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Tornadofieber

Ein Tornado über Deutschland
Ein Tornado | Bild: WDR

Dass es gefährliche Tornados nicht nur im Mittleren Westen der USA gibt, wissen Wetterforscher seit Jahrzehnten. Jedes Jahr werden allein in Deutschland 20 bis 30 Windhosen – so werden die Tornados bei uns genannt – gesichtet. In ganz Europa sind es jährlich etwa 700. Einige Forscher befürchten nun, dass die allgemeine Klimaerwärmung auch bei uns zu mehr und heftigeren Tornados führen kann.

Tornados über Europa

Tornado über dem Starnberger See
Ein Tornado verfehlt einen Ausflugsdampfer | Bild: WDR

Am ersten Juni 2009 zieht ein Tornado über den Brandenburgischen Ort Wölsickendorf. Verletzt wird niemand, doch die Schäden an Häusern, Scheunen und Baumbestand gehen in die Zehntausende. Ein Jahr zuvor, am 12.08.2008 im mittelhessischen Gießen ein ähnliches Bild: Hier wird der sogenannte Philosophenwald verwüstet. Die Windhose zieht in nur etwa zehn Minuten durch die Ludwigstraße, an der auch die Universität liegt. Wie durch Zufall kommt auch hier kein Mensch zu Schaden. Schuld ist ein Sturmtief, das kurz zuvor in Frankreich seine Spuren hinterläßt: Der Weg des Tornados auf das Städtchen Hautmont läßt Übles erahnen. Binnen Minuten zerstört er ganze Häuserreihen. Drei Menschen sterben, 13 werden verletzt. Tornados in Europa sind nicht ungewöhnlich. Etwa 700 der Windhosen werden jedes Jahr gezählt.

Der Stoff aus dem Tornados sind

Superzelle und Tornado
Aus einer Superzelle entwickelt sich ein Tornado | Bild: Oliver Kochs, Bilderfest

Tornados sind ein Extremwetterphänomen und entwickeln sich aus sehr starken Gewittern. Diese Starkgewitter entstehen, wenn warme feuchte Luft nach oben steigt, während gleichzeitig kalte Luft nach unten sinkt. Die ersten Wolken bilden sich und steigen sehr schnell nach oben. Dort beschneiden wärmere und kältere Luftströmungen das Haupt der sich bildenden Gewitterwolke. Der typische Amboss-Kopf entsteht. Im Inneren setzen die aufsteigende feucht-warme Luft und kalte Luftströmungen einen Teil der Gewitterwolke in Rotation. Tornadoforscher sprechen von einer "Superzelle". Von ihr aus senkt sich der sogenannte Funnel, die Windhose auf den Erdboden – der Tornado ist da und kann Windgeschwindigkeiten von bis zu 500 km/h erreichen. Was ihm im Wege steht, hat keine Chance.
Manche Forscher befürchten, dass mit der Klimaerwärmung auch bei uns öfter diese warmen, feuchten Luftmassen entstehen könnten – die sich dann in Gewittern und verheerenden Tornados entladen.

Tornadowarnung

Tornado im Mittleren Westen der USA
Tornado im Mittleren Westen der USA | Bild: NOAA

Unbestritten sind die Forscher aus den USA heute führend in der Tornadoforschung. Ihren Ursprung hat die Wissenschaft von den Windhosen allerdings in Deutschland. Es war der Entdecker der Kontinentalverschiebung, Alfred Wegener, der 1912 seine Landsleute in Deutschland dazu aufrief, Tornados zu beobachten und zu melden. In den USA, wo die Anzahl und die Wucht der Tornados ungleich verheerender ist, wurde in den 1950er Jahren mit der Forschung begonnen. Ziel war es, die Vorwarnzeiten zu erhöhen, damit sich die Bevölkerung der besonders tornadogeplagten Landstriche im Mittleren Westen früher in Sicherheit bringen konnten. Heute liegt die Vorwarnzeit bei etwa acht Minuten – Zeit genug für den rettenden Gang in den Keller.

