SENDETERMIN Sa., 26.09.20 | 16:00 Uhr | Das Erste

Gefahr durch Schädlinge: So wird der Wald zur CO2-Schleuder

Raupe des Kiefernspinners
Die Raupe des Kiefernspinners frisst die Nadeln der Kiefer. Der Baum kann dann keine Photosynthese mehr betreiben. | Bild: BR

Seit Jahrhunderten prägen die Kiefernwälder in Brandenburg die Landschaft. Doch jetzt im Klimawandel haben sie es immer schwerer. Vor allem die Trockenheit setzt den Bäumen zu. 2018 und 2019 waren Dürrejahre in Brandenburg. ForstexpertInnen und WissenschaftlerInnen fürchten, dass das veränderte Klima nicht nur Bestände auf großer Fläche vernichtet, sondern gleichzeitig den Wald in seiner Funktion massiv verändert. Der Wald war bislang Kohlenstoffspeicher und ein wichtiges Mittel, um den Klimawandel zu bremsen. Doch im veränderten Klima könnten mehr und mehr Waldflächen zur Kohlendioxid-Quelle werden.

Denn Bäume im Trockenstress sind schwach. Das heißt, sie können kaum noch Abwehrstoffe bilden, die normalerweise gefräßige Insekten fernhalten würden. In den Dürrejahren fielen deshalb Schmetterlingsraupen über die Kiefernwälder in Brandenburg her. Nonne und Kiefernspinner vermehrten sich massenhaft und verursachten massive Schäden auf mehr als 10.000 Hektar. Normalerweise treten solche Massenvermehrungen etwa alle zehn Jahre auf. Doch mit dem Klimawandel werden sie häufiger und unberechenbarer.

Fraßinsekten schwächen Wald in seiner Funktion als Kohlenstoffspeicher

Raupe des Eichenprozessionsspinners
Auch der Eichenprozessionsspinner profitiert vom Klimawandel und breitet sich immer mehr aus. | Bild: BR

Nach den Raupen kamen die Borkenkäfer. Sie nagen sich jetzt durch das Holz der Kiefern. Die Bäume auf den befallenen Flächen können sich nicht mehr regenerieren. Sie haben keine Überlebenschance. Auch der Eichenprozessionsspinner ist ein Profiteur des Klimawandels. Seine Raupen vermehrten sich mancherorts ebenfalls massenhaft. Auch wenn Eichen sehr gut mit Trockenheit zurechtkommen – gegen eine Übermacht von Schmetterlingsraupen können sie nichts ausrichten. Und genau das kann eine fatale Kettenreaktion im Wald auslösen, wie ForstökologInnen der Uni Göttingen herausfanden.

Normalerweise holt sich ein Baum über Blätter und Nadeln Kohlendioxid aus der Luft. Mit Licht und Wasser macht er daraus Zucker und speichert so den Kohlenstoff aus der Luft in seinem Stamm. Das kann der Baum aber nicht mehr, wenn ein Heer von Raupen alle Blätter und Nadeln abfrisst. Der Baum stellt seine Funktion als aktiver Kohlenstoffspeicher ein. Doch das große Fressen hat noch weitere Folgen. Denn neben Blatt und Nadelresten rieselt jede Menge Raupenkot auf den Waldboden. Die Göttinger ForstökologInnen der Arbeitsgruppe ENVIRUS (Environment under Stress) untersuchten das in einem Eichenwald. Ergebnis: 700 bis 900 Kilogramm Kot ließen die Raupen pro Hektar fallen. Und genau dieser Kot kann die Funktion des Waldes umkehren, befürchteten die ForscherInnen.

Gefährlicher Raupenkot: Wald wird zur Kohlendioxid-Quelle

ForscherInnen im Wald mit Gasfallen
Mit Gas-Fallen können die ForscherInnen analysieren, welche Gase und wie viel davon der Waldboden freisetzt. | Bild: BR

Denn die Ausscheidungen der Raupen verändern die Gemeinschaft der Mikroorganismen im Waldboden. Organisches Material in und auf dem Waldboden wird dadurch viel schneller zersetzt als normalerweise. Die Folge: Innerhalb kurzer Zeit können große Mengen Kohlendioxid und Lachgas frei werden. Feldmessungen im betroffenen Wald lieferten erste Hinweise. Die ForscherInnen sammelten die Gase ein, die der Waldboden ausatmet und analysierten sie im Labor. Dort, wo die Schädlinge in den Baumkronen fraßen, entließ der Waldboden tatsächlich mehr CO2.

Da im Wald viele Faktoren wie Temperatur und Feuchtigkeit die Aktivität der Mikroorganismen beeinflussen können, überprüften die ForscherInnen der Uni Göttingen ihre Befunde im Labor – unter kontrollierten Bedingungen. Waldboden-Proben mit und ohne Raupenkot blieben sieben Wochen lang in einem Klimaschrank unter völlig konstanten Bedingungen. Jede Stunde wurden automatisch Gasproben genommen und analysiert. Am Ende stellten die ForscherInnen fest: Waldboden ohne Raupenkot setzt etwa 110 Kilogramm Kohlendioxid pro Hektar frei. Waldboden mit Raupenkot dagegen 2 Tonnen, also fast das 20-Fache! Das heißt: Der Wald wird zur Kohlendioxid-Quelle, wenn ihm ein Heer von Insekten Blätter und Nadeln wegfrisst. Und es wird nicht nur mehr Kohlendioxid frei, sondern auch mehr Lachgas, dessen Treibhauswirksamkeit rund 300 Mal so groß ist wie die des Kohlendioxids.

Wald braucht Bäume, die mit dem Klimawandel zurechtkommen

Waldboden und Kot in einem Probenglas
Waldboden mit Raupenkot setzt etwa 20mal mehr Kohlendioxid frei als Boden ohne Raupenkot. | Bild: BR

Mit dem Klimawandel droht in vielen Waldregionen immer häufiger massiver Befall durch Fraßinsekten. Und das kann den Klimawandel weiter anheizen. Der Wald braucht dringend neue Bäume, die mit dem veränderten Klima zurechtkommen. Nur dann kann dieser Kreislauf gestoppt werden. In ganz Mitteleuropa sucht man nach Lösungen. Aber auch wenn die gefunden sind: Der Waldumbau wird Jahrzehnte brauchen. Das Ökosystem Wald spielt im Klimawandel auf jeden Fall eine vielfältigere Rolle, als bislang angenommen. In Klimamodellen sind Massenvermehrungen von gefräßigen Schmetterlingsraupen und deren Folgen noch nicht berücksichtigt.

Autor: Herbert Hackl (BR)

Stand: 28.09.2020 10:00 Uhr

Sendetermin

Sa., 26.09.20 | 16:00 Uhr
Das Erste

Produktion

Südwestrundfunk
für
DasErste