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Vitamine sind gesund: alles nur ein Mythos?

Eine Multivitamintablette löst sich im Wasser auf
Die Multivitamintablette gibt trügerische Sicherheit | Bild: SWR

Millionenfach plumpsen sie in Deutschland jeden Tag in Wassergläser und lösen sich zischend auf: Vitamintabletten. Wer die nimmt, fühlt sich bestens bedient. Denn wer weiß schon, ob er mit seiner Ernährung jeden Tag die richtige Vitamindosis erwischt. Einfach eine Multivitamintablette nehmen – und schon ist man auf der sicheren Seite. So hieß es bisher. Aber die schöne Geschichte von den immer-guten Vitalstoffen gerät mehr und mehr ins Wanken. Vor allem die Verkaufsschlager Vitamin C, E und das Provitamin A, die viel gerühmten Radikalenfänger, stehen mittlerweile in Verdacht, mehr zu schaden als zu nutzen.

Radikalenfänger – das Ende eines Mythos

Schematische Darstellung wie die Erbsubstanz durch freie Radikale angegriffen wird
Aggressive Radikale bedrohen die Erbsubstanz | Bild: WDR

Dabei ließ sich die Geschichte von den Vitaminen als Radikalenfänger so schön und plausibel und vor allem werbewirksam erzählen: Freie Radikale sind aggressive Sauerstoffmoleküle, die im Körper ständig bei Stoffwechselprozessen entstehen. Tatsächlich bereiten die freien Radikale dem Körper Stress, können Zellwände oder auch die Erbsubstanz angreifen. Deshalb werden sie seit Jahrzehnten als Auslöser von Krebs oder gar als Grund für das Altern diskutiert. Vor allem von Firmen, die mit dem Verkauf von Radikalenfängern Geld verdienen. Denn im Reagenzglas funktioniert es prächtig: Die Radikalenfänger, die Vitamine C, E und Provitamin A, verbinden sich mit den randalierenden Sauerstoffmolekülen und entschärfen sie auf diese Weise. Doch offenbar profitiert der ganze Mensch dennoch nicht von ihnen. Ja sie erhöhen sogar das Risiko zu sterben. Dies ist das erstaunliche Ergebnis der größten Untersuchung zum Thema Radikalenfänger, die je durchgeführt worden ist.

49 Studien mit fast 200.000 Probanden

Auszug aus einer Studie
Lebensgefahr durch Vitamine | Bild: SWR

Die Studie wurde an der Universität Kopenhagen durchgeführt, von einem Expertenteam um Dr. Christian Gluud. Die Forscher fertigten eine sogenannte Metastudie an. Das ist eine Zusammenfassung der besten – nach strengsten Regeln durchgeführten - Einzelstudien, die in den medizinischen Datenbanken zu finden sind. Diese Studienform gilt unter Wissenschaftlern als das Optimum einer medizinischen Studie. Vor allem, weil mit dieser Technik sehr große Fallzahlen zusammen kommen und die Aussagen statistisch sehr gut abgesichert sind. Die Kopenhagener Metastudie stützte sich auf 49 Einzelstudien, die den höchsten wissenschaftlichen Anforderungen genügen. Fast 200.000 Probandinnen und Probanden wurden damit insgesamt erfasst.

Das Ergebnis: In den Gruppen, in denen Vitamine genommen wurden (A, C, E und Provitamin A), war die Sterblichkeit klar erkennbar höher als in den Kontrollgruppen, in denen die Probanden keine Vitamine nahmen.

