Sa., 20.06.20 | 16:00 Uhr
Das Erste
Ernährungspsychologie: Der Kopf isst mit!
Gelegenheit macht Diebe: Egal wie sehr man sich vorgenommen hat, gesund zu essen – spätestens auf der Party kommt man an der Chips-Schüssel nicht vorbei. Der Anlass, die Stimmung, die anderen, die in die Schüssel langen – all das macht gute Vorsätze gut und gern vergessen. Denn wenn es ums Essen geht, lassen wir uns von unserem sozialen Umfeld ganz schön leicht beeinflussen. Unsere Mitesser zum Beispiel bestimmen, wie viel wir essen: Sitzt jemand Schlankes neben uns, der viel isst, langen auch wir besonders gern zu. Scheint ja nicht zu schaden! Sitzen wir aber neben jemandem mit Übergewicht, der viel isst, hat das eher eine abschreckende Wirkung. Am "gesündesten" wirken schlanke Mitesser auf uns, die kleine bis normale Portionen essen.
Zwei Forscherinnen wollten wissen, ob der Effekt ähnlich wirkt, wenn keine Person mit uns isst, wir uns aber trotzdem unter Beobachtung fühlen. Ihre Probanden durften auf einer Speisekarte zwischen einem Hamburger oder einem Salat wählen. Auf der Hälfte der Speisekarten war ein Logo für "Universitäre Forschung" mit einem Augensymbol abgebildet – bei der anderen Hälfte nur das Logo ohne Augen. Das Ergebnis: Wer die Karte mit Augenpaar hatte, wählte eher den Salat.
Reizüberflutet
Auch Gefühle spielen eine Rolle beim Essen. Negative Emotionen kompensieren wir gern mit fettigem Essen, oder wir belohnen uns gern mit unserer Leibspeise. Besonders schmackhaftes aktiviert das Belohnungszentrum im Gehirn. Die entsprechenden Hirnareale unterscheiden sich aber bei Übergewichtigen von denen Normalgewichtiger. Das Weiterleiten von Reizen durch den Botenstoff Dopamin funktioniert im Gehirn Übergewichtiger weniger gut. Es dockt weniger Dopamin an den entsprechenden Rezeptoren an. Inzwischen konnten Forscher zeigen: Übergewichtige Menschen brauchen nachweislich mehr Reize – sprich: Essen – als Normalgewichtige, um die gleiche Befriedigung zu spüren. Das legt nahe, warum Übergewichtige häufiger nach der "Belohnung" suchen, also öfter und mehr essen.
Karotte oder Schokokuchen?
Wer dagegen von sich aus am liebsten Gesundes ist, profitiert auch stärker davon. Wer nämlich gezwungen wird, statt etwas Süßem etwas Gesundes zu essen, hat danach schneller wieder Hunger als der, der sich freiwillig dazu entschieden hat. Wer hingegen das Süße verordnet bekommt, hat weniger Schuldgefühle, ist leistungsfähiger, kreativer und besser konzentriert als der, der aus freien Stücken gesündigt hat. Das fanden Wissenschaftler der Hong Kong University of Science and Technology heraus. Sie verteilten entsprechende Gutscheine an ihre Probanden, die sie gegen eine Karotte oder ein Stück Schokokuchen eintauschen konnten.
Aber Vorsicht an die Karotten-Esser: Wer zum Beispiel mittags zum Salat gegriffen hat, der hat abends ein erhöhtes Rückfall-Risiko. Lizenzierungseffekt nennen das Psychologen – die Annahme, dass auf positive Verhaltensweisen negative folgen werden. Man hat seine moralische Schuldigkeit getan. Das bezieht sich nicht nur aufs Essen, zeigt sich hier aber besonders gut. Manch einer nennt das auch Jo-Jo-Effekt. Wenn es ums Essen geht, sind wir eben ganz schön leicht manipulierbar…
Autorin: Sophie König (SWR)
Stand: 20.06.2020 16:49 Uhr