Das große Experiment

Entstehung eines Tornados
Entstehung eines Tornados | Bild: Oliver Kochs, Bilderfest

Im vergangenen Jahr haben sich amerikanische Tornado-Experten zu einer einzigartigen Aktion zusammengefunden. Im "Vortex 2" genannten Experiment haben sie sich mit vereinter Manpower und ausgestattet mit Radarwagen gemeinsam auf die Jagd nach Tornados begeben. Tatsächlich gelingt es ihnen, am 5. Juni 2009 einen Tornado so gut zu vermessen wie noch nie zuvor. An der Auswertung der gesammelten Daten arbeiten die Wissenschaftler bis heute. Sie sollen einmal in die Klimamodelle und Tornadoprognosen der Forscher Eingang finden. Danach verläßt sie ihr Jagdglück. 2009 ist ein äußerst gewitter- und tornadoarmes Jahr in den Vereinigen Staaten. Den Versuch, auch einen größeren Tornado mit einer Vielzahl von Messinstrumenten einzufangen, wollen die Forscher in der nächsten Tornadosaison im Frühjahr 2010 fortsetzen.

Tornados im Klimawandel

Dr. Nikolai Dotzek
Dr. Nikolai Dotzek | Bild: WDR

In Deutschland zählen Forscher wie der Meteorologe Dr. Nikolai Dotzek jedes Jahr mindestens 30 größere Windhosen. Er war einer der ersten, die sich – lange nach Alfred Wegener – in Deutschland wieder um eine wissenschaftliche Dokumentation von Tornadoereignissen bemüht haben. Am ESSL (Abkürzung für European Severe Storms Laboratory, dem Europäischen Labor für Extrem-Stürme) versuchen Dr. Dotzek und seine Mitarbeiter, Prognosen für das Wetter der Zukunft zu entwickeln. Einige seiner Forscherkollegen an anderen Instituten befürchten, dass mit der allgemeinen Klimaerwärmung auch die Anzahl und Stärke der Tornados über Europa steigen wird. Tatsächlich wird mit der Wärme auch die Gewitterneigung in Zukunft zunehmen, das sagen auch die Klimamodelle, an denen Dr. Dotzek arbeitet. Dass sich aber deshalb auch die Anzahl der Tornados automatisch erhöht, bezweifelt er. "Viele Forscher", sagt Dr. Dotzek im Interview, "schauen nur auf eine Einflussgröße und das ist meistens die Temperatur, manche beachten vielleicht auch noch, dass die Feuchte, also die Luftfeuchtigkeit in der Atmosphäre zunehmen könnte im Laufe der Klimaänderung. Das allein bedingt aber noch keine Gewitter und keine schweren Unwetter."

Gegensätzliche Effekte

Bei ihren Berechnungen für das Wettergeschehen in 50 oder 70 Jahren hat Dr. Dotzek einen zweiten Wettertrend festgestellt und der wirkt der Entstehung von Starkgewittern und damit Tornados entgegen. In der Atmosphäre gibt es häufig relativ stabile Schichten, die stark genug sind, die Bildung von Gewitterwolken schon im Ansatz zu verhindern. Und nach den Modellen von Dr. Dotzek werden auch diese Schichten in Zukunft eher kräftiger und stabiler. Es nimmt also nicht nur die Gewitterneigung durch die Klimaerwärmung zu, sondern auch der gegenteilige Effekt, die stabilen Schichten in der Atmosphäre. "Das ist momentan die große Herausforderung für die Forschung: da abzuschätzen, welcher von den beiden Effekten überwiegen wird in den nächsten Jahrzehnten", sagt der Sturm-Forscher Dr. Nikolai Dotzek.
Die einfache Rechnung - Klimaerwärmung gleich mehr Schwergewitter gleich mehr Tornados - geht so leicht noch nicht auf. Glücklicherweise möchte man sagen, denn Tornados bleiben zwar lokal begrenzt, aber äußerst gefährlich. Auch bei uns.

Adressen & Links

Das ESSL (Abkürzung für European Severe Storms Laboratory, Europäisches Labor für Extrem-Stürme) betreibt eine Website mit vielen Datensammlungen und Links zum Extremwettergeschehen und zur Forschung in Europa und International. Die Website wendet sich auf Englisch an Wissenschaftler und informierte Laien.
www.essl.org

Das ESSL betreibt auch die Europäische Unwetterdatenbank in der Meldungen zum Unwettergeschehen in Europa gesammelt werden und abgerufen werden können. Diese Seite ist in vielen Sprachen Europas abrufbar, auch auf Deutsch.
essl.org/ESWD/

Die Website der amerikanischen Tornadoforscher, die sich im großen Experiment Vortex 2 zusammengetan haben. Das im vergangenen Jahr 2009 begonnene Experiment wird im Frühjahr 2010 fortgesetzt
www.nssl.noaa.gov/vortex2/

Autor: Tilman Wolff (WDR)

Stand: 15.11.2012 14:37 Uhr

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So., 17.01.10 | 17:03 Uhr
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