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Archäologie im Tiefenrausch

Forschungsschiff vor der Insel Ventotene
Vor der Küste Ventotenes liegen unerforschte Wracks. | Bild: NDR

Die Gewässer vor der italienischen Insel Ventotene sind rau und tückisch. Fischer glauben, dass hier einst eine ganze Flotte versunken ist - so oft wie sich ihre Netze am Meeresboden verfangen und antike Tonscherben in den Maschen hängen. Doch das Meer ist hier 120 Meter tief. Wenn dort Wracks liegen, dann sind sie für Sporttaucher unerreichbar.

Gefährlicher Job für Spezialisten

Roberto Rinaldi betrachtet seine Tauchausrüstung.
Roberto Rinaldi hat sich auf Tieftauchen spezialisiert. | Bild: NDR

Aber nicht für Roberto Rinaldi: Der 47-Jährige taucht nicht mit herkömmlichen Tauchflaschen, sondern mit einem "Rebreather", einem Gerät, das Atemluft recycelt. Und er atmet spezielle Gasgemische von Helium bis hin zu Stickstoff ein, deren Dosierung per Computer berechnet wird. Eine überlebenswichtige Aufgabe: "Nur die genaue Planung eines Tieftauchgangs, das 'Atemgasmanagement', minimiert das Risiko. Ich muss wissen, wann ich wie lange in welcher Tiefe bin. Weiche ich vom Plan ab, wird es gefährlich, weil bestimmte Gasgemische in der falschen Tiefe giftig werden können."

Archäologie unter Hochdruck

Taucher
Der erste Tauchgang führt Roberto Rinaldi in 118 Meter Tiefe. | Bild: NDR

Früh am Morgen macht Roberto sich mit Archäologen der Universität Rom auf die Suche nach den Wracks. Mit einem hochauflösenden Sonargerät lokalisieren sie die potenziellen Fundstellen, und Roberto bereitet den Tauchgang vor. Sein Begleiter ist ein Unterwasserroboter. Der kann fast unbegrenzt in der Tiefe arbeiten, ist aber langsam. Roberto dagegen hat nur kurze Zeit unter Wasser, kann aber flexibler reagieren und schneller Fundstücke bergen. Gleich der erste Tauchgang ist erfolgreich. Die Wracks liegen auf 118 Metern. Hier ist der Druck auf Robertos Körper zwölf Mal höher als an der Oberfläche - fünf Mal so hoch wie in einem Autoreifen.

Volltreffer in der Tiefe

Antike Amphoren auf dem Meeresgrund
Nur ausgewählte Stücke werden an die Oberfläche gebracht. | Bild: NDR

Das Holz der Schiffsrümpfe ist komplett zerfallen. Doch die Ladung findet Roberto beinahe so vor, wie sie vor 2.000 Jahren gestapelt wurde: Amphoren und Unmengen an Schalen und Tellern - fast unbeschädigt. Es beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Roberto hat in dieser Tiefe nur etwa 15 Minuten, um die Funde zu bergen. Dabei ist Vorsicht geboten - nur ausgewählte Stücke sollen an die Oberfläche. Der Rest bleibt auf dem Meeresgrund. Hier wird er besser konserviert als in jedem Museum. Aufgrund der Form der Amphoren ist das Alter leicht zu schätzen. Das Wrack muss im ersten Jahrhundert vor Christus gesunken sein. Doch die verschiedenen Fundstücke sollen noch weitere Fragen an die Geschichte beantworten. Zum Beispiel, welche Bedeutung der Handel in dieser Zeit für Rom hatte. Geheimnisse, die sich nur in Laboruntersuchungen klären lassen

Die wertvollen Funde werden in das Museum von Ventotene gebracht. Die Objekte aus den Schiffen, darunter italienischer Wein, beweisen: Rom exportierte in der Zeit vor Christus noch vorwiegend Waren in seine Kolonien. Erst später wurde die ewige Stadt vollständig von den Lieferungen aus seinen Provinzen abhängig!

Der lange Weg zurück nach oben

Drei Taucher
Roberto Rinaldi braucht für das Auftauchen dreieinhalb Stunden. | Bild: NDR

Roberto kann noch längst nicht wieder hoch: Unter dem enormen Druck in der Tiefe haben sich gefährliche Gase in seinem Blut angereichert. Während immer mehr antike Fundstücke nach rund 2.000 Jahren wieder das Tageslicht erreichen, muss Roberto auf verschiedenen Tiefen immer wieder sogenannte Dekompressionsstopps einlegen. Dreieinhalb Stunden dauert seine Rückkehr an die Oberfläche.

Welche physikalischen Gegebenheiten stecken dahinter und wie überwinden Tieftaucher diese Hürden?

Die Physik des Tieftauchens

Tieftauchen
Tieftauchen | Bild: NDR

Für Tauchgänge in Tiefen von mehr als 30 Metern ist es aus verschiedensten Gründen notwendig, die Zusammensetzung der Atemgemische zu ändern. Beim Sporttauchen wird allgemein mit normaler Atemluft getaucht. Die Zusammensetzung unserer Atemluft besteht aus 21 Prozent Sauerstoff, 78 Prozent Stickstoff und ein Prozent anderer Gase. Rein physikalisch bräuchten wir nur einen Anteil von rund sechs Prozent Sauerstoff in der eingeatmeten Luft. Stickstoff allerdings ist ein sogenanntes Inertgas: Er geht in unserem Körper keine chemischen Verbindungen ein und wird im Gegensatz zum Sauerstoff nicht "verbraucht". Er befindet sich aber proportional zum Umgebungsdruck gelöst in unserem Körper (ähnlich wie gelöste Kohlensäure in einer geschlossenen Mineralwasserflasche). Steigt nun der Umgebungsdruck wie beim Tauchen (pro zehn Meter um ein Bar), steigt auch die Menge an gelöstem Stickstoff in unserem Körper proportional zum Umgebungsdruck an. Beim Auftauchen muss dieser gelöste Stickstoff wieder über die Lungen abgeatmet werden.

