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Fahrradkuriere als mobile Messstationen

Die syrische Informatikerin Eiman Kanjo aus Cambridge setzt auf die Hilfe von Fahrradkurieren: Sie stattet die Kurierfahrer der englischen Universitätsstadt mit tragbaren Sensoren aus.

Diese Sensoren messen die Luftqualität und funken ihre Daten in ständig über eine Mobilfunkverbindung an das Mathematische Institut der Universität von Cambridge. So will die Wissenschaftlerin Schadstoffprofile über alle Stadtteile und Vororte von Cambridge erstellen.

Fahrradkuriere zwischen Großstadtlärm und -gestank

Jeden Tag sind sie im Einsatz: Die Fahrradkuriere der Cambridge Cycling Couriers. Einer von ihnen ist der 29 Jährige Robert King. Häufig fährt er mit seinem Rad eine Strecke von über einhundert Kilometern am Tag. Doch was sportlich aussieht, ist in Wahrheit Knochenarbeit: möglichst im Höchsttempo durch den Verkehr, immer hinter Bussen und Lastwagen her, durch die Abgase der Autos. Damit setzt Robert sich und seine Lunge einer hohen Belastung aus.

Im Dienste für Asthmatiker

Doch Fahrradkuriere sind meistens jung und gesund. Anders geht es alten und an den Atemwegen erkrankten Menschen. Für sie können Autoabgase zu einer konkreten Gefahr werden. Denn die in den Abgasen enthaltenen Schadstoffe stehen im Verdacht, Asthmaanfälle auszulösen. Das gilt besonders für Stickoxide wie NO und NO2.

Für Asthmatiker wäre es also hilfreich, immer zu wissen, wann und wo die Schadstoffkonzentration der Luft besonders hoch ist. Und genau diese Frage macht Robert King und die anderen Fahrradkuriere Cambridges interessant für die Forschung der aus Syrien stammenden Informatikerin Eiman Kanjo.

Zu wenig Messstationen

Eiman Kanjo hat in Schottland promoviert und forscht seit 2006 am Mathematischen Institut der Universität Cambridge. Sie will nachforschen, wie stark die Luft in Cambridge durch den Autoverkehr belastet wird. Doch in Cambridge gibt zu wenige Messstationen, um ein detailliertes Bild über die Luftbelastungen zu erhalten. Die Stadtverwaltung misst nur an vier fest installierten Stationen die Luftqualität. Eiman Kanjo benötigt Daten aus der ganzen Stadt und den Vororten: "Wir wollten überall in der Stadt die Belastung messen, nicht nur an vier festen Stellen. Dafür brauchten wir Menschen, die sich quasi selbst als mobile Messfühler durch die Stadt bewegen."

Mobiler Messsensor mit Handy-Anschluss

Fahrradkuriere scheinen für diese Aufgabe bestens geeignet: Ständig auf Achse, unterwegs in jedem Winkel der Stadt und sie haben immer ein Handy dabei. Mobiltelefone spielen in Eiman Kanjos Projekt eine zentrale Rolle: "Handys sind heute überall", erklärt die Informatikerin, "Mobiltelefone werden immer mehr zu Minicomputern, die wir auch programmieren können."

Ihr Plan: Die Fahrradkuriere nehmen einen tragbaren Mess-Sensor mit auf ihre Touren. Der misst ständig die Konzentration an Kohlenmonoxyd und Stickoxiden und übermittelt diese Daten über Bluetooth an das Handy. Ein GPS-Empfänger bestimmt zeitgleich die Position des Messsensors. Das Handy sendet dann diese ortsbezogenen Daten über das Mobilfunknetz an das Rechenzentrum der Universität.

Kinderkrankheiten

Die Fahrradkuriere waren sofort von Kanjos Plänen angetan. "Als Sie sagte, sie arbeitet an der Uni über Luftverschmutzung", erinnert sich Robert King, "hat es bei mir Klick gemacht. Jeden Tag fahren wir hinter den Bussen her. Wir wollten selbst wissen, welchen Qualm wir da eigentlich einatmen."

Doch die ersten Fahrten mit dem Sensor gingen schief. Die Verbindung zwischen den Geräten riss ab. Robert musste das Programm immer wieder neu starten. Und das war lästig für den Kurier: Denn Zeit ist Geld. Fast verlor Kanjo ihren freiwilligen Helfer. Die Informatikerin musste nachbessern: "Es ist sehr frustrierend, wenn alles fertig ist, und unsere Helfer dann auf der Straße zum Beispiel keinen GPS-Empfang haben. Wenn man Leute bittet, freiwillig mitzuhelfen, muss man für sie alles sehr, sehr einfach machen."

Die Technik muss einfach zu bedienen sein

Nach einem halben Jahr und nach vielen Stunden Programmierarbeit startete Eiman Kanjo den zweiten Versuch. Der GPS-Sender ist nun im Messsensor integriert. Ein Gerät weniger bedeutete dann auch eine Fehlerquelle weniger. Ein Knopfdruck sollte genügen und das Mess-Gerät beginnt seine Messungen.

Verknüpfung mit digitalen Landkarten

Das System läuft inzwischen zuverlässig und behindert Robert nicht während seinen Kurierfahrten. Es funkt nun kontinuierlich Verschmutzungsdaten ans Rechenzentrum. Ein Mausklick im Institut genügt und die ortsbezogenen Daten werden umgehend mit einer Google-Earth-Karte verknüpft. Eiman Kanjo kann somit Roberts Weg durch die Stadt verfolgen.

Am Ende eines einzigen Testtages hat Robert so ein ganzes Netz von Messwerten erradelt. Die ersten Ergebnisse zeigen: In einer eher kleinen Stadt wie Cambridge ist die Luftbelastung nur an einigen Hauptverkehrsstraßen hoch. Da Eiman Kanjo aber das herkömmliche Mobilfunknetz nutzt, könnte sie aber problemlos in jeder Großstadt der Welt messen.

Vierzig Sensoren gleichzeitig

Eiman Kanjo möchte ihr Messsystem auf vierzig mobile Messsensoren ausbauen – nicht nur mit der Hilfe von Fahrradkurieren, sondern auch in den Taschen von Politessen. Je mehr Daten im Mathematischen Institut dann einlaufen, desto genauer werden die Verschmutzungskarten sein, die Eiman Kanjo erstellen kann. "Wir möchten so ein regelrechtes Belastungsprofil für ganz Cambridge bekommen. Im Internet in Echtzeit abrufbar. Asthmatiker könnten dann von diesen Karten profitieren, indem sie sich online informieren. Um dann Orte mit der höchsten Belastung möglichst zu meiden", plant die Informatikerin.

Autor: Frank Nischk

Stand: 11.05.2012 13:00 Uhr

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