Regisseur Christian Alvart im Interview

Tschiller und Revenbrook
Doch Tschiller ist skeptisch gegenüber Revenbrook und seinen Plänen. | Bild: NDR / Gordon Timpen

»Tschiller bewegt sich in 'Fegefeuer‘'außerhalb jeglichen polizeilichen Rahmens.«

Folge 3 und 4 des Hamburger "Tatorts" wurden als Doppelfolge konzipiert. Wie mussten Sie Ihre Arbeit als Regisseur an diese Sonderform innerhalb einer Reihe anpassen?

Ich habe den Zweiteiler wie einen sehr langen Film gedreht. Die größten kreativen Unterschiede fanden sich dabei in der Buchentwicklung. Beim Drehen war das Hauptproblem, dass man sehr viel Story, Zusammenhänge und Entwicklungen verlässlich im Kopf präsent haben musste. Ich hatte noch nie so viele Nachfragen von Team und sogar Schauspielern, wo sich in der Geschichte die heutige Szene befindet, was davor oder danach passiert. Es war einfach doppelt so viel Holz wie sonst.

Was war Ihnen bei der Entwicklung der Geschichte und der Figuren diesmal wichtig?

Dass wir die horizontale Erzählweise, derer wir uns ja von Anfang an bedient haben, auch wirklich nutzen. Ein "Requiem" auf den gebrochenen Helden Tschiller, wie wir es uns in Teil 4 leisten, das muss man sich zuvor erst einmal verdienen. Dazu haben wir drei Teile lang in diese Figuren investiert. Im Finale werden alle Themen, die mit der Haltung Tschillers, seinen Methoden und seinem Verhältnis zum Verbrechen einhergehen, verdichtet und auch für Tschiller neu beantwortet. Ich hatte schon bei "Willkommen in Hamburg" diese Vision, dass Tschiller und sein Erzfeind Astan nach allem, was sie sich einmal angetan haben werden, gemeinsam durch eine endlose Nacht fahren. Eine Art gegenseitiger Bespiegelung. Christoph Darnstädt hat mit den Büchern wunderbar darauf zugesteuert.

Ist die Suche nach überraschenden Spielorten für die Kämpfe und Showdowns eine große Herausforderung für den Drehbuchautor oder ist Hamburg dafür eine nicht versiegende Wundertüte?

Die Suche nach Spielorten – ob in Hamburg oder sonst wo – ist ja vor allem eine Herausforderung für Regie, Szenenbild und Produktion. Im Drehbuch kann da eine Menge stehen – ob und wo sich das dann funktionierend umsetzen lässt, kann man vom Schreibtisch aus gar nicht beurteilen. Google.maps und Earth helfen da kurzfristig weiter und: Ja, ich bin öfter in Hamburg und fraglos hat Hamburg auch eine Menge zu bieten, was Autoren lustvoll in die Motivzeile hüpft. Aber: Das stimmige Ergebnis auf dem Bildschirm ist Verdienst anderer Gewerke.

Führt die kontinuierliche Arbeit an der Front der Bandenkriminalität zu Abnützungserscheinungen oder fördert sie die Lust an der wiederkehrenden Erneuerung des Actiongenres?

Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Bei einem festen Ensemble wie dem Hamburger "Tatort" kann man Beziehungen entwickeln und benötigt nicht immer wieder Zeit mit Exposition und Einführung von Figuren. Wir erzählen ja eine Eskalation, eine Fehde mit Kosten auf beiden Seiten. So wird der Kampf mit Bedeutung aufgeladen. Das ist bei unserem Actionformat auch nötig, denn die Actionsequenzen gehen ja dramaturgisch gesehen von unserer Erzählzeit ab.

Sie betonten einmal das 'larger than life‘'Prinzip des Hamburger "Tatorts" als Mittel der Überhöhung, um der Härte und Finsternis des Szenarios entgegenzuwirken. Zählt dieser Grundsatz noch immer?

Auf jeden Fall. Wir sind hier fest einer Genre-Tradition verpflichtet und sind kein Reportage-"Tatort". Als großer Genre-Verehrer glaube ich jedoch nicht, dass das einen Beitrag zu gesellschaftlichen Debatten automatisch ausschließt. Das ist ein typisch deutsches Missverständnis. Aber unser "Tatort" soll zuallererst packend unterhalten.

Eine neue Dimension des Verbrechens öffnet sich, zum ersten Mal wird die Verwicklung eines korrupten, deutschen Politikers mit den kriminellen Clans in den Fokus gerückt. Gab es dafür ein Vorbild aus der Wirklichkeit?

