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Garten Eden im Sperrgebiet

Die Geschichte des Apfels

Kasachstan
Von hier soll der Apfel-Urahn stammen: Kasachstan | Bild: WDR

Jeder kennt ihn, (fast) jeder mag ihn. Doch wer weiß schon, woher der Apfel eigentlich stammt? Gibt es einen 'Garten Eden', von wo aus das begehrte Obst die Welt eroberte? Die Suche führt in ein Land, das lange Zeit von der Außenwelt verschlossen war: nach Kasachstan in Zentralasien.

Ein Wald voller Apfelbäume

Die Biologin Raya Toulekhanova
Die Biologin Raya Toulekhanova | Bild: WDR

Im Tianshan-Gebirge an der Grenze zu China führt uns die Biologin Dr. Raya Toulekhanova in Wälder, in denen unzählige Apfelbäume wachsen. Wilde Apfelbäume, die niemand gepflanzt hat, sondern seit Urzeiten hier von Natur aus vorkommen. Normalerweise wachsen Apfelbäume nicht in Wäldern, normalerweise sind wilde Apfelarten ungenießbar. Doch in Kasachstan ist nichts normal. Wohin man auch blickt: Die Wipfel sind voller roter und gelber Äpfel, Apfelbäume in einer unglaublichen genetischen Vielfalt. Jeder Berg, jeder Hang kennt seine eigene Varietät.

Kraftvoll zubeißen

Ein angebissener Apfel
Die Forscherin isst selbst gerne Äpfel | Bild: WDR

Die Forscherin aus der Hauptstadt Almaty isst selbst gerne Äpfel und beißt immer wieder in eine Frucht. Mit Begeisterung erzählt sie uns von den wunderbaren Aromen: mal säuerlich, mal süßer, mal besser für Kompott, mal eher für Apfelwein geeignet. Baumriesen, die schätzungsweise 300 Jahre alt sind, zeigt uns die Apfelexpertin, Bäume - bis zu 30 Meter hoch und mit zwei Metern Durchmesser. Und die Äpfel schmecken nicht nur, die Bäume widerstehen Temperaturen von minus 40 bis zu plus 40 Grad Celsius, Stürmen, Eis und Schnee. Auch Schädlinge wie der von Obstbauern gefürchtete Apfelschorf können den wilden Äpfeln kaum etwas anhaben.

Die Forscherin ist stolz auf ihre Apfelbäume

Ein Apfelbaum
Die Wildäpfel in Kasachstan schmecken gut | Bild: WDR

Dr. Raya Toulekhanova ist stolz auf ihre Bäume. Denn im Gegensatz zu anderen Wildapfelarten schmecken sie nicht nur gut und sind robust gegen Wetter und Schädlinge, sondern ähneln auch unseren heutigen Hochleistungssorten wie Granny Smith, Braeburn und Gala. Viele Äpfel in Kasachstans Wäldern sehen so aus, als könnten sie direkt im Supermarkt verkauft werden. Das macht sie wertvoll für die Züchtung. Der wissenschaftliche Name der Art lautet Malus sieversii.

Der Ur-Apfel

Wildäpfel
Wildäpfel | Bild: WDR

Aufgrund von langjährigen Beobachtungen und Vergleichen geht Dr. Toulekhanova davon aus, dass Malus sieversii der Urahn unserer gezüchteten Äpfel ist. Dabei können die Früchte dieser Wildapfelart sehr unterschiedlich aussehen. Manche gleichen von ihrer Größe und Form her eher Oliven oder großen Kirschen. Doch am weitesten verbreitet sind in den Wäldern Bäume mit Früchten, die an das Obst aus dem Supermarkt erinnern. Doch wieso ist das so? Wieso hat Malus Sieversii meistens Äpfel, die groß sind und lecker schmecken?

Dem Bär auf der Spur

Bärenexkremente mit Apfelresten
Hinterlassenschaft eines Bären | Bild: WDR

Die Biologin aus Almaty glaubt: Es könnte am feinen Geschmack der Bären liegen. Denn die kommen seit jeher zahlreich in den Tianshan-Bergen vor. Die vor allem vegetarisch lebenden Bären lieben die Wildäpfel und kommen immer wieder an die Stellen zurück, wo sie besonders viele, dicke und süße Früchte finden. Dr. Toulekhanova macht uns auf den Kot von Bären aufmerksam, die kurz vor uns den Apfelbäumen einen Besuch abgestattet haben. Alle enthalten Apfelkerne, die im Darm der Bären überlebt und mit dem Kot wieder ausgeschieden wurden. Und aus denen können, das weiß die Apfelforscherin aus eigenen Experimenten, dann wieder ganze Bäume heranwachsen, sozusagen im besten Kompost. So waren es vermutlich die Bären, die die Kerne der besten Bäume immer weiter verbreiteten und dafür sorgten, dass sich im Laufe der Zeit Malus Sieversii zu einer besonders schmackhaften Apfelart entwickelte.

Dann kamen die Nomaden

Ein Apfel
Apfel sind heute fast überall auf der Welt beliebt | Bild: WDR

Und später kamen dann Sammler und Nomaden, Karawanen und die Reisenden auf der Seidenstraße, die durch das Tianshan-Gebiet führte, hinzu. Der Siegeszug des Apfels begann, zuerst nach Europa und von dort in die Welt. Doch beweisen kann Dr. Toulekhanova diese Annahme nicht. Das kann nur ein Gentest, und dafür fehlt den Wissenschaftlern in Kasachstan die Ausrüstung und das Geld. Doch Forscher von der Universität Oxford in England haben ihren Kollegen aus Zentralasien geholfen.

Der letzte Beweis

Gensequenz
Eine Genanalyse liefert den letzten Beweis | Bild: WDR

Eine Forschergruppe um Dr. Barrie Juniper analysierte und verglich das Erbgut aller Wildapfelsorten mit denen unserer gezüchteten Hausäpfel der Art "Malus domestica". Siehe da: Malus sieversii und Malus domestica weisen mehr identische Gensequenzen als alle anderen Arten. Die Apfelbäume aus Zentralasien sind tatsächlich die Vorfahren der heutigen Apfelsorten, die im Laufe der Zeit gezüchtet wurden. Dr. Toulekhanova ist überzeugt: "In Kasachstan liegt der Garten Eden."

Weitere Informationen

"Les origines de la pomme", ein Film von Catherine Peix für Arte und den SWR.

Autor: Thomas Weidenbach (WDR)

Stand: 24.09.2015 14:11 Uhr

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