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Kleine Nager, große Wirkung: So schadet die Feldmaus der Landwirtschaft

Rapsfeld von oben mit einer kahlen, kreisrunden Stelle.
Ein "Mäusekessel" in einem Rapsfeld.  | Bild: BR

"Mäusekessel" nennen Bauern die kreisrunden Flächen in ihren Feldern, auf denen nichts mehr wächst. Von ihren Bauten in der Mitte dieser Kessel aus nagen Feldmäuse im Umkreis von einigen Metern alles ab, was sie finden können. So bleiben sie immer in ausreichender Entfernung zum nächsten Mäuseloch, um bei nahender Gefahr rasch wieder verschwinden zu können. Ist alles abgeerntet, ziehen die Mäuse weiter – und das "Spiel" beginnt von neuem.

Normalerweise sind solche Schäden für die Bauern leicht zu verkraften. Doch alle drei bis fünf Jahre wächst die Population der Feldmaus in einigen Gebieten Deutschlands geradezu explosionsartig an. Dann drohen massive Ernteausfälle, im schlimmsten Fall müssen die Bauern einzelne Felder sogar komplett aufgeben.

Mäusefraß verursacht gewaltige Schäden

Bei einer Massenvermehrung können die Bestände von wenigen Individuen auf bis zu 10.000 Feldmäuse pro Hektar Ackerland anwachsen. Bundesweit richten die Tiere dann Schäden von insgesamt mehr als 100 Millionen Euro an. Im Jahr 2020 sind vor allem Thüringen und Sachsen-Anhalt betroffen. Warum es immer wieder zu solchen Massenvermehrungen kommt, ist für die Wissenschaft auch nach rund 100 Jahren Forschung immer noch ein Rätsel.

Massenvermehrung der Feldmaus als Überlebensstrategie

Mäuse
In starken Mäusejahren leben bis zu 10.000 Individuen auf einem Hektar Ackerland. | Bild: BR

Ein Grund für die Massenvermehrung der Feldmaus ist ihre hohe Vermehrungsrate. Denn ihre Überlebensstrategie lautet: In möglichst kurzer Zeit möglichst viele Nachkommen zeugen! Die Tragzeit der Feldmausweibchen beträgt gerade einmal rund drei Wochen. In Sachen Geschlechtsreife ist die Feldmaus sogar Weltrekordhalter unter den Säugetieren: Die Weibchen können bereits im Alter von nur 13 bis 14 Tagen trächtig werden. Häufig werden junge Feldmausweibchen schon während ihrer eigenen Stillzeit begattet. Unter optimalen Bedingungen kann ein einzelnes Mäusepaar vom Frühjahr bis zum Herbst rein rechnerisch mehr als 2.000 Nachkommen zeugen.

Perfekte Bedingungen für Feldmäuse in Mitteldeutschland

Normalerweise bremsen nasskalte Witterung, Nahrungsmangel und natürliche Feinde der Feldmaus das Wachstum der Population. Schließlich ist die Feldmaus das Grundnahrungsmittel für zahlreiche Raubvögel, Säugetiere und Schlangen. Doch kein Raubtier kann mit der enormen Vermehrungsrate der Feldmäuse mithalten. Ist eine bestimme Schwelle überschritten, können die Jäger nichts mehr ausrichten.

Nahrungsmangel kennen die kleinen Nagetiere in den fruchtbaren Anbaugebieten Mitteldeutschlands auch nicht. Die Felder in Sachsen-Anhalt werden intensiv und mit häufigen Fruchtwechseln bewirtschaftet. Sie bieten den Mäusen das ganz Jahr über ein reichhaltiges Büfett.

Zudem bleiben hier in den Lehm- und Schwarzerdeböden die Bauten der Feldmäuse lange intakt – ein Schutz vor Fressfeinden und eine trockene, warme Kinderstube. Stabile Wohnhöhlen scheinen ein nicht unerheblicher Faktor bei der Massenvermehrung der Mäuse zu sein. In anderen Gebieten der Region, in denen Sandböden und damit für Tiere instabile Wohnhöhlen vorherrschen, bleiben die Feldmausbestände unkritisch.

