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Permafrost - Zugspitze wird durchbohrt

Die Gletscher auf der Zugspitze geben von Jahr zu Jahr ein traurigeres Bild ab. In den letzten zwei Jahrzehnten sind sie dramatisch geschmolzen.

Schneebedecktes Gebirgsplatteau
Auch im Sommer tiefgefroren: Das Zugspitzplatt | Bild: S. Krämer

In zehn weiteren Jahren könnten sie ganz verschwunden sein. Für die Besucher der Zugspitze ist das Schmelzen der Gletscher offensichtlich. Was die Besucher aber nicht sehen können ist, dass das Eis im Inneren des Zugspitzgipfels, der Permafrost, ebenfalls schmilzt. Und das hat schon einmal zu einer gewaltigen Katastrophe geführt.

Die Zeugen eines Bergsturzes

In der Landschaft um Grainau, am Fuße der Zugspitze, sind Spuren dieser Katastrophe noch heute sichtbar. Zumindest für Andreas von Poschinger. Der Geologe vom bayerischen Landesamt für Umwelt kann in der Landschaft lesen: Überall finden sich kleine Hügel, Beulen unter der Grasnarbe, verschüttete Felsblöcke – zum Teil lastwagengroß. Zeugen eines riesigen Bergsturzes.

Insgesamt sind am Fuße der Zugspitze rund 15 Quadratkilometer mit den Sturzmassen bedeckt. Manchmal beträgt die Schichtdicke des verstreuten Gesteins über 50 Meter. Die Felsen rutschten vom Gipfel der Zugspitze bis nach Garmisch hinein, eine Strecke von neun Kilometern.

Größter Bergsturz vor 3700 Jahren

Von Bergstürzen spricht man nur, wenn über eine Million Kubikmeter abbrechen.
Von der Nordflanke der Zugspitze stürzten etwa 400 Millionen Kubikmeter Gestein ins Tal. Wahrscheinlich war die Zugspitze einmal höher.

Das Beunruhigende dabei: Der Bergsturz geschah vor etwa 3700 Jahren, zu einer Zeit in der es ähnlich warm war wie heute! Normalerweise festigt der Permafrost in Hochgebirgsregionen das Gestein. Eis in Klüften und Spalten wirkt wie Zement. Schmilzt das Eis verlieren die Felsen ihren Zusammenhalt. Und genau das geschah vor 3700 Jahren, beim größten Bergsturz der Bayerischen Alpen.

Für die Verantwortlichen stellt sich nun aber eine Frage: Kann sich die Katastrophe von einst im warmen Klima von heute wiederholen?

Versorgungsstollen gibt Hinweise

Erste Indizien sollte ein Forscherteam der Universität Bonn liefern. Ihr Untersuchungsgebiet: Ein ehemaliger Versorgungsstollen, der durch den Nordkamm der Zugspitze führt. Hier wollen sie klären, wie stark sich der Permafrost im Gipfelbereich schon zurückgezogen hat.

Noch in den 80er Jahren waren die Stollenwände meterdick mit Eis bedeckt. Heute ist davon nur noch eine dünne Schicht übrig, an wenigen Stellen. Das übrige Eis ist abgeschmolzen. Die Forscher wollen der Frage nachgehen, ob sich das Eis im Berg auch so stark zurückgezogen hat. Sie müssen den Berg durchleuchten

Schallwellen und elektrische Leitfähigkeit

Zwei Methoden haben sie dafür zur Verfügung. Sie messen die elektrische Leitfähigkeit der Felsen um den Stollen, bzw. ihren elektrischen Widerstand. Flüssiges Wasser in Gesteinsporen und Klüften verringert den Widerstand, mehr Strom kann fließen. Sind die Klüfte vereist fließt weniger Strom.

Gleichzeitig jagen die Forscher mit einem Vorschlaghammer Impulswellen durch den Berg. Sie breiten sich ähnlich wie Schallwellen im Gestein aus. Eis reflektiert diese Wellen anders als Stein oder hohle Klüfte.

