Ein Gespräch mit Florian Oeller (Drehbuch) und Stefan Schaller (Regie)

Sabine Brenner (Luise Heyer, Mitte) rechnet ab (mit Lucas Prisor und Lea Wittkowsky, links).
Sabine Brenner rechnet ab. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Ein Gespräch mit Florian Oeller (Drehbuch) und Stefan Schaller (Regie)

Im Mittelpunkt von SABINE steht eine alleinerziehende Mutter in prekärer Lebenssituation. Was wollten Sie erzählen?

Florian Oeller: In meiner Wahrnehmung gibt es einen großen Teil unserer Bevölkerung, der zu wenig Aufmerksamkeit in unserem Medium bekommt: die Arbeiterschicht. Und innerhalb dieser Schicht gibt es noch mal eine Gruppe, die medial nur dann auftaucht, wenn beispielsweise Krankenpflegerinnen um mehr Geld betteln müssen dafür, dass sie uns in der Corona-Krise den Hals retten: die Arbeiterinnen. Wir behandeln sie, als wären sie unsichtbar. Das war der erste Gedanke für dieses Buch: Ich wollte der unsichtbaren kleinen Frau eine Hauptrolle geben. Ausgangspunkt war die Frage: Was ist die Geschichte einer Mutter, die möchte, dass ihr eigenes Kind es mal besser hat als sie selbst, und die feststellt, sie scheitert mit diesem Plan, obwohl sie jahrelang alles dafür tut?

Stefan Schaller: Florians Buch vermittelt sehr gut, was für eine Verzweiflung in einer Frau wie Sabine steckt und wie oft sie ihren Frust runterschlucken muss. Das hat mich sofort sehr berührt – auch weil es mich in Teilen an meine Mutter erinnert hat, die früh die Schule abgebrochen hat und ihr Leben lang eine Arbeiterin war. Auch die Frage, wie diese Probleme weitergetragen werden, spielt im Film eine wichtige Rolle. Was für Voraussetzungen hat jemand aus wirtschaftlich schlechteren Verhältnissen für den späteren Lebensweg? Was bedeutet das für das Kind von Sabine? Wir fanden, dass diese Fragen eine große Relevanz haben, weil es in unserem Land immer noch eine große soziale Ungleichheit gibt. In der aktuellen Krise verschärft sie sich sogar weiter.

Wie sind Sie an die filmische Umsetzung herangegangen?

Stefan Schaller: Mein Kameramann Tim Kuhn und ich haben das Thema "Die Frau, die man nicht sieht" als visuelles Motiv genommen und uns gesagt: Wir wollen diese Frau mit allen Mitteln sichtbar machen. Durch extreme Close-ups stellen wir eine große Nähe zu Sabine her. Gleichzeitig haben wir kontrastreiche Bilder gemacht, die Sabine immer wieder als Silhouette zeigen, um das Motiv zu unterstreichen. Wir wollen nicht distanziert nüchtern mit einem Draufblick erzählen, sondern maximal emotional. Das war das Zentrum: Einerseits der Rauheit des Polizeirufs Rostock zu entsprechen und trotzdem individuell auf diese persönliche Geschichte einzugehen. Ich erzähle gern subjektiv und nah an Figuren, und ich fand es reizvoll zu sagen, Sabine führt uns durch ihre Welt, aber auch durch diesen Krimi. Wir haben versucht, mit filmischen Mitteln so nah wie möglich in die Perspektive dieser Frau zu kommen. Es war ein Geschenk, mit jemanden wie Luise Heyer arbeiten zu können, die eine unglaubliche Emotionalität und Offenheit mitbringt. Luise und mir war wichtig, dieses schwere Schicksal einer Frau, die all ihre Kraft verloren hat, welche sie vor unzähligen Rückschlägen aber einmal hatte, nicht nur zu behaupten. Wir wollten nicht ästhetisiert über menschliche Schicksale erzählen, sondern sie so glaubwürdig und authentisch wie möglich darstellen.

Sabines Schicksal ist eng mit der Werft ARUNIA verknüpft. Hier ziehen Sie das Bild weiter auf und zeigen die aufgebrachte Arbeiterschaft im aussichtslosen Kampf gegen ein skrupelloses Management ...

Florian Oeller: Wir haben in Deutschland ein gespaltenes Verhältnis zu dem Wort Arbeiterschicht. Wenn so eine Werft schließt, zucken wir die Achseln und sagen, na ja, Strukturwandel, Globalisierung, die Märkte, es muss so sein. Dass auf diese Weise nach wie vor Existenzen vernichtet werden, darüber reflektieren wir noch, wenn Streiks ausgerufen werden, aber deren Wirkmächtigkeit hat extrem abgenommen. Wir gucken da nicht mehr richtig hin. Das Verständnis dafür, wie wir eigentlich innerhalb einer Gesellschaft miteinander umgehen wollen, geht verloren. Ich glaube, wir täten gut daran, den "kleinen Leuten" mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Dann hätten wir möglicherweise auch nicht mehr eine Gesellschaft, die sich spaltet in die, die was haben, und die, die nichts haben; in die, die sich auf die bürgerliche Mitte verlassen, und die, die unten sind und auch unten bleiben werden. Arbeit ist Identität, und wenn man den Arbeitern die Arbeit nimmt, entlässt man sie im Prinzip in die Leere. Es ist so viel mehr als ein Job. Das erzählen wir hier.

