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Menschgemachte Naturgewalt – Bergbau

Oft beginnt es mit einem merkwürdigen Knirschen und Krachen, dicht gefolgt von einem seltsamen Pfeifen und starken Erschütterungen.

Was klingt wie die Beschreibung aus einem Erdbebengebiet, ist in diesem Fall kein Naturereignis, sondern das Resultat Jahrhunderte langen Bergbaus. So genannte Tagesbrüche - das Absacken von Füllmaterial oberflächennaher Schächte und Stollen - sind im Ruhrgebiet und anderen Bergbauregionen an der Tagesordnung.

Hohlräume unter Tage

Bergbau
Bergbau | Bild: dpa

2007 wurden von der Deutschen Steinkohle AG 21 Millionen Tonnen Steinkohle abgebaut. Diese Menge entspricht in etwa 323.000 Güterwagons. Hinzu kommt noch einmal in etwa dieselbe Menge an nutzlosem Gestein, die mit zu Tage gefördert wird. Das Ergebnis: große Abraumhalden, die weithin sichtbar sind.
Unter Tage bleiben riesige Hohlräume zurück. Insgesamt erstreckt sich das Stollensystem jedes Bergwerks über eine Länge von etwa 100 Kilometern und mehr.

Wenn sich die Erde auftut: Tagesbrüche

Kurz nach Silvester 2000 ereignet sich in Bochum-Höntrop, mitten in einem Wohngebiet, einer der bisher größten Tagesbrüche in Deutschland. Über Nacht bildet sich ein riesiger Krater, der eine Garage und ein Auto verschlingt. Zehn Wohnhäuser müssen evakuiert werden. Ursache ist ein stillgelegter Förderschacht der Zeche Maria Anna Steinbank 4, die zwischen 1732 und 1904 Steinkohle förderte.

Es ist einer der größten Tagesbrüche in letzter Zeit, aber bei weitem kein Einzelfall: Hunderte von Tagesbrüchen verzeichnet die Bezirksregierung Arnsberg jedes Jahr in NRW - nicht nur im Ruhrgebiet: Am 12. Februar 2004 bricht in Siegen das Fundament eines Hauses in einen vierzig Meter tiefen Erzschacht, der im vergangenen Jahrhundert mit lockeren Erdmassen verfüllt worden war. Es handelt sich um den ehemaligen Erzbergbaustollen "Hohe Grete", ein verfallenes, aber ausgedehntes Stollen- und Schachtsystem.

Geschichte: Suche nach dem schwarzen Gold

3.000 Meter mächtig ist die Kohle-führende Schicht unter dem Ruhrgebiet, im Süden stößt sie unmittelbar an die Erdoberfläche. Daher beginnt man zuerst hier, die Kohle abzubauen: Seit dem 16. Jahrhundert werden Stollen zunächst einfach in den Hanglagen in den Berg geschlagen. Doch bald sind die oberflächennahen Flöze erschöpft, der Bergbau rückt weiter nach Norden vor. Jetzt müssen senkrechte Schächte gebohrt werden, um an die Kohle zu kommen.

Unzählige Gruben entstehen. Hunderte von ihnen verteilen sich im Laufe der Jahrhunderte im Erdreich. Wie lang das System von Strecken, Stollen und Schächten insgesamt ist, ist kaum zu schätzen, denn der größte Teil des Bergbaus verläuft anfangs unkontrolliert. Erst ab 1865 gibt es eine Meldepflicht für Untertagebauten. Aber auch später sind lange nicht alle Gruben und Zechen bekannt: Besonders in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gibt es viele wilde Bohrungen.

Die Folgen des Bergbaus

Inzwischen sind die meisten Zechen im Ruhrgebiet stillgelegt, aber die Altlasten des Bergbaus sind noch lange nicht beseitigt. Oft sind die Stollen und Schächte bei der Stilllegung nur unzureichend verfüllt worden, dadurch blieben Hohlräume zurück, die im Laufe der Zeit einbrechen können.

Seit Anfang des 20. Jahrhunderts hat sich der Boden des Ruhrgebiets deswegen stellenweise um bis zu dreißig Meter abgesenkt. Unmittelbar gefährlich für die Bewohner sind aber nur die tagesnahen Stollen und Schächte in einer Tiefe bis zu dreißig Meter. Entscheidendes Problem hierbei: Meist weiß man nicht, wo genau die Gefahren lauern. Besonders im südlichen Revier ist die Dunkelziffer der verlassenen Schächte hoch. Auf ca. 20.000 Tagesöffnungen, die den Bergämtern heute bekannt sind, kommen geschätzte 40.000 nicht registrierte. Als Tagesöffnung werden im Bergbau bei einem Bergwerk alle Zugänge von der Erdoberfläche ins Grubengebäude, das die Schächte unter Tage umfaßt, bezeichnet.

Gebäudeschäden

Die Probleme, die der Steinkohleabbau im Ruhrgebiet und am Niederrhein verursacht, lassen sich vor allem auf ein Phänomen zurückführen: Die durch so genannte „Schremmwalzen" geschaffenen Hohlräume sacken in sich zusammen. Das setzt sich bis an die Oberfläche fort. Wenn unten im Berg in 800 m Tiefe ein Stollen einen Meter zusammen sackt, dann führt das an der Oberfläche zu einer 90 cm tiefen Mulde.

