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Rot vor Scham

Computergrafik zur Funktionsweise des Errötens
Die Adern der Gesichtshaut werden stärker durchblutet | Bild: WDR

Für die Betroffenen kündigt es sich oft durch ein Kribbeln im Bauch an. Dann spüren sie, wie ihnen die Hitze in den Kopf steigt. Jeder Versuch, die Reaktion des Körpers noch zu unterdrücken, scheitert - die Röte schießt ihnen ins Gesicht. Was die meisten Menschen für eine nebensächliche Erscheinung halten, wird für manche zu einem großen Problem. Sie empfinden das Rotwerden als ein Zeichen von Schwäche und möchten am liebsten im Boden versinken. Deshalb tun sie alles, um peinliche oder aufregende Situationen zu vermeiden. Im schlimmsten Fall kann sich die Flucht vor dem Erröten sogar zu einer sozialen Phobie auswachsen - zur Erythrophobie, der Angst vor dem Erröten.

Erröten ist natürlich

Das Rotwerden ist eine natürliche Reaktion des Körpers auf Scham und Wut. Das Gefühl selbst entsteht im Emotionszentrum des Gehirns. Von dort werden Signale über die Nervenstränge des vegetativen Nervensystems in den Körper weitergeleitet. Das vegetative Nervensystem ist für die Steuerung der Körperfunktionen zuständig, die beim Menschen ohne Nachdenken und willentliche Entscheidung ablaufen. Dazu zählen Atmung, Herzschlag und eben auch die Durchblutung der Haut.

In einer peinlichen oder aufregenden Situation erreichen die Nervenimpulse die feinen Kapillaradern im Gesicht und geben ihnen das Signal, sich zu weiten. Das steigert die Durchblutung und Wangen, Stirn und manchmal auch das gesamte Gesicht färben sich rot. Wie stark ein Mensch errötet, hängt von persönlichen körperlichen Faktoren ab. Bei Personen mit heller, durchscheinender Haut ist das Rotwerden meist deutlicher zu sehen. Auch die Reizschwelle liegt bei jedem anders: Während einige Menschen nur in extremen Situationen erröten, reicht für andere der kleinste Anlass, um knallrot zu werden.

Gefangen im Teufelskreis

Viele Betroffene, die schnell und heftig erröten, leiden unter dieser spontanen Reaktion ihres Körpers. Sie fühlen sich vor den Menschen in ihrem Umfeld entblößt und beschämt. Reagieren die dann noch mit Spott oder Hänseleien, so wird die Situation noch unangenehmer. Das Erröten kann sich dadurch sogar noch weiter verstärken. Als Folge kann sich eine regelrechte Angst vor dem Rotwerden einstellen, die in einen Teufelskreis mündet. Die Angst zu erröten macht die Betroffenen so angespannt, dass beim geringsten Anlass wieder die Farbe ins Gesicht schießt. Patienten, die unter dieser sogenannten Erythrophobie leiden, berichten, dass es oft ausreicht, an unangenehme Situationen nur zu denken, um die körperliche Reaktion auszulösen. Manchmal ist es sogar der Anblick der Farbe Rot, die bei den Betroffenen zum Erröten führt.

Im schlimmsten Fall kreist das ganze Leben eines Erythrophobikers um das Rotwerden. Er versucht, jeder unangenehmen Situation aus dem Weg zu gehen, zieht sich von anderen Menschen zurück. Die Betroffenen fürchten jede Situation, die sie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückt - und sei es nur, dass sie auf der Straße nach der Uhrzeit gefragt werden oder an der Supermarktkasse vor den anderen Kunden und der Kassiererin nach Kleingeld kramen müssen. Das Erröten führt sie in die soziale Isolation.

Auswege und Behandlungsmöglichkeiten

Der wichtigste Schritt aus dem Teufelskreis der Erythrophobie ist es, sich dem Problem zu stellen. Weder Betroffene noch ihr Umfeld nehmen meist das Erröten und die Angst davor als ernstzunehmende Störung war. Von den innerlichen Qualen eines Erythrophobikers wissen oft noch nicht einmal der Partner oder enge Verwandte etwas. Für viele Betroffene ist es deshalb eine große Erleichterung, wenn sie zum Beispiel über Informationen im Internet davon erfahren, dass sie mit ihrem Problem nicht allein sind und dass es Möglichkeiten der Behandlung gibt.

Ist bei einem Patienten eher die Angst als eine extreme körperliche Überempfindlichkeit die Wurzel des Problems, so stehen Chancen gut, dass ihm mit einer kognitiven Verhaltenstherapie geholfen werden kann. Neben Gesprächssitzungen mit einem Therapeuten wird der Patient dabei gezielt an praktische Aufgaben herangeführt. Er begibt sich systematisch in für ihn unangenehme Situationen wie das Bezahlen an der Supermarktkasse und erlebt es als heilsames Erfolgserlebnis, die Herausforderung zu bewältigen. Neben der Therapie kommen oft auch Medikamente zum Einsatz - vor allem Blutdruck senkende Mittel (Betablocker) und Psychopharmaka zur Lösung der Angstzustände.

Eine Operation als letzte Möglichkeit

Für Patienten, die unter dem Erröten sehr stark leiden und bei denen weder Therapie noch Medikamente anschlagen, gibt es noch eine weitere Möglichkeit zur Behandlung. Wenige Spezialisten in Europa führen eine sogenannte Sympathikusblockade (abgekürzt ETS oder ESB) durch. Bei dieser Operation wird ein schmales Endoskop in den Brustkorb eingeführt und mit einer kleinen Zange zwei Nervenstränge durchtrennt oder abgeklemmt. Die Erregungssignale aus dem Gehirn können so nicht mehr die Blutgefäße des Gesichts erreicht - das Erröten ist "ausgeschaltet".

Doch diese Operation hat auch Nebenwirkungen: Die blockierten Nervenstränge sind nämlich auch für die Steuerung des Schwitzens in Gesicht und Händen zuständig. Nach dem Eingriff schwitzen die Patienten dort nicht mehr. Als Ausgleich verstärkt sich allerdings das Schwitzen am restlichen Körper. Diese Nebenwirkung lässt sich nicht verhindern und muss von den Patienten im Vorhinein in Kauf genommen werden. Außerdem löst die Sympathikusblockade nur die körperlichen, nicht die psychischen Probleme. Sie sollte deshalb nur als letzte Möglichkeit angewendet werden, wenn alle anderen Therapieversuche fehlgeschlagen sind.

Autor: Daniel Münter (WDR)

Stand: 13.11.2015 13:57 Uhr

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