Gespräch mit Karin Hanczewski

(spielt Miriam)

Geburtstagsständchen von Miriam (Karin Hanczewsk, mitte) für Mutter Inge (Eleonore Weisgerber, rechts)
Geburtstagsständchen von Miriam für Mutter Inge  | Bild: NDR/Hager Moss Film GmbH / Marion von der Mehden

Miriam ist die kleine Schwester. Sie fühlt sich immer ein bisschen als zweite. Während Anne offensichtlich kaum noch Interesse an einem guten Verhältnis mit Inge hat, buhlt Miriam um Gunst und Anerkennung ihrer Mutter. Und ein bisschen Anerkennung hat Miriam dringend nötig, denn gerade droht ihr Leben sich aufzulösen. Ihre Anstellung als Cellistin im Orchester eines regionalen Theaters fällt Förderungskürzungen zum Opfer. Außerdem will ihre ehrgeizige Tochter Juli sie verlassen und auf ein Sportinternat gehen. Eingefädelt hat das wer? Natürlich ihre ältere Schwester, die gleichzeitig Julis Schwimmtrainerin ist.

Miriam kümmert sich als alleinerziehende Mutter um ihre Tochter. Das ist einsam genug und nun will Juli auch noch weg. Auch wenn Miriam beteuert, es gehe ihr darum, dass ihre Tochter eine Kindheit ohne Leistungsdruck verlebt, schimmert durch, dass es um etwas ganz Anderes geht, nämlich um ihre eigene Angst vor der Einsamkeit. Vielleicht ist das auch der Grund, warum sie sich so um ihre Eltern kümmert, denn allzu viel Dank kann sie von ihrer sprunghaften Mutter und ihrem Sprüche klopfenden Vater nicht erhoffen.

Gespräch mit Karin Hanczewski (spielt Miriam)

Jeder Mensch hat Geheimnisse. Wann werden sie zu unerträglichen Bürden?

Es gibt solche und solche Geheimnisse, oder? Es gibt schöne. Aber Geheimnisse, die einen belasten, müssen irgendwie aufgelöst werden. Verarbeitet werden. So wie Ängste. Die können auch immer größer werden, je länger man sich ihnen nicht stellt.

Als eine der Initiator*innen von #actout haben Sie kritisiert, dass Menschen ihre sexuelle Orientierung immer noch viel zu oft geheim halten müssen, um keine gesellschaftlichen Nachteile zu erfahren. Hat es etwas Befreiendes, wenn man über Verschwiegenes reden kann?

Ja! Es ist unheimlich befreiend! Das heißt nicht, dass es nicht auch eine irre Angst gemacht hat. Und die Konsequenzen muss man tragen … Der Weg ist mit dem Aussprechen allein nicht immer getan. Aber man hat begonnen, ihn zu gehen.

Der Film spürt nicht nur einem Familiengeheimnis nach, sondern zeigt auch die Auswirkungen auf die beiden Schwestern, die ein ambivalentes Verhältnis zueinander haben. Sie spielen die jüngere Schwester Miriam. Was hat Sie an der Figur interessiert?

Ich fand es berührend, wie beide Schwestern auf unterschiedliche Art und Weise damit umgehen, dass es in der Familie ein Familiengeheimnis gibt und das Schweigen darum belastet. Miriam versucht die Familie zusammenzuhalten. Sie verdrängt oder spürt vielleicht auch nur ganz unbewusst, dass es da ein Geheimnis gibt. Sie liebt ihre Eltern und auch ihre Schwester und leidet unter der Distanz zu Anne.

Anne und Miriam sind zwei sehr unterschiedliche Schwestern, was auch im Umgang mit der Mutter offenbar wird. Was verbindet die Schwestern, was trennt sie?

Das ist eine schwierige Frage. Die Schwestern trennt sicherlich, dass sie einander nicht verstehen. Ich glaube, sie haben wenig Verständnis dafür, wie die jeweils andere handelt und sich verhält. Sie fühlen sich darin beide allein gelassen. Beide verbindet mit Sicherheit die gemeinsame Kindheit. Die Zeit, bevor das Schweigen und der unterdrückte Schmerz ins Bewusstsein getreten sind.

Anne trainiert Miriams Tochter, um ihr eine Karriere als Leistungsschwimmerin zu ermöglichen. Warum wehrt sich Miriam so vehement dagegen? Liegt das Problem für sie wirklich „nur“ darin, dass sie Juli eine schöne Kindheit ohne Leistungsdruck wünscht?

Vielleicht spürt Miriam unbewusst, was geschehen ist. Vielleicht liegt ihr die Angst darum auch im Blut. Vielleicht ist sie aber auch eifersüchtig um die spezielle Nähe zwischen Anne und ihrer Tochter. Ich glaube aber, dass sie tatsächlich nicht will, dass ihre Tochter durch den Druck und die Härte des Leistungssports zu einem unglücklichen Menschen wird. Denn Miriam hat das Gefühl, dass Anne unglücklich ist.

Geschwister bilden eine lebenslange Schicksalsgemeinschaft mit starken Emotionen, die zwischen Verbundenheit, Liebe, Rivalität und Ablehnung hin- und herpendeln können. Fanden Sie „Auf dem Grund“ auch deshalb spannend, weil der Film von diesen typischen Beziehungsmustern erzählt?

Ja, aber auch, weil ich es spannend und heftig finde, wie sich Familiengeheimnisse an die Oberfläche fressen und das Schweigen Ängste und Aggressionen produziert. Das Schweigen soll vermutlich schützen, macht aber genau das Gegenteil. Es ist das Gegenteil von Verbundenheit und das gemeinsame Tragen von Schmerz innerhalb einer Familie. Was passiert, wenn keine Trauer erlaubt ist?

Traumata können über Generationen weitergegeben werden. Was bedeutet das für die Schwestern und für Miriams Tochter Juli?

Dass man Dinge trägt, die vielleicht nur sehr wenig unmittelbar mit einem selbst zu tun haben. Man trägt es solange, bis man es auflöst. Ich glaube, wenn man Traumata, Ängste nicht weitergeben will, dann muss man versuchen, diese aufzulösen. Dazu gehört es, sie anzuschauen. Darüber zu sprechen. Schweigen löst gar nichts.

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