SENDETERMIN So., 08.06.08 | 17:03 Uhr | Das Erste

Countdown am Yangtse

Sie gelten als die berühmteste Flusslandschaft Chinas – die "Drei Schluchten" des Yangtse.

Über Jahrtausende hat sich der längste Fluss Asiens hier ein imposantes Tal gegraben.

Doch der Fluss ist längst kein Fluss mehr, sondern ein Stausee, der unaufhörlich steigt. An den Ufern sind überall neu gebaute Städte zu sehen, die weit oberhalb des Wasserspiegels errichtet wurden. Denn etwa zwei Millionen Menschen mussten entlang des 660 Kilometer langen Stausees bereits ihre alte Heimat verlassen. Weitere vier Millionen kommen in den nächsten Jahren noch hinzu, die aus ihren alten Wohnungen ausziehen müssen, weil sie von zunehmenden Erdrutschen bedroht sind.

Chinas neue "große Mauer"

Grund für die imposanten Veränderungen: der Drei-Schluchten Staudamm. Er wird der größte Damm der Welt und ist sozusagen Chinas neue "große Mauer" – durchgedrückt auch gegen den Rat chinesischer Experten.
185 Meter hoch und 2,3 Kilometer breit ist die Staumauer – höher als der Kölner Dom. Für dieses gigantische Bauwerk werden 264 Millionen Kubikmetern Stahlbeton verbaut.

Die Wassermassen, die die Turbinen des Dammes antreiben, erzeugen so viel Strom wie fünfzehn Atomkraftwerke. Mit einer Leistung von 18.200 Megawatt ist es das größte Kraftwerk der Welt. "Es handelt sich bei dem Drei-Schluchten-Staudamm um ein Jahrhundertbauwerk", meint Prof. Zhou Wei vom staatlichen Staudamm-Komitee in Peking, "es ist das größte Wasserbauprojekt Chinas und setzt weltweit neue Maßstäbe. Um den Stausee wohnen zehn Millionen Menschen. Da ist es normal, dass es auch Streitigkeiten gibt."

Engpass Schleusentore

Für Streit zwischen Anwohnern, Regierung und Dammbetreibern sorgen zum Beispiel die Schleusen. Fünf Stück hintereinander. Sie gehören zu den vielen Versprechungen, die die Dammbauer machten, aber nicht hielten. Sie sind die größten der Welt und sollten für Ozeanriesen Platz haben. Stattdessen sind sie oftmals leer. Denn die gigantischen Schleusentore haben sich als Nadelöhre entpuppt: Bei Hochwasser ist ihr Betrieb nur eingeschränkt möglich. Und wenn sie sich öffnen, dann dauert die Durchfahrt fast doppelt so lange wie geplant. Der erhoffte Boom für die Schifffahrt auf dem aufgestauten Yangtse ist bis heute ausgeblieben.

Müllberge verstopfen Turbinen

Doch nicht nur in Sachen Schiffbarkeit läuft es anders als geplant. Auch die Umweltprobleme am Stausee bereiten der chinesischen Regierung zunehmend Kopfzerbrechen. Ganze Müllberge häufen sich vor dem Damm und drohen die Turbineneinlässe zu verstopfen. Um das zu verhindern, sind überall auf dem Stausee so genannte 'Müllfischer' unterwegs. Auf Hunderten von kleinen Booten sammeln sie ein, was an Plastik, Dosen und Ästen auf dem Wasser treibt: bis zu drei Tonnen am Tag pro Person. Fast nirgendwo gibt es Kläranlagen. Früher spülte der Fluss die dreckige Brühe aus Haushalt und Industrie schnell in Richtung Meer – heute sammelt sich alles im träge dahin fließenden Stausee. Während die Müllfischer immer mehr Müll sammeln, werden Fische immer seltener.

Geröll aus den Zuflüssen

Doch die eigentliche Gefahr droht dem Drei-Schluchten-Damm aus dem bergigen Hinterland. Denn die zahllosen Zuflüsse des Yangtse führen Unmengen an Geröll und Sanden mit sich, die sich im Stausee als Sedimente ablagern.

Ursache: die zunehmende Erosion an vielen Berghängen am Oberlauf des Flusses. Ausgelöst durch starke Regenfälle und Erdrutsche, verursacht durch entwaldeten Boden. Die Regierung plant daher den Bau von mehr als 20 weiteren Staudämmen am Oberlauf des Yangtse und seinen Nebenflüssen. Auch sie produzieren Strom, sollen aber vor allem die Sedimentfrachten zurück halten, bevor die Sedimente den Drei-Schluchten-Staudamm erreichen. Doch diese Staudämme liegen in erdbebengefährdeten Gebieten.

Vorwarnungen ignoriert

Schon vor dem großen Erdbeben im Mai meldeten sich kritische Wissenschaftler zu Wort, die vor den neuen Staudämmen warnen und nicht an den Erfolg der Planungen glauben wollen:

Zum Beispiel Prof. Fan Xiao, Geologe an der Akademie der Wissenschaften Sichuans: "Schon kurz nach Fertigstellung eines kleineren Staudamms am Dadu-Fluss gab es Probleme. Durch die Sedimente versandete der Stausee völlig. Und das viel schneller als befürchtet. Der Damm
verlor dadurch seinen Sinn: Er kann keine weiteren Sedimente mehr zurückhalten und nur noch wenig Strom produzieren. Dieses Schicksal droht auch dem Drei-Schluchten-Staudamm."

Erdbeben gefährdetes Gebiet

Prof. Fax Xiao hat auch bereits vor Jahren vor den möglichen Folgen von Erdbeben gewarnt. Denn sowohl die vielen kleinen Dämme im bergigen Hinterland als auch der Drei-Schluchten-Staudamm selbst stehen in einem seismisch aktiven Gebiet.

Das schwere Erdbeben in Sichuan vor kurzem hat das aufs schlimmste bestätigt. Der Geologe fordert daher vehement, auf den geplanten Neubau weiterer Dämme in dem Gebiet zu verzichten.

Schon vor einigen Jahren mussten die Dammbauer zugeben, dass 80 Risse im Beton aufgetaucht sind. Die Größten über dreißig Meter lang und drei Meter tief. Sie liegen inzwischen unter Wasser.

Umgerechnet 20 Milliarden Euro hat die Regierung aus Peking in den Bau des Riesendamms am Yangtse investiert. Bereits 2006 wurde die Staumauer eingeweiht, doch es wird noch einige Jahre dauern, bis alles fertig ist. Nach wie vor sind tausende Arbeiter am Damm beschäftigt. Vieles gleicht eher einer riesigen Reparaturwerkstatt als einem erst vor kurzem mit Pauken und Trompeten eingeweihten Bauwerk. Auch im Regierungsapparat mehren sich die Stimmen, die davor warnen, dass der größte Damm der Welt zu einer der größten Katastrophen führen könnte. Bei einem Dammbruch käme für Millionen Menschen jede Rettung zu spät.

Autor: Thomas Weidenbach

Programmhinweis

Chinas Größenwahn am Yangtse

Die ausführliche Dokumentation über das Staudammprojekt sendet DasErste am Mo, 28. Juli 2008, um 21.00 Uhr.

Stand: 11.05.2012 13:05 Uhr

Sendetermin

So., 08.06.08 | 17:03 Uhr
Das Erste

Sprungmarken zur Textstelle