SENDETERMIN So., 26.08.12 | 17:00 Uhr

Ferien im Keltendorf

Das Keltendorf Bundenbach
Das Keltendorf Bundenbach | Bild: SWR

Manche Leute verbringen ihren Urlaub statt am Pool in einer anderen Zeit - sie verwandeln sich für zwei Wochen in Kelten und betreiben experimentelle Archäologie, etwa im Keltendorf Bundenbach. Es liegt mitten im Hunsrück, umgeben von dichten Wäldern. Wäre nicht der Fluglärm des nahgelegenen Flughafens Haan - die Illusion, sich in einer anderen Zeit zu befinden, wäre perfekt. Familie Gläßle aus Schorndorf und zwei weitere befreundete Familien verbringen hier gern ihren Urlaub - als Kelten. Die Umgebung ist authentisch. Vor 2.000 Jahren stand hier wirklich eine Siedlung. Sie wurde in den 1970er-Jahren vom Museum in Trier ausgegraben. In den Pfostenlöchern der Gebäude stehen jetzt die rekonstruierten Holzhütten. Die Gemeinde Bundenbach betreibt ein kleines Freilichtmuseum. Besuche wie die der Keltenfamilie sind gern gesehen, denn dann fängt das Dörfchen an zu leben.

Eine Keltenfamilie

Zwei Frauen in einem Keltendorf
Leben wir vor 2.000 Jahren | Bild: SWR

Familie Gläßle und Co. sind Profis und treten mittlerweile als Keltenfamilie "Arduina" - benannt nach einer Göttin - auch bei Museumsfesten und Ausstellungen auf. Dabei hätte sich das Paar, das im normalen Leben einen Bioladen betreibt, die "Kelten-Karriere" nie träumen lassen. Angefangen hat alles, weil die befreundeten Familien mit ihren kleinen Kindern etwas unternehmen wollten und dabei die Museumspädagogik entdeckten. Aus den ersten Bastelversuchen wurde glühendes Interesse - seit 15 Jahren. Bei Besuchen in Hochdorf im Keltenmuseum informierten sie sich über Kleidung und Werkzeuge und begannen, die Ausrüstung selber zu machen. Heute können sie -komplett ausgestattet mit keltischer Kleidung und keltischen Gegenständen - ins Dorf einziehen.

Die Kraft der Haselnussblätter

Zwei Frauen färben Wolle
Mithilfe verschiedener Pflanzen färbten Kelten ihre Wolle. | Bild: SWR

Urlaub im Keltendorf heißt: kein Strom, kein fließendes Wasser, kein W-LAN. Eigentlich nicht das, was man sich sonst unter einem gelungenen Urlaub vorstellt. Aber gerade das macht für die Familie die Erholung aus. Keiner sitzt mehr stundenlang vor dem Computer. Aber alles macht etwas mehr Mühe als daheim: Es muss Feuerholz gesammelt und angezündet werden. Das Kochen dauert ewig. Die Keltenfamilie Arduina nimmt die Sache ernst. Sie bemüht sich, tatsächlich herauszufinden, wie die Kelten gelebt haben. Das heißt, sie betreibt experimentelle Archäologie.

Karin Gläßle-Sieler und ihre Freundinnen sind besonders begeistert vom Spinnen, Weben und Färben von Wolle. Rund um Bundenbach sammeln sie Kräuter, mit denen sie die selbst hergestellten Garne färben. Die Frauen haben sich mit den Naturfarben, die für die gefärbten Textilien aus dem Grab des Keltenfürsten von Hochdorf benutzt wurden, beschäftigt. Die Erkenntnisse der Archäologen aus dem Grab passen zu der Darstellung des antiken Schriftstellers Diodor, der die keltische Kleidung als sehr bunt beschreibt. Nach alten Rezepten versuchen die Frauen im Keltendorf, verschiedene Farbtöne zu erzeugen. So sind ganz normale Haselnussblätter zum Beispiel sehr gute Färberpflanzen, aber auch Waid und Kamille. Durch den Selbstversuch gewinnen sie auch ganz neue Erkenntnisse. Ein Beispiel: Die gleichen Pflanzen färben in jeder Region ein wenig anders. Durch Zugabe von Rost oder Essig kann man Farbtöne extrem verändern - ebenso wie durch unterschiedliche Temperaturen.

Das Geheimnis der Gewandspange

Zwei Gewandspangen
Wie entstehen die Biegungen? | Bild: SWR

Manche Erkenntnisse der Freizeitkelten bringen auch Archäologen weiter. Bei dem Versuch, die Gewandspange des Fürsten von Hochdorf, eine sogenannte Fibel, herzustellen, kamen sie zunächst an ihre Grenzen. Kelten kannten keine Knöpfe und hielten ihre Kleidung mit schön verzierten großen "Sicherheitsnadeln" zusammen. Sogar ein Silberschmied wurde hinzugezogen, der mit zwei Zangen versuchte, die Objekte zu formen. Vergeblich. Bis jemand aus der Gruppe darauf kam, einen sogenannten Faulenzer zu benutzen - ein Brett mit Stiften, das auch heute von Goldschmieden genutzt wird. Diese Technik müssen auch die Kelten schon gekannt haben. In jedem Fall hat die Keltenfamilie inzwischen großen Respekt vor den Fähigkeiten der Menschen vor 2.000 Jahren.

Sie sind übrigens nicht die einzigen, die Erholung bei solchen "Zeitreisen" finden. Psychologen sprechen inzwischen davon, dass Menschen in der hoch technisierten Welt von heute auf der Suche nach "Psychotopen" sind - ähnlich wie Biotope - wo sie wieder Zugang zur Natur finden. Der Trend ist eindeutig. "Living History", das kurzzeitige Abtauchen in die Vergangenheit, wird immer beliebter. Ob bei Ritterspielen, Mittelaltermärkten – oder eben beim Urlaub im Keltendorf.

Autorin: Tamara Spitzing (SWR)

Stand: 07.11.2012 19:49 Uhr