Maßnahmen gegen die Mäuseplage

Grubber auf einem Feld
Das sogenannte Grubbern soll die Mäusebauten zerstören. | Bild: BR

Auch ohne eine drohende Massenvermehrung sind Landwirte angehalten, das ganze Jahr über Vorsorgemaßnahmen zur Mäusebekämpfung durchzuführen. Sitzstangen für Greifvögel, sogenannte Julen, sollen Mäusejägern wie dem Mäusebussard die Jagd erleichtern. Auch das sogenannte Grubbern, das Umpflügen der Felder, um die Mäusebauten zu zerstören, ist inzwischen Standard.

Doch viele Mäuse ziehen sich währenddessen an den Rand der Felder zurück, wo sie Schutz vor Greifvögeln und dem Pflug finden – denn durch das Pflügen der naturbelassenen Grünstreifen würden auch viele andere Arten ihren Lebensraum verlieren. Manche Bauern beobachten, dass auf den frisch gepflügten Feldern so schon nach wenigen Tagen neue Mäusebauten entstanden sind.

Umstrittenes Mittel: das Gift Zinkphosphid

Die letzte Möglichkeit, die Schäden bei einer Massenvermehrung in den Griff zu bekommen, ist der Einsatz von Gift. Als einziges Mittel für diesen Zweck ist in Deutschland Zinkphosphid zugelassen, ein starkes Nervengift, das in Form von vergiftetem Weizen direkt in die Eingänge der Mäusebauten gestreut wird.

Doch diese Methode der Schädlingsbekämpfung ist umstritten. Zwar darf dieses Mittel nur unter strengen behördlichen Auflagen und nach bestimmen Verfahrensweisen eingesetzt werden – so müssen etwa die Mäuselöcher nach dem Ausbringen sofort verschlossen werden. Trotzdem verenden immer wieder auch Greifvögel, die bereits vergiftete Mäuse fressen.

Besonders gefährlich ist diese Methode für den streng geschützten Feldhamster, der ebenfalls in Mitteldeutschland beheimatet ist und in unterirdischen Bauten lebt. So müssen Bauern in Sachsen-Anhalt vor dem Einsatz von Gift nachweisen, dass keine Hamster auf ihren Feldern leben.

Verhütungsmittel für die Maus

Um frühestmöglich reagieren und so auch die Giftmengen deutlich reduzieren zu können, haben Wissenschaftler wie der Biologe Dr. Jens Jacob vom Julius-Kühn-Institut in Münster ein Prognosemodell auf der Basis von Wetterdaten entwickelt. Es soll Vorhersagen über Massenvermehrungen bereits mehrere Monate im Voraus ermöglichen. Nach Angaben der für die Bekämpfungsmaßnahmen zuständigen Behörde in Sachsen-Anhalt funktioniert dieses System zuverlässig.

Doch der Gifteinsatz soll keine Dauerlösung bleiben. Aus diesem Grund arbeiten Jens Jacob und sein Team schon an einem neuen Ansatz. Denn nach Einschätzung des Nagetierexperten reicht es aus, ein oder zwei Würfe im Jahr zu verhindern, um das exponenzielle Wachstum der Mäusepolulation zu dämpfen. Deshalb experimentieren Jens Jacob und sein Team bereits an verschiedenen reproduktionshemmenden Wirkstoffen, sprich: Verhütungsmitteln für die Maus. Damit ließen sich in Zukunft auf schonende Weise die Schäden reduzieren, die die vermehrungsfreudigen kleinen Nager mit ihrem großen Appetit anrichten.

Autor: Frank Bäumer (BR)

Stand: 07.11.2020 15:34 Uhr

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