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Expo City Shanghai: "Better City - Better Life?"

Der deutsche Pavillon auf der EXPO 2010
Der deutsche Pavillion auf der Expo 2010 | Bild: NDR

Chinas Regime will die EXPO in Shanghai zu einer Weltausstellung der Superlative machen: Rund 70 Millionen Besucher werden zwischen Mai und Oktober erwartet. Zum Vergleich besuchten die EXPO Hannover im Jahr 2000 18 Millionen Menschen. Fast 30 Milliarden Euro kosten alle Baumaßnahmen rund um das gigantische Projekt in der Innenstadt der chinesischen Metropole - auf fast sechs Quadratkilometern in bester Lage, direkt am Huangpu-Fluss. Damit das Expo−Gelände aus dem Boden gestampft werden konnte, mussten 18.000 Anwohner, 270 Firmen und der Hafen Jiang Nan mit Tausenden Arbeitern ihren Platz räumen. Die Zahlen zeigen: Wenn China die Welt zu Besuch hat, klotzt das Regime mit aller Macht. Wie zu den Olympischen Spielen in Peking 2008 darf auch dem Prestige-Projekt EXPO nichts im Weg stehen. Unter dem Motto "Better city, better life" haben Chinas Machthaber Shanghai auf Hochglanz getrimmt. Sie wollen die 18-Millionen-Megacity als Modellstadt der Zukunft präsentieren: harmonisch, friedliebend, umweltfreundlich.

Das Glitzern einer Megacity

Viele Chinesen sind mächtig stolz darauf, dass ihr Land mit der EXPO erneut eine Veranstaltung von Weltrang ausrichtet. Und die Mehrheit befürwortet auch die rasante Modernisierung ihrer Megacity. An historisch wertvollen Altstädten hängt man im Reich der Mitte nicht so sehr wie in Europa. Um deren Bausubstanz und die hygienischen Verhältnisse steht es oft nicht sehr gut. Die Modernisierungswelle bedeutet also durchaus auch einen Fortschritt für viele Bewohner. Und auch einheimische Touristen sind von den vielen neuen Hochhäusern begeistert. Davon konnte sich das W-wieWissen-Team überzeugen, als es eine chinesische Reisegruppe samt Stadtführerin durch das "Manhattan des Ostens" im Finanzdistrikt Pudong begleitete. Die letzten Shanghai-typischen Shikumen-Wohnhäuser - mittlerweile wegen weiterer Neubaupläne auch vom Abriss bedroht – bekommen sie gar nicht zu Gesicht. Nur ein paar auf alt getrimmte Neubauten ziehen an ihren Objektiven vorbei. Und natürlich das EXPO-Gelände. Mit Stolz blicken sie auf den chinesischen Pavillon inmitten internationalen Flairs. Das Motto der Weltausstellung scheint sich hier zu bewahrheiten: Better city – better life.

Bessere Stadt – besseres Leben?

Einige Shanghaier sehen dieses Motto mittlerweile nur noch als zynische Propaganda, denn die EXPO hat zwar ihr Leben radikal verändert, aber von "besser" ist in ihrem Alltag nichts zu spüren. Sie wurden gewaltsam aus Häusern und Wohnungen vertrieben, als die Bagger kamen. Von Schlägertrupps rausgeschmissen. Einige Menschen, die gegen ihren Willen umgesiedelt werden sollten, bewiesen großen Mut. Sie wehrten sich und forderten Wiedergutmachung – dann kam die Polizei. Es folgten Verhaftungen, Prügel, Einschüchterung und Überwachung. Bis heute werden sie von den Behörden drangsaliert. Diese Menschen haben kaum Geld, auch weil sie im Kampf um ihre Rechte den Job verloren haben. Sie leben in den armen Vierteln der Stadt auf engstem Raum, der Glanz der Vorzeige-Metropole ist weit weg.

Absturz ins Elend!

Auch Zhou Jinghong hatte keine andere Wahl, als der EXPO Platz zu machen und in ein ärmliches Viertel weit draußen am Stadtrand zu ziehen. Gemeinsam mit seiner Frau Li Guangrong lebt er schon seit drei Jahren dort. Ihr altes Wohnhaus: abgerissen. Auch sie haben sich damals dagegen gewehrt. Die Quittung: Eine finanzielle Entschädigung wurde ihnen verweigert. Heute stehen schicke EXPO-Pavillons dort, wo das Ehepaar brutal verjagt wurden: "Polizisten und einige andere Männer sind gewaltsam eingebrochen, sie haben mich mitgenommen und eingesperrt", erzählt Zhou Jinghong. "Als ich am nächsten Tag freigelassen wurde und nach Hause ging, war alles weg. Da war kein Haus mehr. Und alle unsere Sachen waren fort." Dreimal wurde ihr Mann verhaftet, auch Li Guangrong sperrte die Polizei für Tage ein. Weil sie sich bei den Behörden beschwerten, verloren beide ihre Arbeit. Wer in China stört, der landet schnell im Elend. Li Guangrong kann es noch immer nicht fassen: "Meine Mutter bringt uns manchmal etwas zu essen, mit über 80 Jahren! Wir haben noch nicht einmal mehr Reis. Wir sind völlig verarmt. Können Sie das glauben? Dass wir so leben, als Bürger von Shanghai?"

Die im Dunkeln sieht man nicht

Von all dem bekommen die meisten Einwohner und Besucher des modernen Shanghai nichts mit. Weil das Regime dieses Thema mit aller Macht totschweigt, weiß niemand wie viele dieser Fälle es gibt. Aber es müssen Hunderte sein, denn noch im Januar sind über Tausend mutige Shanghaier in kleinen Gruppen heimlich und unbemerkt von der Geheimpolizei nach Peking gereist, um an die Regierung zu appellieren. Vergeblich. Als einzige Reaktion veröffentlichten die Behörden in Shanghai eine Stellungnahme: Im Umgang mit den Bürgern sei alles transparent und rechtmäßig verlaufen, 99,64 Prozent der Betroffenen hätten einen Umsiedlungsvertrag unterschrieben. Das ist zwar so unglaubwürdig wie die Wahlergebnisse in totalitären Staaten, passt den Behörden aber gut ins gewünschte Bild von Shanghai: Better city- better life.

Adressen & Links

Informationen zur Expo auf der offiziellen Seite des Deutschen Pavillons
www.expo2010-deutschland.de

Auf der Website der Chinesischen Botschaft in Deutschland gibt es ein Interview mit dem Expo-Vizedirektor zu kritischen Fragen rund um Expo
www.china-botschaft.de

Ein deutschsprachiges Beispiel für die Expo-Jubelpropaganda in China.
www.chinatoday.com.cn

Beispiel für eine deutschsprachige Seite, mit der China die in unseren Medien
verzerrte Sicht der Dinge klarstellt.
german.china.org.cn/

Amnesty International unterstützt eine Frau, die sich für die Interessen der Zwangsgeräumten einsetzte und deshalb im Gefängnis sitzt.
www.amnesty.de

Autor: Daniel Satra (NDR)

Stand: 12.08.2015 12:51 Uhr

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