SENDETERMIN So., 22.04.12 | 17:00 Uhr | Das Erste

Urzeit-Krebse als Wasserschützer

Leben im Untergrund

Wasser
Wie wird Quellwasser glasklar? | Bild: WDR

Ohne Trinkwasser gäbe es kein Leben auf der Erde. Es ist das wichtigste Lebensmittel und es muss sauber sein, damit der Mensch davon nicht krank wird. Erstaunlicherweise wurden die Kräfte, die in der Natur für sauberes Wasser sorgen, bisher kaum erforscht. Aber warum ist Quellwasser eigentlich so sauber? Glasklar kommt es aus dem Boden, obwohl der aus Matsch, Sand, Gestein, abgestorbenen Pflanzen und Tieren besteht. Erst in den letzten Jahren haben Wissenschaftler wie Christian Griebler damit begonnen, solchen Fragen nachzugehen. Was sie herausfanden, hat sie erstaunt: Sie haben entdeckt, dass es im Grundwasser und im Erdreich von Leben nur so wimmelt. "Noch vor 20 bis 30 Jahren haben wir geglaubt, dass weite Teile des Untergrundes unbelebt seien. Heute weiß man, dass es da jede Menge Bakterien gibt, aber auch Würmer, Krebstierchen und Milben", sagt Christian Griebler, Grundwasserforscher am Münchner Helmholtz Zentrum. Millionen kleinster Nutztiere und Organismen tummeln sich im Boden. Die Forscher schätzen, dass bis zu 50 Prozent der Weltbiomasse in der Tiefe liegen könnten.

Winzige Tierchen und Einzeller

Verschieden Krebse und andere kleine Tierchen
Grundwasser ist ein Biotop für winzige Lebewesen. | Bild: Dr. Hans Jürgen Hahn, Universität Koblenz-Landau

Seit Jahren nimmt Christian Griebler regelmäßig Trinkwasserproben, die er auf Organismen untersucht. Das ist gar nicht so einfach, denn er braucht Grundwasser, das besonders viele Lebewesen enthält. Er nutzt dazu spezielle Grundwasserbrunnen. Das sind Rohre, die zur tiefsten Stelle eines Grundwasserstroms reichen. Im Raum München sind das etwa 15 Meter. Dort "fischt" er die Proben quasi aus dem Bodensatz heraus. Das macht er wie ein Angler, nur dass an seiner Angelschnur kein Haken, sondern ein Reagenzglas befestigt ist. Wenn Griebler die Probe unter dem Mikroskop untersucht, kann er zweierlei finden: Entweder winzige Tierchen, wie Krebse, Würmer und Asseln - oder aber Einzeller, meist Bakterien. "Die Bakterien sind unumstritten diejenigen, die die Reinigung im Grundwasser übernehmen", weiß Griebler. Sie nutzen organisches, für den Menschen schädliches Material als Nahrung und wandeln es in ungefährliche Stoffe um. "Dazu gehören Pestizide, Pharmazeutika, aber auch Ölprodukte, alles was man sich so vorstellen kann", erklärt der Grundwasserforscher.

Krebse aus der Zeit der Dinosaurier

Mixtacandona laisi
Auch kleine Muschelkrebse finden sich im Grundwasser. | Bild: Dr. Hans Jürgen Hahn, Universität Koblenz-Landau

Weniger genau kennt er die Aufgabe der Krebse und der anderen, größeren Organismen, die sich in seinem Reagenzglas tummeln. Griebler vermutet, dass die maximal zwei Millimeter großen Tiere das Sediment auflockern, belüften, Gänge schaufeln und Bakterien da hin transportieren, wo die Schadstoffe sind. Auf jeden Fall sind diese winzigen Tiere aber sehr interessante Forschungsobjekte: Sie stammen nämlich aus der Urzeit. Tatsächlich sind die nächsten Verwandten dieser Tierchen, die jeder von uns sicherlich schon einmal mit einem Schluck Wasser verschlungen hat, Dinosaurier. Als diese an der Erdoberfläche ausstarben, haben sich einige einfach in den Untergrund zurückgezogen. Sie konnten sich den Lebensbedingungen dort hervorragend anpassen und waren so vor extremen Klimaschwankungen, Eiszeiten oder dem Austrocknen der Urmeere geschützt. Aber auch wenn die Organismen von den Dinos abstammen, würde Christian Griebler sie nicht als Dinosaurier bezeichnen, eher als "lebende Fossilien". Ständig finden Forscher neue Arten. Wer also Entdecker einer neuen Tierart werden will, ist bei den Grundwasserforschern bestens aufgehoben. Er kann seiner neuen Spezies dann so fantasievolle Namen geben wie "Amphipoda", "Harpacticoida" oder "Oligochaeta". Die einzelnen Arten der Bakterien auseinanderzuhalten, ist dagegen um einiges schwieriger, denn im Mikroskop erscheinen sie nur als winzige Pünktchen. In einem komplizierten Verfahren muss die DNA der Organismen gewonnen und analysiert werden. Jede Art hat einen anderen genetischen Fingerabdruck.