Stefan Schaller: Wir wollen zeigen, was es für die oder den Einzelne*n bedeutet, aufs Arbeitsamt zu müssen, und wie kompliziert es ist, nach x Versuchen noch mal was Neues zu erlernen, seinen Lebenstraum aufzugeben und den Beruf zu wechseln. Was das für eine enorme Leistung ist, macht man sich bei Nachrichtenmeldungen über Betriebsschließungen oft gar nicht klar.

Sabines Verzweiflung schlägt schließlich in Gewalt um; die stille kleine Frau beginnt einen brutalen Rachefeldzug. Wie sehen Sie die Entwicklung der Figur?

Florian Oeller: Die Morde sind ein letztes Aufbäumen. Diese Frau sagt: Ich hab genug. Das ist mein letzter Weg, und auf diesem letzten Weg werde ich in meinem Wertesystem Quittungen ausstellen für die Menschen, die mich gedemütigt haben. Wenn ich den Film sehe, kann ich in gewisser Weise nachvollziehen, was sie tut, aber auf der anderen Seite empfinde ich Angst vor Sabine. Es gibt diesen Moment, wo sie einen Mann auf einer Parkbank erschießt, der ihr mit einem äußerst zynischen Spruch kommt. Und ich habe deswegen Angst vor ihr, weil ich auch dieser Mann auf der Parkbank sein könnte. Weil auch ich aus einer ganz anderen Welt als Sabine komme und vielleicht in einem solchen Moment mit Unverständnis und Ablehnung auf sie blicken würde. Weil ich nicht weiß, wer sie ist und was für einen Lebensweg sie hinter sich hat. Das war die Annäherung: Wir wollen dieser unsichtbaren Frau eine Geschichte geben und sagen: Seid nicht so einfach in euren Urteilen! Wir wollen hier aber auf keinen Fall eine Märtyrerin erzählen. Wir glorifizieren diese Akte der Gewalt nicht. Sabines Taten sind abscheulich und strafwürdig. Doch nicht die Taten an sich sind hier Thema, sondern die Figur, die sie verübt.

Stefan Schaller: Einerseits freut man sich darüber, dass diese Frau, die sich zu Beginn des Films dafür entschuldigt, dass sie jemanden im Bus unabsichtlich angerempelt hat, sich langsam selbst ermächtigt und eine gewisse Stärke wiedergewinnt. Andererseits ist man schockiert darüber, zu welchen Mitteln sie greift. Das macht es den Zuschauer*innen nicht leicht in der Haltung zu Sabine. Natürlich sind wir erleichtert, dass sie sich nicht das Leben nimmt, aber im nächsten Moment handelt sie verabscheuungswürdig, indem sie mordet. Von versuchtem Suizid zu Mord innerhalb weniger Augenblicke. Die Ambivalenz, die das auslöst, fand ich sehr interessant. Dieser schmale Grat hat uns interessiert: Wir möchten Sabines Verzweiflung so spürbar machen, dass man sie nachempfinden kann, gleichzeitig veranschaulichen wir, dass die Figur nach und nach in eine Form von Wahnsinn driftet. Am Ende fällt sie auch über sich selbst ein Urteil.

Die beiden Hauptermittler, Sascha Bukow und Katrin König, sind seit Neuestem ein Liebespaar. Eine sehr sensible, noch mit vielen Unsicherheiten verbundene Situation. Was war Ihnen hier wichtig?

Stefan Schaller: Es hat mich natürlich sehr gefreut, in diesem besonderen Moment der Horizontale dazuzukommen, für die der Rostocker Polizeiruf 110 zu Recht gerühmt wird. Wir haben gemeinsam überlegt, wie König und Bukow nach all den gemeinsamen Jahren als Kollegen nun in einer solchen Situation miteinander umgehen, wie sich da eine Zärtlichkeit zeigt. Uns war wichtig, das so hinzubekommen, dass das eine organische Qualität hat und nicht aufgesetzt wirkt. Wenn es um körperliche Nähe geht, funktionieren die beiden, aber so ganz haben sie die neue Situation noch nicht miteinander geklärt. Statt eines Klischees und einer kitschigen Verliebtheitsvorstellung wollen wir auch den Schmerz zeigen und die Herausforderung, die so ein Schritt aufeinander zu bedeutet.

Florian Oeller: Die beiden haben jetzt ein paar erste Nächte miteinander verbracht, und es stellt sich zwangsläufig die Frage: Wie geht’s weiter? Das ist der Elefant im Raum. Die beiden wollen, dass es zwischen ihnen funktioniert. Das, was sie daran hindert, sind sie selbst. Die Versuche, diese Widersprüche in Einklang zu bringen, und das Ganze natürlich auch in den Fall einzubetten, waren beim Schreiben herausfordernd und reizvoll zugleich. Gerade weil ich weiß, was es für eine Feuerwerk sein kann, wenn Charly und Anneke das spielen.

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