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Wenn Korallen sauer werden

Korallenriff, in dem Gasblasen aus dem Boden aufsteigen
Gasblasen inmitten eines Korallenriffs: eine sensationelle Entdeckung! | Bild: WDR / Australian Institute of Marine Science

Vor der Küste Papua-Neuguineas, einem Inselstaat nördlich von Australien, bricht ein Team um die deutsche Biologin Katharina Fabricius zu einem Tauchgang auf. Seit Tagen schon untersuchen Meeresforscher die Korallenriffe in dieser kaum berührten Region. Sie wollen eine Bestandsaufnahme der Arten machen - an den Riffen leben Zehntausende verschiedene Tier- und Pflanzenarten. Katharinia Fabricius ist Expertin für die reichhaltigen, sensiblen Ökosysteme. Heute erlebt die Forscherin indes eine Überraschung: Inmitten eines Korallenriffs, in etwa drei Metern Tiefe, treten Gasblasen aus dem Meeresboden. Überall steigen sie wie Perlenketten an die Oberfläche, das Riff ist damit durchzogen - auf einer Fläche so groß wie ein Fußballfeld. Die Forscher haben so etwas noch nie gesehen. Was es mit dem Phänomen auf sich hat, wissen sie nicht.

Das "blubbernde" Riff

Forscherin Katharina Fabricius
Katharina Fabricius erkundet seit Jahren die Korallenriffe im Südpazifik. | Bild: WDR

Seit Jahren versuchen Meeresforscher herauszufinden, wie sich der Klimawandel auf die Ozeane auswirkt. Bisher konnten sie seine Folgen für Korallen und andere Meeresbewohner nur im Labor untersuchen. Die Entdeckung des australisch-deutschen Forscherteams um Katharina Fabricius hat ganz neue Möglichkeiten eröffnet. Sie wollen das Korallenriff mit den Gasblasen als gigantisches Testlabor in freier Natur nutzen.

Zunächst nehmen die Forscher Proben - vom Wasser und von dem Gas, das hier überall aus dem Meeresboden strömt. Von den Einheimischen wissen sie, dass es schon seit mindestens 70 Jahren "blubbert". Eine mögliche Erklärung: Die gesamte Region ist Teil des sogenannten Pazifischen Feuerrings, einer vulkanischen Region, in der es häufiger zu Gasaustritten kommt, auch an Land. Tatsächlich ist dies offenbar der Grund für das seltsame Phänomen, das sich bald als Geschenk für die Forscher herausstellen wird. Denn als sie ihre Proben an Bord ihres Forschungsschiffes analysieren, stellen sie fest, dass es sich bei dem Gas um reines, kaltes Kohlendioxid handelt. In einem Korallenriff wurde so etwas noch nie beobachtet. Für Katharina Fabricius ist es eine einmalige Chance: "Wir haben eine Stelle gefunden, wo das Riff erhöhten Kohlendioxid-Konzentrationen ausgesetzt ist - wie wir es in fünfzig oder hundert Jahren erwarten, wenn unsere Treibhausgase weiter ansteigen."

Die Zukunft der Ozeane

Mikroskop-Bild von porösem Korallen-Skelett
Korallen unterm Mikroskop: Das Skelett löst sich in saurem Wasser auf. | Bild: WDR

Das Riff simuliert sozusagen die Zukunft: Was vor Papua-Neuguinea auf natürliche Weise passiert, wird bald wegen der vom Menschen verursachten Treibhausgase im ganzen Ozean stattfinden. Von jedem Gramm Kohlendioxid, das Kraftwerke, Landwirtschaft, Waldabholzung und Verkehr in die Atmosphäre schleudern, wird ein Drittel vom Meerwasser aufgenommen. Dadurch steigt schon jetzt der Kohlendioxid-Gehalt im Ozean - und wird zum Problem. Das Kohlendioxid reagiert chemisch mit dem Meerwasser und erhöht den Säuregehalt.

Die Folgen dieser sogenannten Ozeanversauerung untersuchen seit Jahren auch Katharina Fabricius’ Kollegen am Bremer Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie. Martin Glas hält Korallen in Becken des nahen Zentrums für Marine Tropenökologie, um herauszufinden, wie sie auf saures Wasser reagieren. Genauer: wie die winzigen Polypen reagieren, aus denen jede Koralle besteht. Die kleinen Tiere sind für das Wachstum der Riffe zuständig, indem sie Kalk produzieren. Forscherkollegen von Martin Glas haben die Korallen im Labor über Monate saurem Wasser ausgesetzt. Das Ergebnis: Je mehr Kohlendioxid im Wasser ist, desto weniger wachsen die Polypen, sie können kaum noch Kalk produzieren. Und auch das bereits vorhandene Kalkskelett der Koralle wird porös und löst sich auf. Die Folge: Die Koralle stirbt.