Höhlenflohkrebse (Niphargus sp.) sind die wahren Riesen im Grundwasser. Die größten Arten können bis zu drei Zentimeter groß werden. Höhlenflohkrebse leben räuberisch, solange geeignete Beute verfügbar ist. Fehlt diese, ernähren sich die Tiere auch ganz genügsam von Pflanzenresten und Bakterienaufwuchs. In ihrer Körperform ähneln sie sehr den Bachflohkrebsen, doch finden sich ihre nächsten Verwandten im Meer. Man nimmt deshalb an, dass diese Gruppe schon vor Jahrmillionen direkt aus dem Meer ins Grundwasser eingewandert ist. Gelegentlich findet man Höhlenflohkebse auch in Quellen, in die sie aus dem Grundwasser einwandern.

Regionale Unterschiede

Karte zeigt regionale Verteilung
Die Tierarten im Untergrund unterscheiden sich je nach Region. | Bild: Heide Stein et al., Universität Koblenz-Landau

Was den Wissenschaftlern nach vielen solcher Analysen aufgefallen ist: Es gibt starke regionale Unterschiede bei den Arten. Der Plan der Forscher ist es, Landkarten der Unterwelt zu zeichnen. "Gerade bei den höheren Tieren zeigt sich eine sehr starke biogeographische Verteilung", sagt Griebler. Kollegen von der Universität Koblenz-Landau haben schon eine erste Karte von der Verteilung einige Tierarten im Untergrund gezeichnet. Hier stehen die Forschungen aber noch sehr am Anfang. Auch bei den Bakterien hat Christian Griebler eine regionale Verteilung festgestellt: "Die Gründe dafür sind noch nicht klar. Es scheint so zu sein, dass die Mineralogie, Chemie des Wassers aber auch die Oberflächenlandnutzung mit reinspielt." Das wird eine wichtige Fragestellung für die nächsten Jahre sein: Herausfinden, warum es so eine starke regionale Verteilung der Arten im Untergrund gibt - und Karten zu entwerfen, die dokumentieren, wo die jeweiligen Populationen leben.

Grundwasserüberwachung für sicheres Trinkwasser

In Zukunft soll dieses Wissen dann der Grundwasserüberwachung dienen. Die Forscher hoffen damit, Verschmutzungen des Grundwassers früher erkennen zu können. Wenn man die Zusammensetzung einer regionalen Gemeinschaft im Grundwasser ausreichend kennt, können deren Veränderungen nämlich als biologisches Warnsignal dienen. Wenn Messungen also ergäben, dass zum Beispiel eine bestimmte Population abstirbt, dann bedeutet das auch, dass sich die Umweltbedingungen geändert haben. Eine Verschmutzung ist dann sehr wahrscheinlich. Diese Form der Grundwasserüberwachung wäre der heutigen deutlich überlegen. Bei der gebräuchlichen Standardmethode in den Wasserwerken wird das Grundwasser auf 50 bis 200 bekannte Chemikalien untersucht. Tatsächlich gibt es aber 50 Millionen chemische Verbindungen. Es kann also heute leicht passieren, dass ein giftiger Stoff im Grundwasser übersehen wird. Die Forschungsergebnisse der Wissenschaftler aus München und Landau könnten also ein großer Fortschritt für die Sicherheit des Trinkwassers sein. Bis es so weit ist, müssen Christian Griebler und seine Kollegen in den nächsten Jahren aber noch viele Wassermessungen machen und neue Karten zeichnen.

Autor: Arno Trümper (BR)

Stand: 07.08.2013 09:22 Uhr

Sendetermin

So., 22.04.12 | 17:00 Uhr
Das Erste