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Cryo-Brehm – Arche Noah auf Eis

Forscher des Fraunhofer Instituts für Biomedizinische Technik im Saarland (IBMT) bauen ein besonderes Archiv auf: Sie frieren lebende Zellen von Tieren ein und lagern sie in Stahltanks mit flüssigem Stickstoff.

Ihr Ziel ist, einmal alle heute lebende Wirbeltiere in dieser Sammlung zu verewigen und so alle Informationen über unsere heutige Tierwelt für die Zukunft zu retten. In Anlehnung an das Nachschlagewerk "Brehms Tierleben" nennen sie es den "Cryo-Brehm".

Ein Archiv für Stammzellen

Mehrere Stahlbehälter in Lagerhalle
In den Stahltanks lagern Gewebeproben vieler Wildtiere. | Bild: WDR

Für dieses ehrgeizige Projekt arbeiten sie mit Zoos und Tierparks zusammen. Kein Tier soll dabei sterben oder leiden. Spender für die Datenbank sind Zoo- oder Wildtiere, die bei einem Unfall umkommen oder eines natürlich Todes sterben. Ihnen entnimmt ein Tierarzt nach dem Tod Gewebe, aus dem die Forscher dann die richtigen Zellen isolieren.

Es sind besondere Zellen, nach denen sie suchen: Stammzellen. Sie eignen sich besonders gut für das Archiv, weil sie sich immer weiter vermehren lassen und in verschiedene andere Zelltypen weiterentwickeln können. Das Partnerinstitut, die Fraunhofer Einrichtung für Marine Biotechnologie in Lübeck, hat die nötige Technik entwickelt, um die Stammzellen identifizieren und isolieren zu können.

Ein mobiles Labor

Wenn ein Zoo meldet, dass ein Tier gestorben ist, ist Eile geboten. Bis etwa acht Stunden nach dem Tod können noch Zellproben entnommen werden. Das Fraunhofer Institut hat eigens für solche Fälle ein mobiles Labor zur Verfügung. Es handelt sich um einen LKW mit Brutschränken und Kryotanks an Bord. Hier kann noch vor Ort die Isolation und Anzucht der empfindlichen Stammzellen erfolgen. Die einzige Möglichkeit, Zellen lebend aufzubewahren, ist derzeit das Tieffrieren bei Temperaturen unter minus 130 Grad Celsius. Dann wird das Leben angehalten. Doch nur, wenn man die richtige Technik einsetzt, können die Zellen die Kühlung auf solche Temperaturen überleben.

Gefrierschutz für Zellen

Computergrafik: Geschrumpfte Zellen, die von Eiskritallen in den Zellzwischenräumen zusammengequetscht werden
Beim Einfrieren schrumpfen Zellen zusammen, die entstehenden Eiskristalle können die Zellmembranen zerstören. | Bild: WDR

Sobald lebendes Gewebe abgekühlt wird, entstehen nämlich Eiskristalle. Oft zunächst in den Räumen zwischen den Zellen. Dadurch wird Wasser aus den Zellen gezogen. Die Zellen schrumpfen schließlich so stark, dass sie Schaden nehmen. Diese Zellen kann man dann nicht mehr zum Leben erwecken.

Um das zu verhindern, gibt man Gefrierschutzmittel zu den Zellen. Aber zuviel Gefrierschutz ist giftig für die Zellen und zu wenig verhindert nicht die Bildung der gefährlichen großen Eiskristalle. Die richtige Dosierung ist für jede Tierart und jeden Zelltyp etwas anders und muss experimentell ermittelt werden. Wenn alles stimmt, dann bilden sich die Eiskristalle erst bei tieferen Temperaturen, sie werden nicht mehr so groß und verteilen sich gleichmäßig.

Bei ruhiger Lagerung und Temperaturen unter minus 130 Grad Celsius bleiben die Zellen über Jahrzehnte, wahrscheinlich sogar Jahrhunderte lebensfähig. Bislang gelingt dies aber nur mit kleinen Objekten, Zellen und kleinen Gewebestückchen.

Größere Objekte kann man noch nicht einfrieren, weil das Gefrierschutzmittel nicht schnell genug überall hin gelangen kann. Mit Fischen, Vögeln und Säugern haben die Forscher inzwischen viel Erfahrung gesammelt, so sind zum Beispiel Schneeleopard, Wisent, Giraffe, Weißnackenkranich und Stör bereits im Archiv vertreten. Bei Fröschen und anderen Amphibien ist man erst im Experimentierstadium.

Verwaltung mit Hitec

Um die vielen Zellproben einmal verwalten zu können, haben die Wissenschaftler des IBMT eine Technologie entwickelt: Jede Zellprobe ist mit einem Chip versehen, auf dem alle Informationen über diese Probe gespeichert sind. Von Zeit zu Zeit werden Proben auch aufgetaut, um zu überprüfen, ob sie noch lebendig sind, oder um sie zu Forschungszwecken zu verschicken. Das Herausnehmen aus den Kryotanks erfolgt mit Hilfe ausgeklügelter Technik. Denn die anderen Proben dürfen nicht erschüttert oder warm werden.

So wird im Saarland alles vorbereitet für das geplante komplette Archiv aller Wirbeltiere. "Wir sind es unseren Nachfahren schuldig, dass wir bei den Veränderungen, die wir in der Umwelt hervorrufen, diese Umwelt so umfangreich und vollständig wie möglich dokumentieren. Denn das kann später nicht mehr nachgeholt werden. Wir wären glücklich, wenn wir wüssten, was vor tausend Jahren alles in unseren Wäldern gelebt hat", sagt Prof. Günter Fuhr, Direktor des IBMT.

In jeder einzelnen Zelle, die die Forscher des Fraunhofer Instituts einfrieren, sind sämtliche Informationen über das Tier enthalten. Damit können die Forscher der Zukunft später auch Fragen beantworten, die uns jetzt vielleicht noch gar nicht einfallen.

Autorin: Eva Schultes

Stand: 29.07.2015 14:16 Uhr

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