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Dämmung 2.0 – Maßgeschneidertes Energiespar-Gewand für alte Häuser

Zwei Wohnblocks aus der Vogelperspektive.
Baugleiche Mehrfamilienhäuser vor und nach der energetischen Sanierung.  | Bild: NDR

Schicke Holzfassade, Metalldach, Photovoltaikanlage – man sieht den Gebäuden ihr Facelifting an. Aber nicht mehr, was das Besondere an ihnen ist: Die drei Häuser im Hamelner Wohngebiet "Kuckuck" sind die ersten Gebäude Deutschland, die mit seriell vorgefertigten Dach- und Fassadenelementen gedämmt wurden.

Vor der Sanierung kroch die Kälte durch die Außenwände, pfiff der Wind durch Fenster und Dach. Die Energieeffizienz solcher Gebäude, besonders aus den 1950-er bis 1970er-Jahren ist oft schlecht. Sie verbrauchen bis zu dreimal so viel Energie wie moderne Neubauten. Und belasten damit Klima und Portemonnaies der Bewohner gleichermaßen

Dämmung auf die herkömmliche Weise bauphysikalisch kompliziert

Eine energetische Sanierung ist sinnvoll, aber bauphysikalisch kompliziert und (auch für die Mieter) teuer. Bei der herkömmlichen Methode wird die Dämmschicht – meist Styropor- oder Mineralwollplatten – vor Ort aus vielen Einzelteilen zusammengesetzt und auf das Mauerwerk geklebt. Dafür braucht es viel Know How, Fehler können gravierende Folgen für Gebäudesubstanz und Wohnklima haben. Und am Ende (ver)deckt ein schicker Putz etwaige Bausünden. Eine Qualitätskontrolle nach Fertigstellung ist kaum möglich.

Oder zum "Energiesprong" ansetzen

Fassadenelemente vor einer Hausfassade an einem Kran.
Fassadenelemente werden am Altbau "eingehängt". | Bild: NDR

Sanne de Wit gründete 2013 mit befreundeten Architekten und Kaufleuten in den Niederlanden die Initiative "Energiesprong": "Wir sprachen mit großen Wohnungseigentümern und Baufirmen über ein Sanierungskonzept, dass das ganze Haus betrachtet und bei dem alle Beteiligten zufrieden sein können", erinnert sich de Witt.

Die Idee: Seriell vorgefertigte Fassadenteile und Dächer werden, ähnlich wie beim Fertighausbau, vor und auf die alte Gebäudehülle gesetzt. Ein modernes Heizungssystem und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ergänzen die energetische Sanierung von Dach und Wänden. Durch das Sanieren in Serie soll es schneller und günstiger gehen. Die Mieter können während der Bauarbeiten in ihren Wohnungen bleiben.

Energetische Sanierung ganz neu denken

Die Idee machte schnell international die Runde: In den USA, Großbritannien, Italien und Frankreich dämmen erste Wohnungsunternehmen bereits nach diesem Prinzip. In den Niederlanden sanierten Baufirmen bis jetzt 5.500 Gebäude, zumeist Reihenhäuser. Die Bauarbeiten vor Ort dauern – wenn alles klappt – nur einige Tage.

Auch die Finanzierung der Baukosten geht neue Wege: "Ein wichtiger Punkt in Holland war, dass die Mieter nach der Sanierung nicht mehr zahlen sollten als vorher. Durch eine Gesetzesänderung wurde es möglich, dass der Vermieter nun die gesamte Warmmiete kassiert. Die Energiekosten, die er durch den Einbau der Dämmung einspart und das Geld, das er am Solarstrom vom Dach verdient, kann er behalten und ins Gebäude investieren", sagt de Witt.

Serielles Dämmen – wie geht das?

Zunächst wird das Gebäude mit einem Laserscanner dreidimensional vermessen. Fenster, Türen, Erker, Dachrinnen – jedes Detail wird erfasst. Es entsteht ein digitaler Zwilling des Gebäudes, ein millimetergenaues Abbild, an dem alle Messungen vorgenommen werden können. Architekten und die Gewerke können darauf aufbauend ihre Planungen machen.

