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Frischfisch aus der Metropole

Modell eines Gewächshauses auf dem Dach der Malzfabrik in Berlin-Tempelhof
Geplant: Fisch und Gemüse mitten aus Berlin | Bild: WDR

Es könnte mehr als eine trendige Szene-Idee sein, die derzeit in Berlin entsteht: Gemüse nicht draußen auf dem Land und Fisch nicht in Seen und im Meer zu produzieren, sondern beides genau dort, wo die Konsumenten schon sind - mitten in der Stadt. In der Millionenstadt wollen Nicolas Leschke und seine Partner bald Tomaten, Kräuter und frischen Fisch produzieren.

Das Lokal Bergstübli ist kein gewöhnliches Restaurant. Mitten in der "Malzfabrik", einem ehemaligen Brauereigelände in Berlin Tempelhof, kocht Wirtin Sylvie Schürer möglichst frisches und ökologisches Mittagessen. Das lockt alternatives Großstadtpublikum in ihre Räume. Schon bald will sie in dem Lokal alle Frischerekorde brechen: Fisch, Gemüse, Kräuter und Salat sollen nur wenige hundert Meter entfernt wachsen und geerntet werden, direkt in Berlin. Aus dem Gewächshaus und der Fischzucht direkt auf den Mittagstisch in der Nachbarschaft - frischer geht es nicht.

Eine kleine Farm in der Stadt

Wirtin richtet Fischgerichte an.
Frisch auf den Tisch: Fisch und Salat im "Bergstübli" | Bild: WDR

Diese Idee von der Landwirtschaft in der Stadt will ein Team junger Unternehmer nur ein paar Meter vom "Bergstübli" entfernt Wirklichkeit werden lassen. In der Malzfabrik schmieden Nicolas Leschke und seine Mitstreiter am Plan vom "urban farming". Den ersten Schritt haben die Stadtbauern schon gemacht. Ihre kleine Farm steht im Hof der Malzfabrik: früher ein Seecontainer, jetzt eine kombinierte Fisch- und Gemüsezucht. Innen im Container ziehen in einem Wassertank Tilapien, afrikanische Buntbarsche, ihre Kreise. Die Fische sind Vegetarier, das ist gut für die Ökobilanz der kleinen Stadtfarm. Doch es ist bei weitem nicht der einzige Clou des neuen Konzeptes.

Das Abwasser der Fischzucht wird recycelt: In einem Tank träufelt es auf Plastikträger, an denen Bakterien haften. Die Bakterien verwandeln Ammonium aus den Ausscheidungen der Fische in Nitrat, einen erstklassigen Pflanzendünger. So behandelt, gelangt das Wasser auf das Dach des Containers. Hier thront ein Gewächshaus. Das aufbereitete Abwasser lässt im Glashaus Tomaten, Kräuter und Salat gedeihen. Sogar Chilipflanzen tragen erste Früchte. Die Pflanzen wachsen nicht in Pflanzenerde, sondern auf Trägern aus Steinwolle, die in dem nährstoffhaltigen Wasser stehen. Hydroponic heißt dieses Verfahren. Aquaponic ist der Fachausdruck für die Symbiose aus Fisch- und Gemüsezucht. Der Vorteil der Aquaponic: Die Pflanzen entziehen dem Wasser die Nährstoffe und werden so ganz nebenbei zur Kläranlage der Aquakultur.

Ein Prototyp für große Stadtfarmen

Nicolas Leschke füttert afrikanische Buntbarsche
Tilapienzucht im Container  | Bild: WDR

Für Nicolas Leschke ist die Containerfarm mehr als ein Hobby. Sie ist ein Prototyp für viel größere - und professionelle - Stadtfarmen. Leschke und seine Mitstreiter haben die Firma Efficient City Farming gegründet, die solche kombinierten Fisch- und Gemüsezuchten vermarkten soll. Doch der Weg zur professionellen Aquaponic-Anlage ist zunächst steinig.

Erste Versuche mit einem Vorgängermodell der Containerfarm verlaufen enttäuschend. Fisch und Pflanzen vertragen sich doch nicht so gut, wie erhofft. Ein Grund: Der optimale pH-Wert des Wasser ist für Fisch und Grünzeug nicht derselbe. Entweder geht es den Pflanzen im Wasserkreislauf gut, dann wachsen die Fische zu langsam - oder umgekehrt.

