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Macht Urlaub krank und dumm?

Menschen, die bald in Urlaub fahren, sind glücklicher als Menschen, die weiter arbeiten müssen - schon Wochen, bevor die Reise losgeht. Das haben verschiedene Studien gezeigt. Aber die ersehnte Freizeit muss keineswegs für alle zur schönsten Zeit des Jahres werden. Nein, Wissenschaftler haben festgestellt, dass Reisenden allerhand körperliche und seelische Gefahren drohen:

Leisure Illness

Mann liegt im Sand
Antriebslos durch Koffeinentzug? | Bild: NDR

Die "Nichtstun-Krankheit" erwischt viele Reisende schon auf dem Weg in den Urlaub. Gerade Menschen, die beruflich sehr unter Druck stehen, verbringen die ersten Urlaubstage oft krank im Bett. Offenbar hat der Körper die Möglichkeit, den Ausbruch von Krankheiten zu verzögern, bis zu einem Moment, in dem er sie "sich erlauben" kann. "Wenn Sie wissen, jetzt muss ich zwei Wochen nichts tun", so Psychologin Bettina von Schorlemer, "dann bekommen viele Menschen Erkältungen, fühlen sich schlapp und entwickeln sogar grippale Infekte." Ein weiterer Grund für Mattigkeit und schlechte Laune in den ersten Urlaubstagen, kann auch ein ganz banaler sein: Viel weniger Kaffee als im Job! "Man denkt gar nicht, dass das negativ sein kann", sagt der Neurologe Prof. Reinhard Dengler von der Medizinischen Hochschule Hannover, "aber es kommt zu einem Koffeinentzug, der unangenehm ist und zum Beispiel Kopfschmerzen verursacht."

Liegestuhl-Depression

Frau liegt im Liegestuhl
Was tun mit der freien Zeit? | Bild: NDR

Vielen Menschen fällt es gerade zu Beginn des Urlaubs sehr schwer, abzuschalten. Sie stehen im Beruf so unter Strom, dass sie es gewöhnt sind, immer einen hohen Adrenalinspiegel im Blut zu haben. In den ersten Urlaubstagen spüren sie deshalb oft große Unruhe. Manche können sich auch nur schwer in dem unstrukturierten Tagesablauf eines Urlaubs zurechtfinden. Sie haben das Gefühl, die Kontrolle zu verlieren und fallen in ein Loch. "Liegestuhl-Depression" wird dieses Phänomen oft genannt. Zu Unrecht, wie Bettina von Schorlemer meint, schließlich handelt es sich nicht um eine Stoffwechselstörung, wie bei einer echten Depression. "Es geht vielleicht um eine Art Liegestuhl-Blues, das würde mir besser gefallen. Eine depressive Verstimmung, ein Unwohlsein, eine Hilflosigkeit, mit der plötzlich zur Verfügung stehenden freien Zeit etwas anfangen zu können," sagt die Therapeutin.

Erhöhtes Scheidungsrisiko

Pärchen hält Händchen
Am Anfang des Urlaubs verstehen sich die meisten Paare gut | Bild: NDR

Eine der größten Gefahren für das Urlaubsglück ist ausgerechnet die Zweisamkeit. Viele Paare verbringen im Urlaub das erste Mal seit Langem wieder viel Zeit miteinander. Dabei können Probleme deutlich werden, die im Alltag aus Zeitmangel keine Rolle spielen oder nie angesprochen wurden. Dann führt ungewohnte Nähe zu Konflikten. 30 Prozent aller Scheidungen werden nach einem missglückten Urlaub eingereicht, schätzen Psychologen. "Wir erleben in der Praxis oft, dass an den Zahlen was dran ist," sagt die Therapeutin Bettina von Schorlemer, "dann müssen wir gucken, geht es wirklich gar nicht mehr oder muss man im Alltag nur etwas ändern."

Macht Urlaub doof?

Cocktail trinkender Mann am Strand
Kriegt das Gehirn im Urlaub zu wenig Anregung? | Bild: NDR

Wer All-inclusive Urlaub macht, und nichts weiter tut, als zu essen, zu trinken und zu schlafen, der lässt sich in eine kindliche Entwicklungsphase fallen, behaupten manche Psychologen. Und immer wieder heißt es sogar, durch das Nichtstun während eines richtigen Faulenzerurlaubs würde man an IQ verlieren. "Ich glaube, das ist Unsinn", sagt der Neurologe Prof. Reinhard Dengler. "Es gibt etwas, das heißt 'sensory deprivation', damit meint man, dass das Gehirn abbaut, wenn es keine Infos bekommt, keine Reize von außen. Das gibt es ganz bestimmt - aber in Krankheitssituationen. Dass im Urlaub so wenig Zufluss ans Gehirn kommt, kann man sich nicht vorstellen."

Post-Holiday Syndrom

Mann sitzt betrübt im Büro
Fällt das Zurückkehren in die Arbeit schwer? | Bild: NDR

Urlaub macht also nicht doof, kann aber trotzdem unangenehme Nachwirkungen haben. Viele Heimkehrer haben zunächst Mühe, in den Arbeitsalltag zurückzufinden. Für manche Menschen ist es ganz besonders schwer. Sie entwickeln Kopfschmerzen, Konzentrationsstörungen, leiden unter zuckenden Augenlidern, Antriebslosigkeit und einem Gefühl großer Leere. "Post-Holiday Syndrom" heißt das Phänomen wissenschaftlich. Dauern die körperlichen und psychischen Symptome länger als drei Wochen, wäre es gut, einen Arzt aufzusuchen, rät Bettina von Schorlemer, denn dann stecke dahinter meist mehr, als ein bisschen Urlaubswehmut. "Dann sollte man sich fragen, was gefällt mir eigentlich sonst noch nicht an meinem Leben, um aus dem Loch wieder herauszukommen," so die Therapeutin.

Studien haben es gezeigt: Menschen, die einen Urlaub vor sich haben, sind besonders glücklich. Aber sie haben auch ergeben: Menschen, die aus einem Urlaub heimkehren, sind kaum glücklicher als ihre Bürokollegen, die in der Zeit gearbeitet haben. Damit scheint wissenschaftlich erwiesen: Urlaubs-Vorfreude ist die schönste Urlaubsfreude!

Studien zum Thema:

Jeroen Nawijn, Miquelle A. Marchand, Ruut Veenhoven, Ad. J. Vingerhoets:
Vacationers happier, but most not happier after a holiday,
In: Applied research Quality Life (2010)

Jana Kühnel, Sabine Sonnentag:
How long do you benefit from vacation? A closer look at the fade-out of vacation effects,
In: Journal of Organizational Behaviour (2010)

J. De Bloom, M. Kompier, S. Geurts, C. De Weerth, T. Taris, S. Sonnentag:
Do we recover from vacation? Meta-analysis of vacation effects on health and well-being,
In: Journal of Occupational Health, 51/1 (2009)

Guus L. Van Heck & Ad J.J.M. Vingerhoets:
Leisure Sickness: A Biopsychosocial Perspective,
In: Psychological Topics 16 (2007

Autorin: Christine Buth (NDR)

Stand: 12.08.2015 13:21 Uhr

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So., 11.07.10 | 17:03 Uhr
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