Ein natürliches Forschungslabor

Taucher mit Gerätschaften am Meeresboden mit Gasblasen, die austreten
Messungen zeigen, dass an den Gasaustritten der pH-Wert sinkt. | Bild: WDR / Australian Institute of Marine Science

Bisher sind all das jedoch nur Laborergebnisse. Unklar ist, wie ein ganzes Ökosystem auf die Ozeanversauerung reagiert. Strömungen, Lichtverhältnisse, Temperaturen und Salzgehalt ändern sich im Ozean ständig, im Labor ist dies so gut wie unmöglich zu simulieren. Das "blubbernde Riff" vor Papua-Neuguinea ist daher ein Geschenk für die Forscher, auch für Martin Glas. Es ist wie ein natürliches Labor, das über Jahrhunderte gewachsen ist. Martin Glas und zahlreiche weitere Forscher begleiten Katharina Fabricius daher bei ihrer nächsten Expedition zum Riff. An Bord haben sie zahlreiche Messgeräte und Kameras. Zunächst messen sie den pH-Wert im Riff: In der Nähe der Blasen sinkt er von 8,1 - dem derzeitigen Normalwert im Ozean - auf 7,8. Je niedriger der Wert, desto saurer des Wasser. 7,8 ist derselbe Wert, den Forscher bis zum Ende des Jahrhunderts für den gesamten Ozean voraussagen - als Folge der vom Menschen verursachten Treibhausgase.

Die Artenvielfalt sinkt dramatisch

Mess-Sonde über Korallenpolypen, Mikroskop-Vergrößerung
Warum kommen manche Korallen mit saurem Wasser zurecht? | Bild: WDR

Katharina Fabricius und ihr Team nehmen Proben von den Korallen und machen systematisch Fotos. Sie fragen sich, ob in einer solchen Umwelt überhaupt noch Arten überleben können. Vielleicht passen sie sich ja den neuen Bedingungen an?
Das Riff liefert die Antwort: Sehr feingliedrige Korallenarten, die vielen Fischen und anderen Tieren ein Versteck bieten, finden sie nur in größerer Entfernung von den Blasen. An den Gasquellen dagegen sinkt die Artenvielfalt der Korallen um bis zu vierzig Prozent. Je saurer das Wasser, desto weniger Pflanzen und Tiere leben hier. Stattdessen dominieren in diesen Regionen vor allem massive, robuste Steinkorallen.

Zurück in Bremen untersucht Martin Glas eine der eher robusten Korallenarten. Noch ist unklar, was sie vor den sauren Quellen schützt. Mit einer Mikrosonde misst er den pH-Wert direkt an der Oberfläche der Korallenpolypen. Er vermutet, dass winzige Algen, die in den Polypen leben, eine Art Schutzschild um die Koralle bilden. Denn die Algen brauchen wie Pflanzen Kohlendioxid für die Energiegewinnung: Bei der Photosynthese wandeln die Algen das Kohlendioxid in andere Stoffe um. Sie verringern so den Kohlendioxidgehalt in der Umgebung der Korallen. Warum dies jedoch nur den massiven Steinkorallen hilft, anderen Arten jedoch nicht, will Martin Glas in den kommenden Jahren herausfinden.

Die Riffe der Zukunft: Seegras statt Korallen?

Seegraswiese, Gasblasen, darin ein einzelner Korallenstock
Verdrängen Seegraswiesen in Zukunft die Korallenriffe? | Bild: WDR / Australian Institute of Marine Science

Tatsächlich geht es Pflanzen, die Photosynthese betreiben, in stark Kohlendioxid-haltigem Wasser sogar besser. Dies klingt erst einmal nach einer guten Nachricht - doch im Riff vor Papua-Neuguinea stellen die Forscher fest, was das in Realität bedeutet. Inmitten der Gasblasen wuchert eintöniges Seegras. Vor allem dort, wo der pH-Wert sogar noch unter 7,8 fällt - den Wert, der für Ende des Jahrhunderts vorhergesagt ist. Das Seegras und wuchernde Algen verdrängen die Korallen und damit die Artenvielfalt des Riffs. "Da sind Grenzwerte erreicht, die nicht überschritten werden dürfen, wenn wir nicht das ganze Ökosystem Korallenriffe völlig verlieren wollen", warnt Katharina Fabricius. Sonst könnten die Riffe der Zukunft so aussehen wie einige Zonen vor Papua-Neuguinea schon heute: wenige Korallen und Fische, dafür viele Algen und Seegras. Diese gelten als Gewinner der Ozeanversauerung, doch es ist ein zweifelhafter Sieg.

Autorin: Sarah Zierul (WDR)

Stand: 17.09.2015 13:24 Uhr

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