Sa., 16.11.19 | 16:00 Uhr
Das Erste
Wie kann Straßenverkehr leiser werden?
Wer in der Stadt die Ohren spitzt, merkt schnell, dass nicht alle Geräusche unangenehm sind: knarzender Kiesboden etwa, sich unterhaltende Menschen im Straßencafé, Glockengeläut. Warum also nicht diese eher positiven Geräusche nutzen, um den Klang der Stadt insgesamt angenehmer zu gestalten?
Hörspaziergang in der City
Stadtplanerin Laura Gerstlauer hat sich mit diesem Thema in ihrer Abschlussarbeit an der Hochschule für Technik in Stuttgart beschäftigt. Gemeinsam mit dem Akustiker Andreas Drechsler veranstaltete sie Hörspaziergänge auf dem Bismarckplatz – sogenannte "Soundwalks". Mehrere Gruppen mit etwa zehn Menschen lauschten den Klängen der Stadt an jeweils fünf Orten – jeweils zwei Minuten lang. Danach füllten sie einen Fragebogen aus.

Die Ergebnisse waren überraschend: Orte, an denen die Messung einen höheren Schallpegel ergab, wurden teilweise als angenehmer empfunden als andere, leisere. Auf dem Kirchplatz beispielsweise war es zwar insgesamt leiser als vor dem Straßencafé. Doch am Kirchplatz hörten die Probanden ausschließlich Straßenverkehrslärm, während sie am Café zusätzlich spielende Kinder und sprechende Menschen hörten. Der Effekt: Die menschlichen Geräusche überdeckten die Geräusche des Straßenverkehrs, erklärt Laura Gerstlauer. Forschungsergebnisse aus der Psychoakustik bestätigen, dass der Mensch natürliche Klänge angenehmer empfindet als technische Geräusche, selbst wenn diese leiser sind.
Tuning für den Klang der Stadt

Gefühlte Lärmreduktion durch Psychoakustik – Laura Gerstlauer hat ihre Ergebnisse in einen Entwurf für die Gestaltung des Stuttgarter Bismarckplatzes zusammengefasst: Vor der Kirche soll einen Brunnen platziert werden, der mit seinem Plätschern einen deutlich wahrnehmbaren Klangraum im Nahbereich schafft, Straßengeräusche schluckt und intime Unterhaltungen möglich macht. Hecken sollen Vögel anlocken. Raue, weiche und poröse Bodenbeläge sind akustisch vielfältig und könnten für einen weichen Klang sorgen, weil sie den Schall streuen und absorbieren. Ähnliche Maßnahmen gibt es anderswo bereits, zum Beispiel am MFO-Park in Zürich. Hier dämmt eine vertikale Bepflanzung die Geräusche. Die Straßenbahnhaltestelle Limmatplatz besteht aus Stahl- und Glaszylindern, mit abgerundeten Oberflächen, die den tieffrequenten Schall der Straßen absorbieren. Auf dem Nauener Platz in Berlin wurden Sitzmöglichkeiten geschaffen, die den Lärm abschirmen, und über Lautsprecher werden Naturgeräusche abgespielt.
Laute Straßen leiser machen

Viele Städte setzen jedoch in erster Linie auf eine technische, messbare Lärmreduzierung. Christian Popp beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Lärm in Städten. Der Ingenieur hat Bücher geschrieben, berät Städte und die Europäische Kommission bei Fragen zum Lärmschutz. Laut Popp ist der Straßenbelag einer der wichtigsten Faktoren bei der Lärmentwicklung, denn sobald ein Auto mehr als 30 km/h fährt, hört man praktisch nur noch die Abrollgeräusche und nicht mehr den Motor. Deswegen sollte aus seiner Sicht mehr Flüsterasphalt in den Städten verbaut werden, weil das Abrollgeräusch damit weniger aggressiv ist. Weitere Maßnahmen: Tempo 30 und intelligente Ampelschaltungen mit vielen grünen Wellen. Sie könnten unnötiges Abbremsen und Gas geben verhindern und damit den Lärm spürbar reduzieren.
Passiver Lärmschutz

Eine weitere Möglichkeit, Lärm vor allem in Innenhöfen und Wohnungen zu reduzieren, ist passiver Lärmschutz. Gerd Steger ist Gutachter für Lärmschutz und hat die Stadt München beim Umbau der Häuser am Mittleren Ring beraten – eine der am stärksten befahrenen Straßen der Stadt. Früher, als die Lärmbelastung noch nicht so hoch war, wurden hier Häuser gebaut, deren Innenhöfe zur Straße hin offen sind. So konnte nicht nur die Luft zirkulieren, sondern leider auch zunehmend der Straßenlärm. Deswegen wurden die Häuser vor einiger Zeit mit einem Querbau verbunden und der offene Zugang zum Innenhof geschlossen. "Bewohnte Lärmschutzwand" nennt Steger die Querbauten scherzhaft. Seither herrscht in den Innenhöfen eine angenehme Wohnatmosphäre mit Spielplätzen und Sitzbänken. 20 Dezibel weniger sind es jetzt – nur noch ein Viertel so laut wie direkt an der Straße. Allerdings profitieren die unteren Stockwerke am meisten vom Lärmschutz. Je höher man kommt, desto geringer ist der Effekt.
Autorin: Sonja Legisa (SWR)
Stand: 15.11.2019 16:47 Uhr