Durchbruch mit DDR-Technik

Nicolas Leschke betritt den zum Gewächshaus umgebauten Container
Eine kleine Containerfarm in Berlin | Bild: WDR

Die jungen Stadtbauern suchen deshalb Hilfe im Osten Berlins: beim Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei am Großen Müggelsee. Seit 1999 ist Werner Kloas Leiter der Abteilung für Aquakultur. Doch schon seit 25 Jahren, beginnend zu DDR-Zeiten, wird hier daran gearbeitet, Fisch- und Gemüsezucht zu kombinieren. Die Forscher standen zunächst vor denselben Problemen wie Leschke und seine Mitstreiter. Doch eine geniale wie einfache Idee brachte den Durchbruch. Ein Einwegventil sorgt dafür, dass das Abwasser aus der Fischzucht zwar zur Düngung der Pflanzen genutzt wird, aber ein Tank zwischen die beiden Kreisläufe geschaltet wird. So lässt sich der pH-Wert des Wassers für das Gewächshaus genau auf die Bedürfnisse der Pflanzen einstellen. Außerdem können weitere Nährstoffe und Mineralien hinzugegeben werden, die im Fischabwasser nicht enthalten sind. Die Idee war zwar genial, doch das politische System in der DDR verfolgte andere Ziele. "Damals ging es um Produktion um jeden Preis", erinnert sich Werner Kloas, "nicht um Nachhaltigkeit. Das Verfahren verschwand in der Schublade."

Fisch und Gemüse unter einem Dach

Professor Werner Kloas und Nicolas Leschke vor Fischzuchttank im Leibniz-Institut
Experte für nachhaltige Fischzucht: Professor Werner Kloas | Bild: WDR

Das änderte sich, als Kloas 1999 an das Institut kam. Er entwickelte die alte DDR-Technik weiter und zeigte in einer Versuchsanlage, dass das Verfahren auch wirtschaftlich ist. Unter einem 150 Quadratmeter großen Glasdach ergänzen sich Fisch und Tomaten prächtig. Das klimaschädliche Kohlendioxid, das die Fische ausatmen, bleibt im Gewächshaus und düngt die Tomaten. Die wiederum geben Sauerstoff ab, den die Fische brauchen. Ein perfekter Kreislauf. In seiner Versuchsanlage wird zudem das Wasser, das die Pflanzen abgegeben, wiedergewonnen. Unter dem Glasdach kondensiert es in Kühlfallen und fließt zurück in die Fischzucht. Der Wasserverbrauch ist so rekordverdächtig niedrig. Doch bisher gab es niemanden, der Kloas' Ideen im großen Stil umsetzen wollte: "Man hat entweder die Leute aus der Aquakultur, die sich dann mit Fischen sehr gut auskennen," erzählt er, "aber vielleicht dann Defizite bei den Pflanzen haben. Oder man hat die Gärtner, die dann nicht unbedingt mit Fischen umgehen können. Beides zusammenzubringen - das ist die Herausforderung."

Stadtfarmen auf Stelzen

Computermodell eines Gewächshauses auf Stelzen
Stadtfarmen auf Stelzen  | Bild: WDR

Diese Herausforderung wollen die Stadtfarmer um Nicolas Leschke nun angehen. Sie gründeten ihre Firma mit dem Ziel, komplette Stadtfarmen zu verkaufen. Beispielsweise an Handelskonzerne, die große Supermärkte betreiben. Eine solche Farm könnte auf Stelzen stehend die Parkplätze großer Einkaufszentren überdachen. Gemüse und Fisch würden dann direkt beim Kunden heranwachsen - viel frischer als jede Bio-Tomate, die zumeist einen langen Transportweg hinter sich hat.

Auch ehemalige Industrieflächen sind interessant für urbane Landwirtschaft. Für die Malzfabrik haben die City Farmer große Pläne. Europas größte Dachfarm soll hier entstehen. Aus 22 ehemaligen Brauereitanks sollen dann Fischbecken werden. Das Dach der Malzfabrik würde dann ein riesiges Gewächshaus tragen. Auf 7.000 Quadratmetern wollen die Stadtfarmer in Zukunft 80 Tonnen Fisch und 200 Tonnen Gemüse ernten: den Jahresbedarf von über 2.000 Berlinern, frisch von Dach, ohne Transportwege und Energie fressende Kühlanlagen. Nur eine letzte Hürde bleibt noch, und das ist die größte Herausforderung für Nicolas Leschke und seine Partner: Mögliche Investoren müssen von dieser Idee jetzt ebenfalls überzeugt werden.

Autor: Frank Nischk (WDR)

Stand: 19.02.2013 17:08 Uhr

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So., 24.06.12 | 17:00 Uhr

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