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Plastik für den Kompost

Problemfall Plastikmüll: Wäre es nicht wunderbar, wenn Tüten, Flaschen und Folien einfach auf den Kompost könnten und dort wie von selbst verschwinden würden? Was klingt wie Zukunftsmusik, ist längst Realität.

Nur kaum ein Supermarktkunde kennt es: das sogenannte Sämlingssiegel. Es garantiert eine biologische Plastikentsorgung ohne umweltschädliche Rückstände: "Der Sämling steht für die geprüfte, nachgewiesene Kompostierbarkeit. Das heißt, die Produkte können in der Bioabfallsammlung verwertet werden. Sie werden dann zu Kompost, zu Erde. Und zwar in der gleichen Zeit wie ein Salatblatt oder eine Kartoffelschale", erklärt Dr. Harald Käb von European Bioplastics, dem Branchenverband der Hersteller, Verarbeiter und Anwender von Bioplastik.

Bioplastik zerfällt in acht bis zwölf Wochen

Der Begriff Bioplastik bezeichnet aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellte Kunststoffe. In ihrer „Edelversion“ sind sie zudem kompostierbar, das bedeutet, dass sie in acht bis zwölf Wochen durch Kleinstlebewesen, den Mikroben, zersetzt werden und zu Kohlendioxid, Wasser und Humus zerfallen, also vollständig verrotten.

Pflanzliche Rohstoffe

Cellulose-, Stärke- und Polymilchsäure liefern die Basis für das kompostierbare Plastik. Beispiel Stärke: Ausgangsstoff ist herkömmliches Stärkepulver aus Mais oder Kartoffeln. In so genannten Extrudern verbinden sich die einzelnen Stärkemoleküle zu langen Molekülketten, den Polymeren. Dadurch entsteht eine zähe Masse, aus der sich dann je nach Zusätzen dann Kunststoffe mit ganz verschiedenen Eigenschaften herstellen lassen.

Bioplastik ist ein alter Hut

Schon seit über einhundert Jahren kann man aus Naturstoffen wie Stärke oder Cellulose Plastik herstellen: "Kunststoffe aus Naturstoffen herstellen, das ist nicht neu. Das ist ein Thema, mit dem wir uns in der Industrie schon sehr lange beschäftigt haben. Ich denke, hier haben eben nur Weiterentwicklungen stattgefunden, so dass wir heute sagen können, diese Produkte sind einfach industriell angepasst, so dass man damit vernünftige Verpackungen herstellen kann", sagt Ute Honert, Produktdesignerin in einem Betrieb, der Bioplastikfolien herstellt.

Akzeptanzprobleme

Obwohl es heute kein Problem mehr ist, Biokunststoff zu Folien zu ziehen, zu Tüten zu blasen und zu Trinkbechern oder Besteck zu formen – die Hersteller sind hierzulande lange auf ihren Erzeugnissen sitzen geblieben. Das ändert sich allmählich: Auf der Interpack in Düsseldorf - der Branchenmesse der Verpackungsindustrie - sind Produkte aus Bioplastik dieses Jahr der Publikumsmagnet. Vor allem kurzlebige Einwegverpackungen aus Biokunststoff stehen hoch im Kurs, weiß Harald Käb: "Kompostierbare Verpackungen sind gut für kurzlebige Lebensmittel. Das sind vor allem frisches Fleisch, Obst, Gemüse. Da haftet dann oft noch ein Rest von Lebensmitteln an der Verpackung, sehr gut zu kompostieren. Das macht in Deutschland einen Markt von etwa 200.000 Tonnen aus, den wir auf diese Art und Weise mit Biokunststoffen besetzen können."