Vitamin C: ungefährlich und unwirksam

Orangen
Vitamine vom Wochenmarkt | Bild: SWR

Immer wieder hatte es einzelne Studien gegeben, die eine Erhöhung von Risiken durch diese Vitamine gezeigt hatten. Zum Beispiel eine Erhöhung des Risikos, an Prostatakrebs zu erkranken oder Gehirnblutungen zu erleiden. Doch erst die Metastudie aus Kopenhagen erbrachte ein gesichertes Ergebnis über das Risiko durch Radikale-fangende Vitamine. Nur das Vitamin C erwies sich in der Studie als ungefährlich. Allerdings – so der Leiter der Studie, Christian Gluud – sei es auch nicht möglich gewesen, deutliche positive Effekte durch Vitamin C nachzuweisen. Es gebe keinen Grund, große Mengen an Vitamin C zu sich zu nehmen, um eine gewöhnliche Erkältung zu bekämpfen. Die Studie entlarvte das Erklärungsmodell von den gefährlichen Radikalen, die mit den Vitaminen entschärft werden müssen als ein Märchen der Vitaminhersteller.

Vitamine: vom Ladenhüter zum Verkaufsschlager

Der Pharmazie-Historiker Heiko Stoff von der Universität Braunschweig hat zur Geschichte der Vitamine geforscht. Anfang der 30er-Jahre des 20. Jahrhunderts, so Stoff, hat der Pharmakonzern Hoffmann La Roche das Patent zur Herstellung von Vitamin C gekauft. Schon damals war bekannt, dass Vitamin-C-Mangel zu der schweren Krankheit Skorbut führt. Im 18. Jahrhundert waren Seeleute an dieser Krankheit gestorben, weil sie auf langen Fahrten keine frischen Nahrungsmittel zur Verfügung hatten. Doch im 20. Jahrhundert gab es keinen Vitamin-C-Mangel. Das weiße Vitamin-Pulver erwies sich als Ladenhüter. Bis die Firma Hoffmann La Roche die These aufstellte, dass das Vitamin C als Radikalenfänger der Gesundheit insgesamt nutze und die Abwehrkräfte stärke – so der Pharmaziehistoriker Stoff. Im 3. Reich wurde das Vitamin dann als "V-Drops" an die Soldaten verteilt - zur "Leistungssteigerung". In den 60er-Jahren war es der Nobelpreisträger Linus Pauling, der als bekennender Fan von Megadosen von Vitamin C, das weiße Pulver populär machte. Pauling glaubte, Vitamin C helfe gegen Krebs. In dieser Zeit entdeckte auch die Werbeindustrie das Label "mit extra Vitaminen" als verkaufsförderndes Argument.

Bei den Kunden Top – in Studien Flop

Vitaminpräparate
Vitaminpräparate | Bild: SWR

Allein in Deutschland geben die Vitamin-Gläubigen jedes Jahr etwa 800 Millionen Euro für Vitaminpräparate aus. Dabei haben diese vermeintlichen Vitalstoffe in Studien immer wieder gezeigt, dass sie die Erwartungen, die an sie gestellt werden, nicht erfüllen. Als Schutz vor Herzinfarkt und gegen Alzheimer, als nützlich für Raucher und Sportler, als Garant für körperliche und geistige Leistungskraft werden sie in Werbeversprechen angepriesen. Keine dieser Aussagen konnte in wissenschaftlichen Studien belegt werden. Dabei steht außer Frage, dass Vitamine für den Körper wichtig sind. Nur – und das hat die vom Bundesforschungsinstitut durchgeführte „Nationale Verzehrstudie“ deutlich gezeigt – es besteht in Deutschland kein Mangel an Vitaminen. Ganz normale Ernährung reicht aus, um die empfohlenen Vitamindosen aufzunehmen. Darüber hinaus bieten Vitamine keinen Zusatznutzen.

Die Verkaufsschlager A, E und Provitamin A können als zusätzlich aufgenommene Vitaminpräparate sogar schädlich sein. Nur bei zwei Gruppen – so das Bundesforschungsinstitut – bestehe eventuell ein Bedarf für Vitaminpräparate. Frauen, die schwanger werden wollen, können Folsäure-Präparate nehmen, um die Gefahr für einen "offenen Rücken" bei ihren Babys zu senken. Und Frauen mit Osteoporose-Risiko profitieren von Vitamin D. Ansonsten sind Vitaminpräparate überflüssig.

Autor: Frank Wittig (SWR)

Stand: 29.07.2013 10:43 Uhr

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