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Von der Wildkatze zum Stubentiger

Katze
Seit Tausenden Jahren leben Katzen bei Menschen | Bild: NDR

Mehr als sieben Millionen Katzen leben in deutschen Haushalten: Schnurrende und miauende Mitbewohner, die bei manchen als launisch und untreu gelten – und die Möbel zerkratzen, auch mal neben das Katzenklo pinkeln und in der ganzen Wohnung sowie an der Kleidung Haare hinterlassen. Warum tut der Mensch sich das an? Und nicht weniger interessant ist die Frage: Warum tut die Katze sich das an? In der Wissenschaft gewinnt die Verhaltensökologie immer mehr Aufmerksamkeit; die Erforschung der Anpassung an sich verändernde Umweltbedingungen. Gerade beim Thema Anpassung könnten domestizierte Katzen Aufschluss geben. Denn sie haben in der Evolution schon einen gewissen Weg zurückgelegt.

Die Anfänge der Haustierwerdung

Papyrus mit der Darstellung der Göttin Sachmet
Darstellung der Göttin Sachmet | Bild: NDR

Schon vor 3.000 Jahren verehrten die Ägypter Katzen. Sie erhoben sie sogar zu Gottheiten: Bastet, eine Frauengestalt mit Katzenkopf, wurde wegen ihrer Sanftmut angebetet; als Göttin der Fröhlichkeit, Fruchtbarkeit, Liebe, Schönheit und Weiblichkeit. Die Göttin Sachmet, mit ihrem Löwenkopf ebenfalls in Katzengestalt, wurde wegen ihrer Aggressivität als Beschützerin verehrt.

Zeugnisse dieser ruhmreichen Geschichte der Katze liegen auch in Berlin: in den Ausstellungsräumen des Ägyptischen Museums und der Papyrussammlung. Aber auch verborgen in den Depots ruhen unzählige Schätze aus dem Alten Ägypten. Sie belegen die Bedeutung der Katze, auch weit über den Tod hinaus. Allen voran: Katzenmumien. "Die lebendigen Katzen wurden als Erscheinungsform der Göttin Bastet angesehen und deswegen hat man sie in großen Mengen im Tempel gehalten, vor allen Dingen in Bubastis, dem Haupttempel der Göttin Bastet im Nildelta", erklärt Olivia Zorn vom Ägyptischen Museum. Nach dem Tod seien die Katzen dann regelrecht bestattet worden.

Beschützer und Begleiter

Katzenmumie mit der schematischen Darstellung des Skeletts
Das Skelett einer Katzenmumie | Bild: NDR

In Ägypten fördern Ausgrabungen immer wieder solche Tierfriedhöfe zutage. Damit zählen die Ägypter zu den ersten Völkern, die nachweislich mit Katzen zusammenlebten – nicht nur in ihren Tempeln. Sie schätzten die Katzen als Beschützer ihrer Getreidekammern: vor Ratten, Mäusen und Vögeln. "Seit ungefähr 2.000 vor Christus finden wir in Grabanlagen von Menschen viele Darstellungen von Katzen, die den Grabherrn auch bei der Jagd begleiten, bei der Vogeljagd und beim Fischfang", berichtet die Ägyptologin Olivia Zorn und fährt fort: "Daraus entwickelte sich ein sehr intensives Verhältnis zwischen Mensch und Katze und man verehrte die Katze dann schließlich eben auch als Göttin, die quasi Ägypten beschützt."

Die so wertvoll gewordenen Katzen durften nicht exportiert werden. Auf das Töten einer heiligen Tempelkatze stand sogar die Todesstrafe. Nach ihrem natürlichen Tod wurden die Tiere wie Menschen einbalsamiert und mumifiziert. Bei zahlreichen Katzenmumien fanden Wissenschaftler Hinweise auf eine spezielle Prozedur: Röntgenbilder zeigen, dass die Gebeine der Katzen ausgerenkt oder sogar gebrochen wurden. So konnten die Körper kompakt verpackt und in den Grabstätten gestapelt werden.

Nordafrikanische und europäische Wildkatzen

Verbreitung der Katzen von Ägypten nach Europa
Verbreitung der Katzen von Ägypten nach Europa | Bild: NDR

Die ersten Hauskatzen Ägyptens stammten vermutlich von der nordafrikanischen Falbkatze (auch nubische Falbkatze genannt) ab. Mit Handelsschiffen der Griechen und Römer gelangten sie schließlich auch nach Europa. Dort haben sie sich wahrscheinlich mit der europäischen Wildkatze gekreuzt. Das ist allerdings noch nicht ganz erwiesen. Die genetische Analyse wäre bei solch entfernten Verwandtschaftsbeziehungen enorm aufwändig – und teuer. Verhaltensforscher gehen aber davon aus, dass die ägyptische Falbkatze dominiert: Denn sie ist schon in der Wildnis fast so zahm, wie heutige Stubentiger.