Dabei entstehen im Gebirge enorme Spannungen. Im Zentrum wird das Material gestaucht und an den Rändern der Mulde gezerrt. Gebäude, die an solchen Stellen stehen, bekommen Risse. Es kann durchaus auch zu Totalschäden kommen. Die Kosten für die Ausbesserung oder den Neubau eines Hauses muss die RAG (Ruhrkohle AG) tragen. In Neubaugebieten, die bedroht sind, zahlt die RAG auch vorbeugende Maßnahmen zur Sicherung des Hauses.

Termitenbau Deutschland?

Nicht nur das Ruhrgebiet, auch andere Bergbau-Regionen sind betroffen, beispielsweise die Kohlereviere an der Saar, der Kalibergbau im Nordosten oder im Erzbergbau im Siegerland. Das Problem dabei: Die potenziellen Gefahrenherde sind zum Teil nicht einmal bekannt. Viele Informationen fehlen oder sind durch Kriege verloren gegangen. Langsam werden zumindest die alten Kartenwerke in EDV-Systeme eingespeichert. In Zukunft soll nicht nur altes Kartenwerk, sondern auch die Topographie, Infrastruktur oder Bevölkerungsstruktur der Regionen mit dazugefügt werden. Wie bei Strombetreibern wünschen sich die Forscher eine Tafel mit aufleuchtenden Lichtern, wenn eine Region zur Gefahrenzone wird.

Grundwasser und Bäche

Wenn sich das Land senkt, bleibt das Grundwasser, wo es ist. Dadurch steigt das Grundwasser relativ zum Bodenniveau an. An einigen Stellen würde es sogar zu Tage treten, wenn nicht ständig überschüssiges Wasser aus den betroffenen Gebieten abgepumpt würde. Über ein komplexes Rohrsystem gelangt das Wasser in Rhein, Ruhr und andere Flüsse.

Im Ruhrgebiet beträgt die jährliche Pumpmenge ca. 450 Mio. Kubikmeter Grundwasser. Dabei fallen allein auf das Stadtgebiet Voerde, das über dem Bergwerk Walsum liegt, etwa 10 Millionen Kubikmeter Wasser, weitere 9,5 Millionen Kubikmeter sollen in den nächsten Jahren noch hinzukommen.

Nicht nur beim Grundwasser gibt es Probleme. Auch kleinere Flüsse und Bäche drohen, das Land zu überschwemmen, da sie durch die Landabsenkung aus eigener Kraft nicht mehr abfließen können. Auch durch Bergwerksaktivität erhöhte Deiche verhindern den Abfluss. An solchen Stellen werden große Pumpwerke errichtet, die die Bäche an die richtige Stelle befördern. Im ganzen Ruhrgebiet sind das etwa 50 Millionen Kubikmeter Bachwasser, die gepumpt werden müssen.

Deiche gegen Hochwassergefahr

Ein weiteres Problem ist Hochwasser. Wenn unter Deichen abgebaut wird, müssen diese entsprechend erhöht werden. Auch im Hinterland hat die Landsenkung Folgen: die Fläche, die bei einem Deichbruch überflutet würde, nimmt zu.

Im kleinen Ort Stapp im niederrheinischen Gebiet senkte sich der Deich in den vergangenen Jahren auf Grund des Abbaus im Bergwerk Walsum um etwa sechs Meter, einige Häuser aus dieser Region sanken um über vier Meter ab und mussten immer wieder saniert werden; zehn Häuser mussten abgerissen werden. Alle diese Maßnahmen kosten natürlich Geld. Die RAG leistet jährlich Kompensationszahlungen. Das macht etwa fünf Prozent des Kohlepreises aus.

Problemstellungen für den Hochwasserschutz

Das Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft an der RWTH-Aachen beschäftigt sich mit den Problemen und Folgen des Hochwasserschutzes. In drei unterschiedlichen Arten von Studien wurde von der dortigen Arbeitsgruppe im Auftrag des Landesumweltministeriums der Hochwasserschutz untersucht:

1. In sogenannten "Worst Case Szenarien" wurden die Auswirkungen von zukünftigen Bergsenkungen auf potentielle Überflutungsflächen ermittelt.

2. In großflächigen "Deichbruchszenarien" konnte an ausgewählten Beispielen entlang des Rheins die zeitabhängige Ausbreitung der Flutwelle berechnet werden.

3. In detaillierten Untersuchungen beschreiben die Forscher die Kräfteverhältnisse und die Dynamik am Deichbruch.

Ziel all dieser Untersuchungen ist das Risiko zu analysieren und Präventionsmaßnahmen zum Schutz der betroffenen Region zu entwickeln. Die Prognosen für den "Worst Case" erlauben, die richtigen Vorkehrungen für den Ernstfall schon im Vorfeld treffen zu können.

Deichbruch simuliert

In der Nähe der Siedlung Stapp, direkt an der Mündung der Emscher in den Rhein, haben die Aachener Forscher einen Deichbruch simuliert. Wenn man die Landsenkung bis zum Jahr 2000 berücksichtigt, so das Ergebnis der Forscher, wären etwa 5000 Menschen betroffen. 500 von ihnen wären unmittelbar gefährdet.
Die Vergleichsrechnung der Forscher ergab: Würde das Bergwerk Walsum, wie ursprünglich im Betriebsplan vorgesehen, bis zum Jahr 2019 das Land weiter absenken, wären 58.000 Menschen betroffen und 4.500 gefährdet.
Inzwischen wurde jedoch beschlossen, das Bergwerk Walsum bereits zum 1. Juni 2008 zu schließen.

Autoren: Reinhart Brüning / Jakob Kneser

Stand: 13.02.2014 11:24 Uhr

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