Erfolgreiches Modellprojekt

Ein lohnendes Ziel - fand man bereits im Jahre 2001 in Kassel. Zwei Jahre lang wurde hier in einem weltweit einmaligen Projekt die Zukunft geprobt: Über 200.000 Bürger, 1.000 Lebensmittelgeschäfte, die Stadtentsorgung und diverse Hersteller waren mit von der Partie. Im Angebot: Ein gutes Dutzend Produkte, bestehend aus oder verpackt in Bio-Kunststoff, der vollständig auf dem Kompost entsorgt und so in den Stoffkreislauf zurückgeführt werden sollte.

Die Resonanz war enorm: Die Kassler waren sogar bereit, den etwas höheren Preis für die Produkte zu zahlen. Und sie hatten keine Probleme, das Bioplastik als solches zu erkennen und zusammen mit den Grünabfällen "in die richtige Tonne" zu entsorgen. Laut Jöran Reske vom beteiligten Entsorgungsunternehmen Interseroh war das Kassler Projekt ein Erfolg auf ganzer Linie. Sogar die Rückführung der Bioplastikabfälle in den organischen Stoffkreislauf sei gelungen: "Der Kompost, der erzeugt worden ist, inklusive der kompostierbaren Verpackungen, ist anschließend in der Landwirtschaft ausgebracht worden, auf Felder, in dem Fall waren es Grünkohlkulturen, die mit dem Kompost gedüngt wurden und wir haben dabei in keinster Weise Auffälligkeiten festgestellt. Der Kompost ist ganz genau so gut wie üblicher Qualitätskompost."

Deutschland verspätet auf dem "Bio-Trip"

Schnell zeigte das Kassler Modell Wirkung – zunächst allerdings in der Ferne. Einige europäische Nachbarstaaten wie die Niederlande oder Großbritannien setzten im großen Stil kompostierbare Kunststoffe ein. Deutschland kam erst später auf den "Bio-Trip", verursacht durch die explodierenden Erdölpreise. Inzwischen hat aber auch hierzulande die Industrie ihr "ökologisches Gewissen" entdeckt.

Zwei Gründe sind für den Trend ausschlaggebend, so Harald Käb: "Die Biokunststoffe befinden sich heute im Aufwind durch die Diskussion um Klimaschutz und die Teuerung von fossilen Rohstoffen. Darauf geben sie Antworten. Außerdem haben sie Vorteile durch die Gesetzgebung. Sie sind von den Auflagen beim Grünen Punkt befreit, sparen dadurch auch Entsorgungsgebühren ein."

Hoffnung für Weltmeere?

Hält dieser Trend an, dann könnte in fünf Jahren ein Viertel aller Plastikprodukte in Deutschland auf kompostierbaren Kunststoffen basieren. Und auch für die vermüllten Weltmeere besteht Hoffnung: Schon jetzt gibt es Bioplastik, dass bei Kontakt mit Wasser binnen weniger Minuten in Kohlendioxid und essbaren Stärkeschleim zerfällt.

Autor: Volker Arend

Adressen & Links

European Bioplastics

Branchenverband der Hersteller, Verarbeiter und Anwender von Bioplastik

Marienstr. 19 – 20
10117 Berlin
Tel.: 030 - 28 48 23 50
Fax: 030 - 28 48 23 59
E-mail: info@european-bioplastics.org
Internet: http://www.european-bioplastics.org

Fachagentur für Nachwachsende Rohstoffe

Projektträger des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Hofplatz 1
18276 Gülzow

Tel.: 0 38 43 - 69 30 - 0
Fax: 0 38 43 - 69 30 - 1 02
E-mail: info@fnr.de
URL: http://www.fnr.de

DIN CERTCO

Gesellschaft für Konformitätsbewertung mbH

Tochterunternehmen vom TÜV-Rheinland / prüft Bioplastikprodukte und vergibt das Sämlingssiegel

Alboinstr. 56
D-12103 Berlin
Tel.: 030 - 75 62 - 11 31
Fax: 030 - 75 62 - 11 41
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Internet: http://dincertco.de

Stand: 27.09.2013 09:53 Uhr

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