Karin Beier im Interview
Intendantin des Schauspielhauses Hamburg
Welche Qualität des Romans "Unterwerfung" hat Sie überzeugt, dass der Stoff für eine Bühnenadaption taugt?
Zunächst einmal hat mich der Roman politisch elektrisiert: Er ist unglaublich hellsichtig. Michel Houellebecq erzählt von einem großen gesellschaftlichen Umbruch in naher Zukunft, einem Paris im Jahre 2022, das von einer Art Bürgerkrieg beherrscht wird. Der Roman erschien am 7. Januar 2015, dem Tag der Anschläge auf Charlie Hebdo. Und nicht nur in dieser Hinsicht hat die Wirklichkeit Houellebecqs Zukunftsfiktion längst eingeholt. Letztendlich beschreibt Houellebecq, wie die Kultur und Tradition der Aufklärung, wie wir sie kennen, mehr und mehr erodiert, wie angeleitet von einem Bild der Welt, das von der Idee des Ichs beherrscht wird, soziale Bindungen zunehmend verfallen.
Auf individueller Ebene wird dieser Prozess von Houellebecqs Protagonisten, dem abgehalfterten Literaturwissenschaftler François verkörpert. Das hat mich inhaltlich interessiert, insofern als er das eigentlich eher linksliberale Bildungsbürgertum spiegelt. Und dramaturgisch hat es mir die Möglichkeit eröffnet, den Roman als Monolog zu inszenieren, zumal ich mich mit so einem Ausnahme-Schauspieler wie Edgar Selge verabreden konnte.
Die Deutschen scheinen geradezu besessen von Houellebecq zu sein, was macht seine Faszination hierzulande aus, die sich nicht zuletzt am Zuspruch deutscher Theatermacher und Zuschauer festmachen lässt?
Die Krise der Demokratie ist auch bei uns spürbar: in Terroranschlägen, in einem gewaltigen Erstarken der rechten Szene, mittlerweile auch im Bundestag vertreten durch die AfD, und nicht zuletzt in einem schleichenden Zusammenbruch von tradierten Werten. Insofern gelingt es Houellebecq, modellhaft auch unsere Abgründe zu beschreiben – mit großer Ernsthaftigkeit und virtuoser Ironie, die natürlich auch sehr unterhaltsam ist. Dazu ist es ein spannendes Gedankenexperiment: Wird sich François als korrumpierbar erweisen? Das ist eine Frage, die man sich auch selber stellen kann und über die nach den Theatervorstellungen viel diskutiert wird, wie wir aus Zuschauerreaktionen erfahren haben.
Wie arbeiten Sie mit dem melancholischen Machotum, das Houellebecq selbst und sein Geschöpf François zu ihrem Wesenskern gemacht haben?
Ich sprach schon von der Ironie Houellebecqs. Es ist ja nicht so, dass der Autor das "Machotum" seines Protagonisten affirmiert. Im Gegenteil: François hat sich ja ganz offensichtlich durch seine Bindungsunfähigkeit in eine dicke Lebenskrise hineinmanövriert. Er ist einsam, depressiv, sieht keinen Sinn mehr in seinem Leben und daraus resultiert seine Verführbarkeit für eine große Wende. Seine "Unterwerfung", so beschreibt es Houellebecq, wäre letztendlich eine rein opportunistische Anpassung. Nicht mehr als ein Fluchtversuch, das Ergebnis eines Verfallsprozesses, den er selbst zu verantworten hat. Darin ähnelt er vielen Protagonisten Houellbecqscher Romane. Und mag sein, dass der Autor da auch aus seinem eigenen Leben schöpft. Aber selbst, wenn es so sein sollte, bleibt François eine literarische Figur, die Houellebecq sehr kritisch und nicht zuletzt mit sehr viel Witz schildert. Ein Witz, den übrigens unsere Zuschauerinnen zumeist als erste entdecken, die Frauen in unserem Publikum brechen auffallend oft als erste in Gelächter aus.