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Buntbarsche für das Gleichgewicht

Mosambique-Buntbarsche
Mosambique-Buntbarsche. | Bild: SWR

Mosambique-Buntbarsche sind eigentlich eher unscheinbare Speisefische, die Exemplare der Universität Stuttgart aber sind die Untersuchungsobjekte von Prof. Reinhard Hilbig.
Die Tiere können dem Biologen und seinem Team helfen, Therapien gegen Schwindelgefühl zu entwickeln. Denn die Erkenntnisse der Biologen kann Prof. Thomas Lempert in seiner Schwindel-Sprechstunde anwenden. „Fische haben ein ganz ähnliches Gleichgewichtsorgan wie Menschen, so dass diese einfachen niederen Tiere uns helfen, Rückschlüsse, die am Ende sogar für unsere Therapie relevant sind, zu ziehen“ so der Neurologe an der Schlosspark-Klinik Berlin.

Das Abenteuer der Forschungsfische

Um ihren Gleichgewichtsinn genauer untersuchen zu können, sollen die Forschungsfische als Stellvertreter des Menschen der Schwerelosigkeit ausgesetzt werden. In einem Spezialcontainer werden sie sich frei von Einflüssen der Schwerkraft im Raum orientieren müssen. Das Abenteuer beginnt über den Wolken. Reinhard Hilbig und seine Schützlinge sind Passagiere auf diesem Parabelflug. Durch den freien Fall des Flugzeugs geraten sie in die Schwerelosigkeit.
Das Gefühl für unten und oben verschwindet und auch mancher Fisch vollführt orientierungslose Purzelbäume. Wichtig ist es nun, sich mit den Augen statt mit dem Gleichgewichtssinn zu orientieren.
„Wenn das nicht funktioniert“ so Biologe Hilbig „dann kommt es sowohl bei den Fischen als auch bei uns zu den üblichen neuronalen Konflikten oder Hirnkonflikten. Uns wird schlecht und wir müssen uns übergeben. Und in Extremsituationen können das auch Fische. Wir sind also alle zusammen Wirbeltiere mit den gleichen Basisreflexen.“

Fisch-Verwandte

Untersuchung eines Buntbarsches unter dem Mikroskop
Untersuchung eines Buntbarsches unter dem Mikroskop. | Bild: SWR

Fische und Menschen - eine hilfreiche Verwandtschaft. Denn Fische lehren uns etwas über den Menschen. Ihr Gleichgewichtssinn ist mit unserem direkt vergleichbar. Und ihr Schwindel hat womöglich dieselben Ursachen. Die Forscher wollen herausfinden, warum manchen Fischen schwindelig wird und anderen nicht. Dazu ist ein genauer Blick auf die Anatomie der Tiere nötig. Denn im Kopf sitzen links und rechts winzige Steinchen, die Statolithen. Sie steuern den Gleichgewichtssinn. Bei Fischen mit Schwindel sind sie am „falschen Ort“, also verrutscht. Ein möglicher Grund für den Schwindel auch beim Menschen?

Tatsächlich finden sich auch in unserem Innenohr winzige Steinchen, vergleichbar mit den Statolithen der Fische. Wenn sie durch eine Lageänderung bewegt werden, entsteht ein Sinnesreiz im Gehirn.
Wenn sie sich kaum bewegen, da der Patient etwa sitzt, aber die Augen eine Bewegung registrieren, entsteht ein Konflikt. Und der wird im Labor für Experimentelle Gleichgewichtsforschung der Charité als Schwindel diagnostiziert, wie Prof. Andrew Clarke verrät. „Wir messen hier Augenbewegungen, die durch Stimulation der Gleichgewichtsorgane hervorgerufen werden, und schließen damit zurück auf die Funktion der Gleichgewichtsorgane. Das heißt, die Messung von Augenbewegungen ist immanent wichtig bei der Untersuchung von Gleichgewichtssystemen.“ So geben die Augen dem Arzt auch einen Hinweis darauf, dass mit den Steinchen im Innenohr vielleicht etwas nicht stimmt. Teilweise können sie sich abgelöst haben und durch das Innenohr wandern, bis sie sich schließlich in einem der Bogengänge ablagern.

Labyrinthspiel im Kopf des Menschen

„Wenn ich weiß, in welchem Bogengang die Steinchen unterwegs sind, dann muss ich den Kopf nur noch in Positionen bringen, die einfach der Schwerkraft nach die Steinchen rutschen lassen, bis sie den richtigen Weg rausgefunden haben. So ähnlich wie so ein kleines Labyrinthspiel, was sie auf der Hand manipulieren, bis die Kügelchen in die richtige Ecke gerollt sind“ sagt Thomas Lempert. Dieses Labyrinthspiel wird nun mit dem Kopf der Schwindel-Patientin durchgeführt. Die Steine werden einfach zurückbefördert. Eine ebenso ungewöhnliche wie unbekannte Therapieform. „Viele Fachärzte, die wegen Schwindel aufgesucht werden, kennen diese Therapie noch nicht, und es ist unbedingt nötig, dass sich das verbreitet, weil man den Menschen fast wie mit einer Wunderkur von einem Augenblick auf den anderen helfen kann.

Fast eine Wunderkur

Eine Wunderkur, die wir der Arbeit mit unseren Fischverwandten verdanken, die sich als Versuchtiere einem künstlich erzeugten Schwindelgefühl aussetzen müssen, um mit Ihrer Hilfe Therapien für den Menschen entwickeln zu können.

Autor: Axel Wagner (SWR)

Stand: 29.07.2015 13:42 Uhr

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