Otto Weidt und das Museum Blindenwerkstatt in Berlin

von Prof. Dr. Johannes Tuchel, Leiter der Gedenkstätte Deutscher Widerstand

Otto Weidt
Otto Weidt | Bild: Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt

Otto Weidt wird am 2. Mai 1883 in Rostock als Sohn des Tapezierers Max Weidt und Auguste Weidt, geb. Grell, geboren. Die Familie lebt in bescheidenen Verhältnissen. Otto Weidt besucht die Volksschule und erlernt den Beruf des Vaters. Die Familie zieht nach Berlin. In seiner Jugend engagiert er sich in der Berliner anarchistischen Szene und ist zeitweilig einer ihrer führenden Köpfe. Als strikter Gegner des Militarismus, staatlicher Bevormundung und Ausgrenzung steht er im Kaiserreich jahrelang unter polizeilicher Beobachtung. Mit seiner zunehmenden Erblindung erlernt Otto Weidt das Bürstenhandwerk und eröffnet 1936 eine Blindenwerkstatt in einer Kellerwohnung in der Großbeerenstraße 92 in Berlin-Kreuzberg – in unmittelbarer Nachbarschaft zu seiner Wohnung am Halleschen Ufer 58. 1940 zieht er mit seinem Betrieb nach Berlin-Mitte in den Seitenflügel des Hauses Rosenthaler Straße 39. Die Werkstatt erstreckt sich über das gesamte erste Stockwerk des Seitenflügels. In der Werkstatt stellen zeitweilig bis zu 30 jüdische Blinde und Gehörlose Besen und Bürsten auch im Auftrag der Wehrmacht her. Daher wird der Betrieb als „wehrwichtig“ eingestuft. Otto Weidt kann durch Bestechung von Gestapo-Beamten seine Arbeiter eine Zeit lang vor der Deportation schützen. Die Blindenwerkstatt produziert – nach den Deportationen 1943 mit einer stark verkleinerten Belegschaft – bis kurz vor Kriegsende. Nach dem Krieg wird das Unternehmen von Otto Weidt und nach seinem Tod im Dezember 1947 von seiner Ehefrau Else Weidt weitergeführt. Das Wirtschaftsamt des Ost-Berliner Magistrats löst die Blindenwerkstatt 1952 auf.

Blindenwerkstatt Otto Weidt
Gruppenbild in der Blindenwerkstatt Otto Weidt | Bild: Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt

Otto Weidt war stets bemüht, seine jüdischen Arbeiterinnen und Arbeiter vor Verfolgung und Deportation zu schützen. Wie entschlossen, unbestechlich und mutig er dabei handelte, das zeigt auf sehr eindrucksvolle und eindringliche Art und Weise der Film. 1946 wird Otto Weidt als "Opfer des Faschismus" anerkannt. Nach seinem Tod wird Else Weidt 1950 dieser Status als Hinterbliebene aberkannt, da laut neuer Verordnung "die Anerkennung nicht wegen Judenbegünstigung aufrechterhalten werden" könne. In den Jahren 1956 bis 1963 werden auf Betreiben des West-Berliner Innensenators Joachim Lipschitz 738 Berliner geehrt, die jüdischen Verfolgten uneigennützig Hilfe gewährt haben. Unter ihnen ist Else Weidt, die ab 1958 als sozial Bedürftige eine monatliche Rente von 50 DM erhält. Am 8. Juni 1974 stirbt sie im Alter von 72 Jahren. Die Auszeichnung "Gerechter unter den Völkern" wird Otto Weidt 1971 durch die israelische Gedenkstätte Yad Vashem verliehen.

Unermüdlich setzt sich die Journalistin Inge Deutschkron für die Erinnerung an die Helferinnen und Helfer ein. Unter Inge Deutschkrons maßgeblicher Beteiligung entwickelte sich aus einem Projekt von Studierenden an der Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin und der Ausstellung "Blindes Vertrauen" das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt in der Rosenthaler Straße in Berlin-Mitte. 1999 übernahm der Bund nach einer Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien, Michael Naumann, die Verantwortung für das Museum. Seither gab es viele Bemühungen, auch durch den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau, in Berlin ausführlicher als bisher an Helfer und "Untergetauchte" zu erinnern. Dies führte im ersten Schritt 2005 zur Übernahme der Trägerschaft für das Museum durch die Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand und zu einer kompletten Überarbeitung der Dauerausstellung. In einem zweiten Schritt wurde Ende 2008 die Gedenkstätte "Stille Helden" im selben Gebäude wie das Museum Blindenwerkstatt Otto Weidt eröffnet. In einem dritten Schritt soll diese Gedenkstätte in den nächsten Jahren noch um die europäische Perspektive erweitert werden. Die Erinnerung an Otto Weidt und seine mutigen Taten ist aus Berlin nicht mehr wegzudenken.

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