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REACH – Wie die EU Einsatz und Handel von Chemikalien reguliert

Zwei Erlenmeyerkolben in Nahaufnahme
In Europa werden etwa 30.000 unterschiedliche Chemikalien gehandelt. | Bild: NDR

Gebrauchsgegenstände, Kleidung, Spielzeug, Verpackungen: Wir sind umgeben von Dingen, die ausschließlich aus oder unter Mithilfe von Chemikalien hergestellt werden. Tausende von Stoffen und Stoffgemischen, die teilweise auch mit der Umwelt reagieren und/oder Einfluss auf unsere Gesundheit haben. Wie werden diese Stoffe kontrolliert? Und wie zuverlässig ist die Kontrolle?

Anmeldung, nicht Zulassung

Das zentrale Regulierungsinstrument auf EU-Ebene ist die so genannte REACH-Verordnung. REACH, das steht für "Regulation concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of CHemicals" - also: Bestimmung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung (Autorisierung) und Beschränkung von chemischen Stoffen. Jede Chemikalie oder chemische Stoffmischung, die in der EU hergestellt, eingesetzt, gehandelt oder in das Gebiet der EU eingeführt werden soll, braucht eine REACH-Registrierungsnummer.

Um die zu erhalten, muss der Hersteller oder Importeur seine Chemikalie bei der ECHA anmelden, der Europäischen Chemikalien-Agentur in Helsinki. Für die meisten chemischen Stoffe gibt es lediglich eine Anmeldepflicht, keine Zulassungspflicht. Eine Zulassungspflicht besteht grundsätzlich erst mal nur für anerkannt gefährliche oder giftige Stoffe wie zum Beispiel Pestizide.

Registrierung der Chemikalie

Hersteller und Importeure müssen bei der Registrierung mitteilen, wie und wozu die Chemikalie eingesetzt werden soll. Zu dem einzureichenden Unterlagen gehören auch Informationen, die eine Bewertung des registrierten Stoffs erlauben, zum Beispiel Daten zum Verbleib in der Umwelt, zur Anreicherung in Organismen und zur Giftigkeit.

Sowohl die Datenzusammenstellung als auch die Gefahrenbeurteilung übernehmen die Unternehmen in Eigenregie. Was im ersten Moment widersinnig klingt, wird von Vertretern der Umweltbehörden – trotz möglicher und tatsächlicher Mängel – als deutliche Verbesserung gegenüber früher betrachtet.

Nach altem Chemikalienrecht (bis 2007) waren die Behörden in der Pflicht, die Sicherheit von Chemikalien zu prüfen. Über die meisten Chemikalien – nämlich die, die schon vor 1981 auf dem europäischen Markt waren – lagen aber keine systematisch erhobenen Informationen vor. Die Hersteller waren erst dann verpflichtet, fehlende Informationen vorzulegen, wenn eine Stoffbewertung durch die Behörden Informationslücken nachwies oder Hinweise auf eine Gefährdung von Umwelt oder Gesundheit ergab.

Die neue Regel lautet: No data, no market! Solange keine Daten hinterlegt und registriert sind, darf eine Chemikalie weder gehandelt noch eingesetzt werden.

Evaluierung

Personen an verschiedenen PCs.
Alle in der EU genutzten Chemikalien müssen bei der ECHA registriert werden. | Bild: NDR

Die ECHA ist eine reine Registrierungsstelle. Die tatsächliche Bewertung von chemischen Stoffen und Stoffgruppen erfolgt durch Behörden der einzelnen EU-Staaten, zum Beispiel das Umweltbundesamt. Die wählen Chemikalien aus, die genauer unter die Lupe genommen werden sollen, schauen sich die eingereichten Daten dazu näher an, fordern zusätzliche Informationen ein und sprechen Empfehlungen aus, ob einige dieser Stoffe einer Zulassungspflicht oder Beschränkung unterworfen werden sollen.

