Gespräch mit Dr. Volker Reinken

Chefarzt der Akutklinik Urbachtal, Bad Waldsee

Spezialisierung auf Psychosomatik und Psychotherapie von u.a. Polizeibeamten und Rettungskräften.

Herr Dr. Reinken, Sie beschäftigen sich u.a. mit posttraumatischen Belastungsstörungen, speziell bei Polizeiund Rettungskräften. Welche sind die häufigsten Stressund Belastungsfaktoren bei der Polizei?

Die Stress- und Belastungsfaktoren im Polizeidienst sind vielfältig. Einerseits entsprechen sie den Belastungsfaktoren in anderen Bereichen, die durch Personalmangel und Überstundenaufkommen an sich und den daraus resultierenden Konflikten entstehen. Bei Polizeibeamten kommt aber der Einsatz in belastenden Situationen hinzu. Diese stellen eine besondere Herausforderung auch an die Gesundheit dar. In bestimmten Situationen können die Grenzen der individuellen Verarbeitung erreicht sein und es entstehen Symptome bis hin zu definierten Krankheitsbildern, wie der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS).

Wie häufig kommt es vor, dass Polizeibeamte und Kommissare im Rahmen eines Einsatzes selbst zu Opfern eines Gewaltverbrechens werden? Wie können diese Verbrechen aussehen?

In einem Artikel der Frankfurter Allgemeinen Zeitung werden für das Jahr 2017 4527 Polizeibeamte als Opfer von Gewalt angeführt.

Natürlich sind das die "Klassiker", an die man zunächst denkt. Wichtig zu wissen ist aber, dass häufiger die Ereignisse belastend sind, an denen die Polizeibeamten nur mittelbar beteiligt sind: die Bilder von Unfallopfern, getöteten Personen oder von Personen, die sich suizidiert haben. Die Abwehr hält hier lange, aber wenn z.B. etwas dem privaten Umfeld ähnelt oder anderweitig plötzlich sehr unter die Haut geht, wird die Abwehr unterlaufen und man bekommt die Bilder nicht mehr aus dem Kopf. Dann beginnt möglicherweise die Entwicklung einer Traumafolgestörung.

Welche psychosomatischen, aber auch physischen Auswirkungen kann ein traumatisches Erlebnis auf Betroffene, speziell jene aus dem polizeilichen Dienst haben?

Häufig haben die Betroffenen den Eindruck, "verrückt" zu werden. Sie verstehen nicht, dass plötzlich Symptome quasi von ihnen Besitz ergreifen, wie Flashbacks. Das sind Nachhallerinnerungen, die bewirken, dass man sich fühlt, als ob das traumatisierende Ereignis gerade wieder stattfindet. Alpträume mit Bezug zum Ereignis wiederholen sich. Man bekommt Schlafstörungen, wird gereizt und schreckhaft und versucht sogenannte Trigger, die einen an die traumatisierende Situation erinnern, zu vermeiden. Auch gerät man in sogenannte dissoziative Zustände, in denen man quasi abschaltet, erstarrt oder ganz taub wird.

Vielen Menschen mit psychosomatischen Problemen und Beschwerden fällt es schwer, offen darüber zu sprechen. Melden sich Polizisten und Rettungskräfte häufig von selbst bei Ihnen?

Letzten Endes ja, bis dahin gibt es aber häufig einen längeren Weg, auf dem man nicht wahrhaben möchte, dass man nun Hilfe braucht. Das hat natürlich auch mit dem Selbstbild als Helfer zu tun. Informierte Angehörige und Kollegen können hier sehr hilfreich sein.

Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Betroffene? Welche präventiven Maßnahmen gibt es?

Es ist wichtig, eine spezifische Traumatherapie zu erhalten. Hierfür gibt es spezielle therapeutische Ausbildungen. Die Traumatherapie verläuft dann in vier Phasen: Die Psychoedukationsphase, in der die Patienten lernen, dass die Symptome, die sie haben, normale Reaktionen auf unnormale Ereignisse sind. D.h. dass sie selbst in Ordnung sind. Auch ist es wichtig zu verstehen, wie eine PTBS entsteht, nämlich aus einer Situation, in der Unaushaltbares entsteht, man aber weder kämpfen noch flüchten kann. In der folgenden Stabilisierungsphase lernt man mit den Symptomen besser umzugehen. In der Traumakonfrontationsphase kommt es zur emotionalen Entladung und Neubewertung, in der Integrationsphase findet auch die Neuorientierung statt.

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