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Der Hüter der Mumien

Der 85jährige pensionierte Pathologe Dr. Arthur Aufderheide hat die größte Sammlung von Mumienteilen weltweit. In deren Gewebe sucht er nach uralten Krankheitserregern und Parasiten, die der Forschung heute helfen könnten.

Die Atacama-Wüste im Grenzgebiet zwischen Peru und Chile ist einer der trockensten Orte der Welt. Mitten in dieser menschenfeindlichen Einöde liegt die Oase San Pedro de Atacama.

Die Mumien der Atacama-Wüste

Ein zerfaserter Knochen
Für die Nachwelt konserviert: Ein Knochentumor hat seine Spuren hinterlassen. | Bild: WDR

Schon lange vor der Ankunft der Europäer im 15. Jahrhundert war dieser Ort von Indios besiedelt. Einheimische und Touristen können dieser alten Kultur noch auf schaurige Weise begegnen. Im Museum von San Pedro liegen sie: die Toten der indianischen Kultur. Die extreme Trockenheit hat die im Wüstensand Begrabenen mumifiziert.

Diese Toten haben einen Mann in ihren Bann gezogen: Rund 8000 Kilometer nördlich von San Pedro im US.-amerikanischen Duluth ist Dr. Arthur Aufderheide den Geheimnissen der Mumien aus Südamerika auf der Spur. "Jede Mumie birgt ein Stück faszinierender Geschichte – meiner, unser aller Geschichte.“, sagt er, „das ist der persönlicher Anreiz, mich mit ihnen zu befassen. Der wissenschaftliche Grund: Diese Mumien bergen einzigartige Informationen."

Mumiengewebe als Krankheitsarchiv

Dr. Aufderheide hat ein Ziel: Er will wissen, wie die Menschen vor eintausend Jahren lebten - und wie sie starben. Er hat das weltweit größte Archiv von Mumienorganen zusammengetragen. Die meisten der mehr als 7.000 Gewebeproben hat er selbst entnommen. An jedem der getrockneten Organe kann sich ein Hinweis verstecken – etwa, ob eine Niere krankhaft verändert war, oder der Sterbende ein geschädigtes Herz hatte.

Der Mumienforscher hat ein geschultes Auge für den kranken Körper. Der 85jährige arbeitete früher als Pathologe im Krankenhaus. Manchmal ist der Fall eindeutig. In Aufderheides Sammlung findet sich ein Beinknochen, der von bizarren Knochenwucherungen überzogen ist. Ein Tumor hat das Gewebe wuchern lassen. Auch vor mehreren hundert Jahren starben Südamerikaner an Krebs.

Die von Europäern eingeschleppten Krankheiten

Litten die Menschen damals auch an anderen modernen Krankheiten, oder schleppten die europäischen Entdecker neue Erreger ein, an denen die Indios starben? Ein besonderer Fund warf ein neues Licht auf diese Frage. "Ich erinnere mich noch gut an diese Mumie", sagt Dr. Aufderheide, "wir öffneten die Brust und ich sah sofort, was wir da hatten. In der Lunge gab es verhärtete Strukturen und die Lymphknoten waren auf das Fünffache angeschwollen. Dieses Bild ist typisch für eine ganz bestimmte Krankheit: Tuberkulose."

Zu diesem Zeitpunkt glaubten noch viele Wissenschaftler, dass die Tuberkulose von Europa nach Amerika eingeschleppt worden ist. Aufderheide sah die Möglichkeit, anhand der mumifizierten Lunge den wissenschaftlichen Streit ein für alle mal zu beenden.

Der Tuberkulose auf der Spur uralter Gene

Doch Dr. Aufderheide brauchte einen noch stärkeren Beweis, um die Zweifler restlos zu überzeugen. Er zog Kollegen hinzu, die sich mit den modernen Methoden der Genanalyse auskennen. Vielleicht war es möglich, im Lungengewebe noch das Erbgut des Tuberkulose-Erregers aufzuspüren. Das Vorhaben gestaltete sich schwierig. Der Lauf der Zeit hatte auch dem Erbgut zugesetzt. Es war in viele Bruchstücke zerfallen.

Nach mehreren Monaten der Suche gab es endlich ein Ergebnis. "Wir schafften es schließlich, die DNA des Tuberkulose-Erregers zu finden. Wir schickten dann das Gewebe in ein Speziallabor, um das genaue Alter der Mumie zu bestimmen. Das Ergebnis: Die Mumie ist mehr als tausend Jahre alt. Tuberkulose war also lange vor Columbus und den anderen Europäern hier."

Gerade mal an der Oberfläche gekratzt

Dr. Aufderheide ruht sich auch mit 85 Jahren nicht auf seinen Lorbeeren aus. In seinem Archiv schlummern noch Gewebeproben von Mumien aus der ganzen Welt. Er ist sich sicher: Nicht nur die Mumien aus Südamerika bergen noch viele Geheimnisse. "Es gibt noch soviel zu entdecken", sagt er, "unzählige Krankheiten. Wir haben gerade einmal an der Oberfläche gekratzt."

Er hofft, dass eines Tages die Erkenntnisse seiner Grundlagenforschung auch den Menschen heute zugute kommen. Eine mögliche Anwendung wäre die Frage unter welchen Bedingungen sich neue Keime ausbreiten konnten und können. Dr. Aufderheide hofft, dass die Wissenschaft der Mumienkrankheiten so zu neuen Medikamenten für die Lebenden führt.

Autor: Daniel Münter

Literatur

Mumien-Medizin
Doktor sammelt uralte Leichen

Von Ute Eberle. Spiegel-Online.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/

Der Original-Bericht
über die Arbeit von Dr. Aufderheide
ist erschienen
im "Zeit Wissen"-Magazin 2/2006.

Stand: 11.05.2012 13:05 Uhr

Sendetermin

So., 13.04.08 | 17:03 Uhr
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