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Aufrechter Gang: sensationeller Fossilienfund in Süddeutschland

Paläontologin Madelaine Böhme hält eine gefudene Elle an ihren Unterarm.
In einer Tongrube findet das Team um die Paläontologin Madelaine Böhme seit Jahren interessante Fossilien.  | Bild: BR

Europa könnte eine entscheidende Rolle in der frühen Entwicklung des Menschen gespielt haben. Im Süden Deutschlands entdeckten die Paläontologin Madelaine Böhme und ihr Team zahlreiche Fossilien einer bislang unbekannten Ur-Menschenaffenart. In einer Tongrube im Alpenvorland in Süddeutschland graben die WissenschaftlerInnen seit 2011 Fossilien aus. Jeden Tag stoßen sie dabei auf Knochen, auch die der neu entdeckten Menschenaffenart. Der Ton hat sogar Teile des Körperskeletts konserviert – ein Glücksfall, denn anhand kompletter Knochen lässt sich viel über die Bewegungsapparate und über die Lebensweise dieser Vormenschen sagen.

Paläontologische Forschung: aus Knochen lesen

Fossilien und Repliken eines Skelettes liegen auf einem Tisch.
Fossilien und Repliken eines Skelettes von Danuvius guggenmosi | Bild: BR

Der Fund einer vergleichsweise langen Elle etwa lässt darauf schließen, dass die Arme des Besitzers deutlich länger waren als die Beine. Das ist ein typisches Merkmal von Menschenaffen, die sich kletternd in Bäumen fortbewegen. Das dazugehörige Schienbein ist kurz. Bei Menschen ist es umgekehrt: das Schienbein ist länger als die Elle.

Das von Madelaine Böhmes Team entdeckte Schienbein ist zwar kurz, an den Gelenkenden aber so gebaut, dass dieser Menschenaffe mit gestreckten Knien gelaufen ist – so die Schlussfolgerung der Paläontologin. Auch das Fußgelenk ist gebaut wie beim Menschen: Ausgerichtet für das Laufen und nicht für das Klettern auf den Bäumen. Madelaine Böhme interpretiert das so: Es handle sich um eine Mischform, die ein Vorläufer für den zweibeinigen aufrechten Gang des Menschen und gleichzeitig ein Vorläufer für die baumbewohnende vierfüßige Lebensweise von Menschenaffen sei – ein Übergangsglied also, ein gemeinsamer Vorfahre von Mensch und Schimpanse.

Der Fund wird Danuvius guggenmosi genannt. 15 Prozent des Skeletts sind inzwischen ans Licht gekommen. Die fehlenden Teile werden mit Repliken ergänzt, die sich originalgetreu im 3D-Drucker herstellen lassen. So kann etwa durch Spiegelung des linken Schienbeinknochens der rechte nachgebildet werden. Nach und nach werden auch die Proportionen des Körpers klar.

Letzter gemeinsamer Vorfahre von Schimpanse und Mensch

Zeichnung einer Vormenschenarten.
So könnte Danuvius ausgesehen haben. | Bild: BR

Sogar Größe und Gewicht von Danuvius entsprechen schon den späterer Vormenschenarten. Eine Rekonstruktion zeigt ihn schließlich aufrechtstehend, mit durchgestreckten Beinen und gerader Hüfte. Der Fund stützt die Idee, dass eine entscheidende entwicklungsgeschichtliche Phase des Menschen in Europa stattfand: die der letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse. Warum gibt es in Afrika aus dieser Phase der Menschwerdung bislang keine vergleichbaren Funde?

Madelaine Böhme untersucht Sedimentproben aus Griechenland, die gut sieben Millionen Jahre alt sind. Unter dem Elektronenmikroskop offenbaren die Gesteinspartikel bei 10000-facher Vergrößerung Spuren einer massiven Umweltveränderung. Die Form der Partikel und spezifische Muster auf der Oberfläche bilden sich nur, wenn Staub durch Wind fortgeblasen wird. Die einzelnen Staubkörner stoßen dabei aneinander und schleifen sich gegenseitig ab. Der Staub stammt aus der Sahara, das zeigt auch die chemische Zusammensetzung des Gesteins. Große Mengen Saharastaub lagerten sich damals im heutigen Europa ab.  Die früheste bislang bekannte sogenannte "Sahara-Phase" kann damit erstmals genau datiert werden: Sie muss mindestens 7,2 Millionen Jahre her sein.

Wanderungen früher Vorfahren: Sahara war eine Barriere

Früher ging man davon aus, dass die Sahara sich erst später bildete. Doch nun zeigt sich: Es gab schon sehr früh Klimaphasen, in denen sich Wüste in Nordafrika ausbreitete und eine riesige lebensfeindliche Barriere zu Europa bildete. Menschenaffen und auch frühe Vorfahren des Menschen hätten sie nicht durchqueren können. Nach dieser frühen Wüsten-Phase ergrünte die Sahara vor 6,8 Millionen Jahren wieder. Tierarten, einschließlich möglicher Vorfahren des Menschen, hätten damals Afrika über den Nahen Osten gut erreichen können. Tatsächlich stammen die frühen afrikanischen Funde auch genau aus dieser Zeit. Es ist also gut möglich, dass sie von europäischen Einwanderern abstammen und sich deren Entwicklungsgeschichte schließlich in Afrika fortsetzte.

Autor: Daniel Schwenk (BR)

Stand: 09.05.2020 16:54 Uhr

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