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Essen für die Forschung

Die Zahlen sind erschreckend: nach einer aktuellen Studie sind die Hälfte aller Deutschen zu dick. Trotz zahlloser Kampagnen für gesundheitsbewusste Ernährung scheinen wir uns nicht zu „besseren Essern“ entwickeln zu wollen.

Mit reiner Vernunft lässt sich da offenbar wenig ausrichten. Bis heute ist noch gar nicht klar, warum wir so essen wie wir essen. Doch das könnte sich nun ändern. An einer holländischen Universität gehen Wissenschaftler dem Essverhalten des Menschen nun intensiv auf den Grund – mit völlig neuen Methoden.

Kein Bissen bleibt unentdeckt

Menschen an Büffettisch in der Kantine
Eine scheinbar normale Kantine. | Bild: HR

Ein Schnellrestaurant im holländischen Universitätsstädtchen Wageningen - auf den ersten Blick eine ganz normale Kantine. Doch wer hier zu Mittag isst, wird dabei ununterbrochen beobachtet. Ganz unauffällig filmen 20 Kameras an der Decke jeden Bissen, jeden Schluck. Nichts bleibt dem Kameraauge verborgen.

„Restaurant der Zukunft“ heißt dieses ungewöhnliche Forschungsprojekt. Über zehn Jahre hinweg soll an der Universität Wageningen das Essverhalten des Menschen untersucht werden. Warum wählen wir Nudeln und nicht Salat? Warum trinken wir Limonade und nicht Wasser? Genau diesen Fragen geht Projektleiter René Koster mit seinem 20-köpfigen Team aus Ernährungswissenschaftlern und Psychologen nach.

Umgebung beeinflusst Essverhalten

Schon jetzt steht für ihn fest: Unser Essverhalten wird keineswegs vom Verstand gelenkt, sondern von ganz anderen Faktoren: "Da ist zunächst die Umgebung, in der ich esse. Etwa die Lichtverhältnisse oder die Geräuschkulisse. Dann spielt der Preis eine wichtige Rolle und nicht zuletzt die Tatsache, ob ich allein esse oder mit anderen zusammen."

Eine ausgeklügelte Technik sorgt dafür, dass genau diese Faktoren von den Forschern beeinflusst werden können. Und damit auch die unterschiedliche Wirkung auf den Besucher, etwa durch verschiedene Gerüche. Und vor allem durch Licht. Per Knopfdruck lassen sich für jeden Tag unterschiedliche Lichtstimmungen herstellen. Ob warmes Rot, kühles Blau oder frisches Grün. Die Wissenschaftler bestimmen den Farbcharakter des Restaurants. Schon jetzt hat man Hinweise darauf, dass die Gäste bei rotem Licht schneller und auch weniger essen als bei blauer Stimmung. Auch die Preise der Gerichte verändern sich. Zwar minimal, aber kontinuierlich. Man will wissen: welche Rolle spielt der Preis bei der Entscheidung für oder gegen ein gesundes Essen.

Zwei Hundert Testesser

Zum ersten Mal wird mit diesem Forschungprojekt das Essverhalten wirklich objektiv untersucht – ohne Fragebögen, die immer nur subjektive Einschätzungen widerspiegeln. Jeder der 200 freiwilligen Testesser wird in den kommenden Jahren bei jedem Besuch seine individuelle Essensauswahl registrieren lassen. So lässt sich nach einem Jahrzehnt ein gigantisches, personenbezogenes Protokoll des Essverhaltens von 200 Menschen erstellen - erstmalig in der weltweiten Ernährungsforschung.

Auch das Gewicht der Probanden wird 10 Jahre lang gemessen. Denn bei jedem Bezahlvorgang tritt der Gast – ohne dass er es bewusst merkt – auf eine Waage.
Die Akribie der Essens-Forscher geht aber noch viel weiter: Per Kamera entgeht ihnen auch während des Essvorgangs keine Sekunde. Zusammen mit ihren Kollegen registriert die Ernährungspsychologin Stefanie Kremer jede Hand- und Mundbewegung: Wann isst der Kandidat seinen Salat? Wie schnell isst er. Wie lang dauert das Kauen? Wann beginnt er mit der Suppe? All dies wird protokolliert. Nach und nach entsteht ein bisher nie da gewesener Datenbestand über das Essverhalten.

Elektronischer "Gesichtsleser" registriert Mimik

Die Forscher wollen aber nicht nur wissen, was und wie der Mensch isst, sondern auch, wie ihm das Essen schmeckt. Auch hier kommt moderne Technik zum Einsatz:
Ein so genannter Face-Reader, also ein Gesichtsleser, vermisst das Gesicht des Essenden. Aus den Gesichtsveränderungen lassen sich dann klare und vor allem objektive Schlüsse ziehen, ob ihm das Essen schmeckt – oder eben nicht. Noch ist das System in der Erprobungsphase, doch später wird jedes Gesicht des Versuchsessers bei jedem Restaurantbesuch gescannt und analysiert. Zehn Jahre lang.

Ein Weg zum gesunden Essverhalten?

Und was wird in einem Jahrzehnt herauskommen? Noch wissen die Forscher das nicht. Aber ihr Ziel ist klar: "Wir wünschen uns natürlich vor allem, am Ende exakt zu wissen, welche Faktoren ein gesundes Essverhalten begünstigen", sagt René Koster, "denn wenn wir das mit Sicherheit sagen können, lassen sich diese Dinge gezielt einsetzen, um das Essverhalten in eine positive Richtung zu lenken."

Doch bis es so weit ist, steht den holländischen Forschern eine Mammutaufgabe bevor. Denn um das Essverhalten des Menschen zu ergründen und zu beeinflussen, helfen eben keine Fragebögen und Appelle. Dem Esser des 21. Jahrhunderts kann man nur mit vielen kleinen Tricks und geballter Technik auf die Schliche kommen.

Autor: Stefan Venator

Stand: 11.05.2012 13:06 Uhr

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