Ja, mehrere. Wir haben uns da natürlich vor allem an Hamburger Vorbildern orientiert. Natürlich werde ich keine Namen nennen. Die Figuren sind ja auch nicht mit real lebenden Menschen identisch. Aber sie haben sich das eine oder andere aus dem Hamburger Politmilieu abgeschaut.

LKA-Chef Petretti erkennt sehr wohl die zunehmende Gefahr des organisierten Verbrechens für die Stadt, nennt Firat Astan aber während einer Teambesprechung auch einmal einen "Hamburger Jung". Was bedeutet diese Sichtweise auf neue kriminelle Mitspieler, die von außen nach der Macht an der Waterkant greifen?

Petretti hat schon immer die Ansicht, dass es seine vorderste Aufgabe ist, die Bürger- und Zivilgesellschaft vor Verbrechen zu schützen. Was im Untergrund abläuft, hat nachgeordnete Wichtigkeit. Daher der ihm so wichtige "Kiezfrieden" in "Willkommen in Hamburg". Wenn "Ruhe herrscht", also die kriminellen Energien im Gleichgewicht sind, keine Verteilungskämpfe stattfinden und vor allem keine öffentliche Gewalt, dann ist das für ihn schon mal ein großer Erfolg. Es gibt tatsächlich immer wieder Strömungen in der Polizei, die das so sehen. Eine angreifende Macht von außen bedeutet zunächst einmal, dass der brüchige "Frieden" wieder bedroht ist. Tschiller dagegen ist jegliches Wegschauen zuwider, für ihn gibt es keine Kompromisse mit dem Bösen.

Mit seiner Familie wird diesmal das Heiligste von LKAMann Nick Tschiller angegriffen und zum Teil zerstört. Als Reaktion isoliert sich Nick noch weiter als Einzelkämpfer am Rande der Legalität. Wie bewahren Sie unter diesen prekären Umständen die Identifikation des Zuschauers mit seinem Helden?

Indem wir den Zuschauer hoffentlich auf diese Reise mitnehmen. Es geht in Teil 4 um nichts Geringeres als Nicks Seele. Einerseits ist es emotional nachvollziehbar, was er tut, dass er sich rächen möchte. Andererseits geht dabei, wie Yalcin warnt: "Die Seele kaputt." Dann gibt es kein Zurück und Nick wäre verloren. Ich hoffe, dass die Zuschauer das Dilemma nachempfinden können.

Bei der Folge "Kopfgeld" sagten Sie, dass sich erst dann die richtige Spannung für das Duo Nick/Yalcin beim Zuschauer ergibt, wenn man beide Figuren in die Krise schickt. Wohin bewegt sich nun die menschliche Ebene in der Partnerschaft der beiden Polizisten?

Die vergangenen Erlebnisse haben die Freundschaft der beiden vertieft und belastbar gemacht. Wenn einer eine Chance hat, Nick aus dem Dreck zu ziehen, dann ist das Yalcin. Und trotzdem stößt Nick ihn zunächst von sich. Es ist ein Zeichen für Nicks Wachstum, wenn er endlich die Loyalität Yalcins erkennt und versteht, dass dieser immer sein Rückhalt war, auch und gerade in der Krise. Freunde sagen Freunden die harte Wahrheit ins Gesicht. Insofern kann ich jedem einen Freund wie Yalcin wünschen.

Die Stadt Hamburg zählt weiterhin zu den großen, stillen Hauptfiguren. In "Der große Schmerz" rücken sie den Hafen in ein spektakuläres Licht. Warum wählten sie für den Showdown des zweiten Teils "Fegefeuer" einen eher unauffälligen Spielort?

Tschiller bewegt sich in "Fegefeuer" außerhalb jeglichen polizeilichen Rahmens. Er wird ganz auf seine Person und seinen Gegner Astan zurückgeworfen. Die beiden sind aneinander gekettet sowohl physisch als auch metaphorisch. Es fühlte sich einfach richtig an, die beiden dafür aus Hamburg rauszuholen. Alles ist möglich!

Sehen Sie den Hamburger "Tatort" als Vorbild, um dem im Fernsehen eher selten bespielten Genre des Actionfilms zu mehr Akzeptanz beim Publikum zu verhelfen?

Auf jeden Fall! Ich komme gerade aus Moskau, wo wir soeben den Kino-"Tatort" abgedreht haben. Fürs Kino haben wir in Sachen Action noch mal zwei, drei Schippen draufgelegt! Wenn dem Publikum der Zweiteiler gefällt, bekommen wir hoffentlich auch ein paar Leute ins Kino. Ein erfolgreicher deutscher Actionfilm im Kino, das wäre doch mal was.

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