Autorisierung (Zulassung) und Beschränkung

Stoffe, die im Zuge des Evaluierungsverfahrens als besonders besorgniserregend eingestuft werden, landen auf einer Kandidatenliste für eine zukünftige Zulassungspflicht. Dazu muss ein Stoff eines oder mehrere der folgenden Kriterien erfüllen:

  • krebserregend, erbgutverändernd oder fortpflanzungsgefährdend
  • giftig und langlebig in der Umwelt und in Organismen anreichernd
  • sehr langlebig in der Umwelt und sehr stark in Organismen anreichernd
  • ähnlich besorgniserregende Eigenschaften (z.B. hormonelle Wirkung)

Die Entscheidung darüber, ob – und unter welchen Übergangsfristen – Stoffe zulassungspflichtig oder -beschränkt werden, liegt aber nicht bei den Umweltbehörden, sondern bei der EU-Kommission.

Probleme und Kritik an Melde- und Prüfverfahren

Umwelt- und Verbraucherschützer kritisieren, dass selbst wenn die Melde- und Prüfverfahren planmäßig funktionieren, sehr viel Zeit vergeht, bis ein als problematisch identifizierter Stoff beschränkt oder verboten wird.

So wurde etwa Bisphenol A (BPA), ein Stoff, der in vielen Alltagsgegenständen zum Einsatz kommt, bereits 2012 durch das Umweltbundesamt auf die Liste der neu zu bewertenden Stoffe aufgenommen. Im Rahmen der Bewertung stellte sich heraus, dass die Aufnahmemengen über die Haut aus Thermopapier-Kassenbons als unsicher für den Verbraucher eingestuft werden muss. Frankreich stellte schon im Jahre 2015 den Antrag, dass BPA nicht mehr zur Beschichtung von Kassenbons eingesetzt werden darf. Erst seit 2020 ist dieses Verbot in Kraft.

Im August 2018 wurde außerdem bekannt, dass zahlreiche der von der Industrie eingereichten REACH-Dossiers mangelhaft sind: Bei einer stichprobenhaften Überprüfung durch Umweltbundesamt und das Bundesamt für Risikobewertung stellte sich heraus, dass bei mindestens einem Drittel der Dossiers für hochvolumige Substanzen (Produktion oder Import > 1.000 Tonnen/Jahr) fehlerhafte Daten eingetragen wurden oder Daten ganz fehlten. Trotzdem dürfen die betroffenen Substanzen weiterhin verwendet werden. Den säumigen Herstellern und Importeuren wurden Nachbesserungsfristen bis 2027 eingeräumt.

Scan4Chem – Wie REACH den Verbrauchern helfen soll

Die Informationen für alle chemischen Stoffe müssen von der Industrie nicht nur an die ECHA weitergegeben werden, sondern auch an die weiteren Stationen innerhalb der eigenen Liefer- und Handelskette. Enthält ein Produkt einen besonders besorgniserregenden Stoff in einer Konzentration über 0,1 Gewichts-Prozent, dann muss diese Information von jedem Lieferanten an jeden Abnehmer oder Verwender in der Lieferkette weitergegeben werden, also Hersteller, Weiterverarbeiter, Zwischenhändler bis zum Endverkäufer. Verbraucher und Verbraucherinnen müssen auf Anfrage ebenfalls über das Vorhandensein solcher Stoffe informiert werden.

Um diese Anfrage möglichst einfach zu gestalten, hat das Umweltbundesamt zusammen mit weiteren Partnern eine Smartphone-App entwickelt.

Scan4Chem ("Scanne nach Chemikalien") erlaubt über den Strichcode eines Produktes eine automatisierte Datenbanksuche nach beispielsweise krebserregenden, fortpflanzungsgefährdenden oder umweltschädigenden Inhaltsstoffen. Ist das gescannte Produkt noch nicht in der Datenbank erfasst, kann über die App eine automatisierte Anfrage an den Hersteller geschickt werden. Dieser ist dann verpflichtet, innerhalb von 45 Tagen entweder den Datenbankeintrag nachzuholen oder dem Verbraucher persönlich zu antworten.

Die Macher weisen allerdings darauf hin, dass die App aktuell noch keine wirkliche "Convenience"-App ist, sondern eher ein Mitmach-Projekt, dass die Hersteller zwingt, die Datenbank möglichst schnell mit Informationen zu bestücken.

Autor: Thomas Wagner (NDR)

Stand: 17.10.2020 14:04 Uhr

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