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Weniger Autos, weniger Jobs?

Wissenschaftlerinnen an Schaubildern
Der Strukturwandel in Zahlen: Forschung am Fraunhofer ISI in Karlsruhe. | Bild: WDR

Die Zeichen stehen auf Wandel: In Zukunft sollen weniger und vor allem andere Autos über die deutschen Straßen rollen. Doch was für mehr Lebensqualität in den Städten und für eine Abschwächung der Klimaerwärmung sorgen soll, wird sich auf die Jobs auswirken. Noch ist die Automobilindustrie mit knapp 900.000 Direkt-Beschäftigten ein wichtiges Zugpferd der deutschen Wirtschaft. Ein grundlegender Wandel der Mobilität setzt den gesamten Wirtschaftszweig unter Druck, schon jetzt.

Nach den Forschungen des renommierten Fraunhofer Instituts für Innovations- und Systemforschung (ISI), sind verschiedene Szenarien für den Verlauf des anstehenden Strukturwandels in der Mobilitätswirtschaft vorstellbar. Doch selbst im Szenario mit dem geringsten Anteil an motorisiertem Individualverkehr, also an privaten PKW, muss es aus Sicht der ForscherInnen unterm Strich nicht zwangsläufig zu massiven Arbeitsplatzverlusten kommen. Ein Teil wird erhalten bleiben, ein anderer Teil wird durch künftig wachsende Sektoren aufgefangen. Aber: Wenn Elektrifizierung und weniger Individualmobilität nicht für große Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt sorgen sollen, wird ein vorausschauendes Management dieses Strukturwandels notwendig sein.

Ohne die Schiene geht es nicht

Das autoärmste Szenario des Fraunhofer ISI beinhaltet Schlüsselemente für den Personenfernverkehr:

  • Ausbau des Kern-Bahnnetzes zu einem 30-minütigen ICE-Takt
  • zuverlässige IC-Anbindungen aller Klein-und Mittelstädte
  • die Wiederaufnahme des Nachtzugnetzes
  • weiterer, günstiger Alternativverbindungen zum Hochgeschwindigkeitsverkehr
  • gleichzeitig ein konsequenter Ausbau des Umweltverbundes (ÖPNV, Fuß-und Radverkehr)
  • eine starke Verbreitung und Diversifizierung von Car-Sharing
  • weitere Maßnahmen, die den Besitz eines privaten PKW verzichtbar machen.

Unter Berücksichtigung aller Faktoren rollen innerhalb dieses Szenarios bis 2035 etwa 40 Prozent weniger Autos über Straßen und Autobahnen.  Die Auswirkungen auf die Autohersteller halten sich dabei auf den ersten Blick in Grenzen: Sie und ihre Zulieferer könnten dabei etwa 80.000 Stellen verlieren. Den Auto-Handel könnte es mit dem Abbau von mehr als 100.000 Stellen härter treffen und Werkstätten könnten sogar mit einem Verlust von fast 150.000 Stellen betroffen sein. Grund dafür sind geringere Verkaufszahlen und ein geringerer Wartungsaufwand bei batteriebetriebenen Fahrzeugen.

In der Summe verkraftbar

Schaubild zeigt Stellenabbau in der Automobilindustrie
In der Automobilindustrie könnten viele Stellen verlorengehen. | Bild: WDR

Diese Verluste können teilweise vom Wachstum neuer Segmente in der Automobilwirtschaft aufgefangen werden. In der E-Autoproduktion, etwa bei der Herstellung von Batterien oder dem elektrifizierten Antriebsstrang, könnten dem Szenario zufolge etwa 30.000 neue Stellen entstehen. Mit dem Rückgang der privaten Motorisierung geht außerdem ein starkes Wachstum von Car-Sharing und teilautomatisierten Taxi-Dienstleistungen einher. Für den gesamten Bereich prognostiziert das Szenario ein Potential von 200.000 neuen Stellen.

Dem Güterverkehr werden insgesamt Wachstumsraten von bis zu 35% vorhergesagt. Trotzdem könnte es nach den Berechnungen des ISI auch dort zu einem starken Stellenrückgang kommen, weil Digitalisierung und Automatisierung im Güterverkehr schneller Einzug halten als im Personenverkehr: Bis 2035 könnten hier mehr als 350.000 Stellen wegfallen.

Die gute Nachricht: Der Mobilitätsumbau gelingt nur, wenn die Schienen-Infrastruktur und gleichzeitig der gesamte ÖPNV ausgebaut wird. Im Schienenbau, Eisenbahnfernverkehr und Öffentlichen Nahverkehr könnten demnach insgesamt 220.000 Stellen neu entstehen.

Unter Berücksichtigung weiterer Effekte könnten in der Summe innerhalb des Szenerios bis zu 750.000 Stellen entstehen. Das sind fast so viele, wie wegfallen: 770.000. Doch nach wie einem Nullsummenspiel aussieht, ist in Wirklichkeit nicht ganz so rosig. Denn wer in einer schrumpfenden Branche seinen Arbeitsplatz verliert, findet nicht zwangsläufig direkt in einer Wachstumsbranche wieder eine neue, adäquate Beschäftigung. Und es wird zu großen regionalen Unterschieden kommen. In ausgewiesenen Autoindustrie-Regionen wird sich der Wandel stärker auswirken als anderswo. Es wird also Gewinner und Verlierer geben.

Den Wandel aktiv gestalten

Schaubild zu Stellenverlusten und Zuwächsen
Es entstehen fast so viele neue Stellen, wie alte wegfallen. | Bild: WDR

Umso wichtiger ist es aus Sicht der ForscherInnen, dass der Wandel innerhalb der Gesellschaft aktiv betrieben und begleitet wird. Ob Unternehmen gut durch den Umbau kommen hängt davon ab, ob sie ihr Produkt- und Dienstleistungsportfolio entsprechend anpassen und neue Geschäftsmodelle entwickeln, oder ob sie diesen Prozess verpassen und vom Markt verschwinden.

Die Politik muss dazu die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen: Ausbau der digitalen Infrastruktur und der erneuerbaren Energien, um die Grundlagen für eine klimaschonende Mobilitätswirtschaft in Deutschland zu schaffen.

Gleichzeitig wird entscheidend sein, Schlüsseltechnologien wie die Produktion von E-Antrieben und Batterien mit Förderprogrammen weitgehend in Deutschland und Europa zu halten - und durch entsprechende Ausbildungsprogramme für das nötige Knowhow zu sorgen.

Aufgaben, die nach Meinung der ForscherInnen vom ISI Karlsruhe sofort und aktiv in Angriff genommen werden müssen, damit wir den Wandel selbst gestalten und er unserer Gesellschaft eine Perspektive bieten kann.

Autor: Niels Waibel (SWR)

Stand: 10.10.2020 17:38 Uhr

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