Nach solchen Plänen baute eine Brandenburger Firma für das Hamelner Sanierungsobjekt die Fassadenelemente aus Lärchenholz. Fenster, Türen, Dämmung, selbst Lüftungsanlagen – alles wurde am Band gleich eingebaut. Per Lkw kamen die fertigen Fassadenelemente dann zur Baustelle. Am Gebäude kann die neue Außenhülle oft direkt an die alte Hauswand gehängt werden. Falls das aus kontruktiven oder baustatischen Gründen nicht möglich ist, dann wird die neue Hülle auf einen eigenen Sockel gesetzt.

Einfach, schnell... aber auch gut?

3D-Laserscanner vor einem Wohnblock.
Mit einem 3D-Laserscanner werden die Gebäude exakt vermessen. | Bild: NDR

"Wir können die Qualität der Bauarbeiten vor Ort kontrollieren. Das ist ein Standardprodukt und ein standardisierter Prozess, der weitgehend digital ist", so Uwe Bigalke von der Deutschen Energie-Agentur (DENA). Im Auftrag der Bundesregierung unterstützt die DENA die Umsetzung der Energiesprong Idee in Deutschland, bringt Wohnungsunternehmen und Baufirmen zusammen. Das Marktpotenzial ist beachtlich: "Wir glauben, dass das Prinzip allein im Mehrfamilienhausbereich für 300.000 Gebäude in Deutschland aus den 50er- und 60er-Jahren umsetzbar wäre."

Dämmung: Theorie und Praxis

Beim Pilotprojekt in Hameln ging natürlich nicht alles glatt. Manche Bauteile mussten vor Ort angepasst werden, auch waren Handwerker zunächst skeptisch und mussten erst von der Idee überzeugt werden. Die Bauzeit verlängerte sich, dennoch zieht der Bauherr eine positive Bilanz. Dank der Photovoltaikanlage erfüllen die gedämmten Gebäude nun den Nullenergie-Standard. Sie erzeugen über das Jahr also genauso viel Energie wie sie verbrauchen. Der Solar-Strom vom Dach kann ins Netz eingespeist werden oder treibt die Wärmepumpe im Keller an. Die ist zwar energieeffizienter als die alte Ölheizung. Doch ganz ohne Fördergelder rechnen sich die Investitionen dann doch nicht.

Architekt Florian Schrage managt die Bauarbeiten im Hamelner Viertel Kuckuck: "Dank Förderung können wir hier warmmietenneutral sanieren. In Zukunft wird es so sein, dass man noch auf Jahre Förderung brauchen wird, aber das Konzept gibt es her, dass es dauerhaft kostengünstiger wird und sie trotzdem einen hohen Wohnkomfort realisieren können."

"Fertig-Dämmung": Wenn es klappt, dann profitieren alle

Wohnkomfort zu stabilen Preisen für die Mieter, Wertzuwachs und Zusatz-Einnahmen für die Vermieter und weniger Emissionen für die Umwelt. Weitere Sanierungsprojekte nach dem Energiesprong-Konzept sind im kommenden Jahr in Bochum, Köln und Hannover geplant.

In Deutschland könnte die "Fertig-Dämmung" dabei helfen, den Sanierungsstau aufzulösen. Denn die Bundesregierung hat das Ziel, bis 2050 den Kohlendioxid Ausstoß von Gebäuden auf nahezu Null zu drücken. Um das zu schaffen müssten pro Jahr etwa 1,5 Prozent der 18 Millionen Gebäude in Deutschland zu Nullenergie-Häusern umgebaut werden. Das wären rund 360.000 Wohngebäude pro Jahr. Zurzeit sind es weniger als die Hälfte, die jedes Jahr überhaupt energetisch saniert werden. Das macht volkswirtschaftlich langfristig Sinn: Ein bis 2050 klimaneutraler Gebäudebestand in Deutschland würde rund 40 Milliarden Euro an Energiekosten einsparen – pro Jahr.

Autor: Georg Beinlich (NDR)

Stand: 14.11.2020 15:20 Uhr

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