Die europäische Wildkatze dagegen ist in ihrem Wesen wirklich wild: scheu und meist als Einzelgänger unterwegs. Vor allem weit weg vom Menschen. Nicht verwunderlich, schließlich wurde sie bis Mitte des 20. Jahrhunderts als Raubtier gejagt und vielerorts ausgerottet. Inzwischen durchstreifen schätzungsweise wieder rund 2.000 Wildkatzen die Wälder der deutschen Mittelgebirge. Sie sind massiger und korpulenter als Hauskatzen. Ihr Schwanz ist dicker und am Ende rund – und ihre Augen liegen weiter auseinander.

Eine Frage der Zeit?

Schlafende Katze
Katzen sind nicht so stark an Menschen angepasst wie Hunde | Bild: NDR

Wie konnte aus diesem wilden Einzelgänger der zahme Stubentiger werden?
Die Forschung dazu steckt noch in ihren Anfängen. Kurt Kotrschal untersucht das Verhalten von Katzen – und auch das von Hunden. Beim Vergleich stellt er immer wieder fest: der Domestikationsgrad, also die Anpassung an den Menschen, ist bei der Katze deutlich schwächer ausgeprägt: "Also während sich Hunde von Wölfen dadurch unterscheiden, dass sie uns Menschen besonders gerne einen Gefallen tun, zeichnen sich die Katzen dadurch nicht aus. Sie haben ihr unabhängiges Wesen bewahrt", beschreibt der Verhaltensbiologe vom Konrad-Lorenz-Forschungszentrum der Universität Wien seine Beobachtungen. Der vermutete Grund: Der Hund lebt schon seit mehr als 16.000 Jahren beim Menschen; die Katze noch nicht einmal halb so lange. So ist sich die Katze in weiten Teilen treu geblieben. Sie ordnet sich keiner Hierarchie unter. Soll sie gehorchen, muss sie gerade zufällig gehorchen wollen.

Kindisches Kommunikationsverhalten

Miauende Katze
Miauen ist die Kindersprache der Katzen | Bild: NDR

Und doch hat die Interaktion mit dem Menschen ihr Kommunikationsverhalten verändert. Vor allem das Miauen; ihre Kindersprache. Erwachsene Katzen miauen nicht miteinander. Im Verhältnis zum Menschen aber bleibt die Katze Kind. Sie betrachtet den Fütterer offensichtlich als Versorger und damit als Muttertier. So zumindest deuten einige Biologen dieses Verhalten der Hauskatzen. "Faktum ist, dass sie im Vergleich mit der Wildform oder auch mit schlecht menschensozialisierten Hauskatzen sehr vokal sind und auch sehr individuell," so Kotrschal und weiter: "Unterschiedliche Katzen entwickeln unterschiedliche Arten von Lauten durch die sie mit ihren Menschen kommunizieren."

Meister der Manipulation

Katze stemmt ihre Pfote gegen eine Hand
Eine Katze ist der eigentliche Herr im Haus | Bild: NDR

Britische Wissenschaftler gehen davon aus, dass Menschen diesem Katzenjammer kaum widerstehen können und dass Katzen wiederum lernen, dramatisch zu übertreiben, um ihren Willen durchzusetzen. Nur in lauten Großfamilien, in denen die Katzen nur eine untergeordnete Rolle spielen, halten sie sich zurück. In kleineren Haushalten aber sind Katzen wahre Meister der Manipulation.

Sie werden vielleicht nicht mehr so sehr vergöttert wie im alten Ägypten, aber Katzen sind doch die wahren Herren im Haus.

Adressen & Links

Ein interessanter Artikel der britischen Forscherin Karen McComb über die Manipulation durch Katzen (engl.):
www.sussex.ac.uk

Einer der führenden Wissenschaftler in diesem Bereich ist Dennis C. Turner am Schweizer Institut für angewandte Ethologie und Tierpsychologie:
www.turner-iet.ch

Informationen und Forschungsergebnisse von Kurt Kotrschal und seinen Kollegen sind zu finden unter:
mensch-tier-beziehung.univie.ac.at

Autorin: Kristal Davidson (NDR)

Stand: 04.12.2013 08:54 Uhr

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So., 30.05.10 | 17:03 Uhr
Das Erste

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