Mikrofone fangen die Echos aus dem Berg auf, ein Computer berechnet sie.
Und es sieht nicht gut aus, wie Michael Krautblatter von der Universität Bonn erklärt: "Nach dem sehr warmen Sommer 2003 ist hier das Eis weiter großflächig abgeschmolzen im Gang. Und die letzte Permafrostlinse finden wir im oberen Bereich des Stollens. Die ist ungefähr noch 40 Meter lang im Fels entwickelt. Wir sehen im Februar kommt über die Felsbereiche noch sehr viel Kälte rein. Aber das Schmelzwasser, das über den Sommer durch die Klüfte rauscht bringt sehr viel Wärme in den Berg."

Einsturzloch

An der Oberfläche der Zugspitze entdeckte der Geologe Andreas von Poschinger ein weiteres Indiz für die drohende Gefahr. Die Decke einer Höhle ist eingestürzt. Ein Krater, in der Fachsprache Doline genannt, mit 15 Meter Durchmesser ist hier entstanden. Bis vor kurzem wurde die Felsdecke der Höhle wahrscheinlich durch Eis im Innenraum gestützt. Jetzt ist das Eis geschmolzen.

Ist die Zugspitze brüchig?

Niemand wusste also, ob der Gipfel der Zugspitze bereits brüchig ist. Der Geologe Poschinger entschließt sich deshalb zu einem brachialen Schritt: Der Gipfel der Zugspitze soll durchbohrt werden.

Eine Mannschaft aus der Schweiz übernimmt den Auftrag. 60 Meter soll sich der Bohrkopf durch das Gestein arbeiten. Von Nord nach Süd - quer durch den Gipfel der Zugspitze. Eine nicht ungefährliche Arbeit. Im steilen Gelände sind die Männer ständig von Steinschlag bedroht. Und auch die schweren Geräte müssen beherrscht werden.

Die größte Gefahr aber geht von Gewittern aus: Beim leisesten Anzeichen für eine aufgeladene Atmosphäre müssen sich die Männer in Sicherheit bringen.
Rund um die Bohrstelle sind alle Geräte aus Stahl. Ein Blitzschlag könnte zur Katastrophe führen.

Hartes Gestein

Das Wetter spielt mit. Aber die erste Bohrung muss nach 58 Metern abgebrochen werden. Das Gestein der Zugspitze ist komplizierter als gedacht. Und härter. Die Mannschaft muss einen zweiten Versuch starten. Und tatsächlich. Nach fünf Tagen ist die Zugspitze durchbohrt. Mit Hilfe des 12 Zentimeter breiten Tunnels soll der Berg überwacht werden. Eine Höhlen-Kamera wird langsam durch den Berg geschoben. Sie soll die Beschaffenheit des Gesteins und vielleicht vereiste Klüfte sichtbar machen.

Messsonden im Gestein verankert

Auf den ersten Blick scheint der Fels noch intakt zu sein. Ab und zu entdeckt die Schweizer Bohrmannschaft kleinere Klüfte und Störungen im Gestein. Aber nichts Beunruhigendes.

Wenig später wird eine Messkette mit 27 Sensoren im Bohrloch versenkt. Sie überwachen die Temperatur im Zugspitzgipfel. Weitere Messgeräte werden installiert. Sie sollen erkennen, wenn sich nur kleinste Risse in den Felsen bilden.

Von jetzt an steht die Zugspitze in jeder Sekunde unter Beobachtung.
Niemand kann sagen, ob der Gipfel von Deutschlands höchstem Berg tatsächlich abbrechen und ins Tal donnern wird. Wenn, dann würde das Überwachungssystem rechtzeitig Alarm schlagen.

Der frühe Wintereinbruch wird nur ein kalter Tropfen auf dem heißen Stein sein. Denn im stetig wärmer werdenden Klima geht das große Schmelzen weiter. Der Rückzug des Permafrostes im Zugspitzgipfel ist nicht aufzuhalten. Aber er kann jetzt zumindest überwacht werden.

Autor: Herbert Hackl

Stand: 28.05.2012 21:08 Uhr

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