Achtung Emboliegefahr!

Beim Sporttauchen wird ausschließlich innerhalb der Grenzen getaucht, in denen eine Rückkehr zur Oberfläche jederzeit möglich ist, ohne dass der gelöste Stickstoffanteil im Körper zum Problem wird. Man spricht hierbei von sogenannten Nullzeittauchgängen. Wird jedoch die Nullzeitgrenze überschritten, muss der Stickstoffanteil im Körper wieder unter Druck in verschiedenen Tiefen abgeatmet werden, man spricht hier von sogenannten dekompressionspflichtigen Tauchgängen. Das Auslassen von Dekompressionspausen kann zu schwerwiegenden Verletzungen bis hin zum Tode führen: Beim überhastetem Auftauchen an die Oberfläche würde der im Blut und den Geweben befindliche Stickstoff nicht den Weg über die Lungen nehmen, sondern als Gasblasen aus Blut und Gewebe ausschäumen - wie beim plötzlichen Öffnen einer Mineralwasserflasche. Das kann zu lebensgefährlichen Embolien führen, denn kleine Gasbläschen haben eine hohe Oberflächenspannung und können Blutgefäße verschließen.

Gasgemische mit Nebenwirkungen

Hand an einem Ventil
Die Luft zum Tieftauchen muss genau gemischt sein. | Bild: NDR

Die einfachste Lösung dieses Problems ist eine Erhöhung des Sauerstoffanteils in der Atemluft, was den Stickstoffanteil im Atemgemisch verringert. Dies hat eine Verlängerung der Nullzeit zur Folge. Allerdings funktioniert das nur bis zu einer Tauchtiefe von maximal 45 Metern, denn ab einem bestimmten Partialdruck des Sauerstoffs im Körper wirkt dieser toxisch und kann zu plötzlich auftretenden Krämpfen und Lähmungen führen. Ein geringerer Sauerstoffanteil im Atemgemisch bei erhöhtem Stickstoffanteil würde dieses Problem umgehen, hätte aber nicht nur längere Dekompressionspausen zur Folge. Denn Stickstoff wirkt ab einem bestimmten Partialdruck seinerseits narkotisch auf unseren Organismus. Bei normaler Pressluft können die Symptome schon ab einer Tiefe von 30 Metern auftreten.

Trimix oder Heliox

Um nun in Tiefen jenseits von 40 Metern bei klarem Verstand einigermaßen sicher zu tauchen, bedarf es einer Verringerung von Sauerstoff und Stickstoff. Als Austauschgas dient hierbei Helium. Dieses Gas ist farb-, geschmacks- und geruchsneutral und weist eine wesentlich geringere Dichte auf als Stickstoff, was das Einatmen in größeren Tiefen vereinfacht. Besonderer Vorteil des Heliums ist aber die geringe narkotische Wirkung auf den menschlichen Körper, was Tauchgänge von über 150 Metern erlaubt. Die Mischung von Atemgasen mit Helium nennt man TRIMIX. Wird hingegen ein Gemisch benutzt, bei dem der gesamte Anteil von Stickstoff durch Helium ersetzt wird, spricht man von HELIOX.

Spezielles Equipment

Drei Druckanzeigen
Für jede Phase des Tauchgangs muss die passende Tauchluft gemischt werden. | Bild: NDR

Soweit zur Theorie. Die praktische Umsetzung des Trimixtauchens ist wesentlich komplizierter. Für jeden Tauchgang müssen die Gase und deren Mischungsverhältnisse genauestens berechnet werden. Das bedeutet, dass der Taucher seine genaue Einsatztiefe und Tauchzeit vor dem Tauchgang plant und festlegt, an die er sich später minutiös halten muss, da es sonst zu schweren Dekompressionsunfällen kommen kann. Auch in Sachen Equipment gibt es gravierende Unterschiede zum Sporttauchen. Da beim Trimixtauchen in größeren Tiefen wesentlich mehr Atemgas benötigt wird, muss der Taucher seine Ausrüstung anpassen. Generell trägt ein Trimixtaucher seinen nötigen Atemgasvorrat (zuzüglich einer Sicherheitsreserve von 25 Prozent) mit sich herum. So kann er bei unvorhersehbaren Ereignissen auf sich selbst gestellt den Tauchgang beenden. Auf Hilfe Dritter kann er in der Tiefe nicht zählen.

Während des Tauchgangs benötigt der Taucher verschiedene Gasgemische. Man unterscheidet zwischen dem "Travel Mix", der für die Ab- und Aufstiegsphase geatmet wird, dem "Bottom Mix", der in der Tiefe verwendet wird, und dem "Deko Mix", welcher während der Dekompressionsstopps benutzt wird. Je nach Tauchtechnik trägt ein Trimixtaucher zirka 85 Kilogramm und mehr mit sich herum, bei speziellen Tauchgängen, wie zum Beispiel beim Höhlentauchen auch weit mehr als das Doppelte.

Autor: Florian Guthknecht (NDR)

Stand: 13.11.2015 14:28 Uhr

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