wenig Druck angezeigt." Zudem sei nur ein Reifen repariert worden – gerissen wären aber zwei. Im Internet findet Vetter sogar ein Schreiben des Herstellers Jaguar, das zum Austausch ganz ähnlicher Reifen rät. Dass der Hersteller sein Produkt selber prüfen dürfe und das KBA sich auf dessen Angaben verlasse, findet Ingo Vetter problematisch: "Da macht man den Bock zum Gärtner."

Reformen beim KBA nach Diesel-Abgasskandal

Nach dem Diesel-Abgasskandal gab es zunächst Reformen beim KBA. So verfügt die Behörde jetzt über vier Messgeräte, mit denen die Emissionen während der Fahrt gemessen werden können. Zudem gebe es auf dem früheren Bundeswehr-Flugplatz in Leck (Schleswig-Holstein) ein eigenes Testgelände. Ein Prüflabor mit zwei Rollenprüfständen zur Abgasmessung soll Ende des Jahres den Betrieb aufnehmen.

Beim Bundesverkehrsministerium heißt es, das ihm unterstellte KBA sei nach dem Dieselskandal transparenter geworden. So habe es Veröffentlichungen von Berichten auf der KBA-Webseite gegeben, sowohl von den Berichten der Untersuchungskommission "Volkswagen" als auch dem Ergebnisbericht zur Untersuchung der Wirksamkeit von Software-Updates zur Reduzierung von Stickoxiden bei Dieselmotoren. Darüber hinaus würden eine Übersicht der betroffenen Autos, die sich auf Grund von unzulässigen Abschalteinrichtungen in einem Rückruf befinden, sowie Prüfberichte und Modaldaten der durchgeführten Untersuchungen bereitgestellt. Auch gebe es seit zwei Jahren einen Beirat, in dem unter anderem Umwelt-, Verbraucherschutz und Verkehrsverbände vertreten seien.

Veränderungen gehen Verbraucherschützern nicht weit genug

Eine Hand steckt einen Schlüssel in das Schloss eines Autos.
Verbraucherschützer fordern weitere Reformen beim Kraftfahrt-Bundesamt. | Bild: Colourbox

Vielen reicht das jedoch nicht aus. Besonders der Verbraucherbeirat stößt auf Kritik. "Die treffen sich zweimal im Jahr. Das ist eine Kaffeeklatsch-Runde, da hat der Verbraucher keinen Mehrwert", erklärt Katharina Willkomm, Verbraucherschutz-Expertin der FDP im Bundestag. Das Kraftfahrt-Bundesamt solle seine originären Aufgaben korrekt ausführen, so Willkomm: "Und dann schauen, dass die Produkte, bevor sie auf den Markt kommen, sicher sind." Oliver Krischer von den Grünen kritisiert, dass zwischen Autoindustrie und Kraftfahrt-Bundesamt trotz der Reformen noch lange keine "Waffengleichheit herrscht".

Für Klaus Müller ist das auch nur dann möglich, wenn das Kraftfahrtbundesamt ausreichend budgetiert werde: "Man kann vom Kraftfahrt-Bundesamt nur dann erwarten, dass es wirklich unabhängig und kritisch prüft, wenn es mit den technischen, finanziellen und personellen Ausstattung versehen ist", sagt der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen in Berlin. "Dass ist ein wenig besser geworden, aber im Bundeshaushalt 2021, der jetzt gerade beraten wird, sehen wir hier viel zu wenig."

Die USA als Vorbild in Sachen Verbraucherschutz

Auch in den USA gibt es so etwas wie ein Kraftfahrt-Bundesamt – die National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) in Washington. Die Behörde veröffentlicht den Wortlaut von Verbraucherbeschwerden und listet für jedes Fahrzeug auf, ob und welche Probleme es gegeben hat. Verbraucherschützer Klaus Müller findet das vorbildlich: "Die amerikanischen Aufsichtsbehörden, egal ob im Automobilbereich, im Finanzmarkt, im Arzneimittelbereich, sind deutlich besser aufgestellt. Da kann das Kraftfahrt-Bundesamt noch eine Menge von lernen."

Laut Bundesverkehrsministerium wird das KBA seine Website bald überarbeiten. Danach sollen Verbraucher wie in den USA anhand der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) online abfragen können, ob das eigene Auto von einem Rückruf betroffen ist. Darüber hinaus werde es erweiterte Such- und Statistikfunktionen geben.

Bericht: Claudius Maintz
Kamera: John Patrick Classen, Martin Warren, Anja Kropp
Schnitt: Stephan Sautter

Stand: 21.10.2020 22:07 Uhr

Sendetermin

Mi., 21.10.20 | 21:45 Uhr
Das Erste

Produktion

Norddeutscher Rundfunk
für
DasErste