Interview mit dem Regisseur und Autor Niki Stein zum Tatort: "HAL"

Regisseur Niki Stein
Regisseur und Autor Niki Stein. | Bild: hr / Renate von Forster

Das Erste: Der Titel Ihres Tatorts erschließt sich nicht auf den ersten Blick. Worauf bezieht er sich?


Der Titel ist, wie auch mehrere kleine Bildzitate im Film, eine Verbeugung vor dem großen Stanley Kubrick, der ja schon vor fast 50 Jahren in "2001: Odyssee im Weltraum" den Konflikt Mensch – Computer erzählt hat. Sein Computer hieß HAL (abgeleitet von IBM – jeweils der Buchstabe davor).

In Ihrem Tatort werden die Kommissare mit dem Potential eines Supercomputers namens "Bluesky" konfrontiert. Wie kamen Sie drauf und was hat Sie dabei umgetrieben?


Zunächst war da der Wunsch der Redaktion, dass ich mich nach Stuttgart 21 im "Tatort – Der Inder" vom vergangenen Jahr nun des Themas "Big Data" annehmen sollte. Ich bin eigentlich immer skeptisch, wenn es um "Themen-Tatorte" geht. Das bekommt ja schnell etwas Didaktisches! Auf der anderen Seite habe ich ja schon an anderer Stelle beklagt, dass der Tatort immer mehr verflacht, Geschichten erzählt werden, die so gar keinen Reflex darstellen auf unsere aktuelle Lebenswirklichkeit. Und die ist ja nun wirklich alles andere als sorglos im Moment.

Warum also ausgerechnet jetzt "Big Data"? Und was verstehen Sie darunter?


"Big Data" meint zunächst nur: Das Verarbeiten immer größerer Datenmengen in immer kürzerer Zeit. Jeder weiß, dass es da in den letzten zwanzig Jahren ungeheure Fortschritte gegeben hat. Und Verarbeitungsmenge und Geschwindigkeit wachsen weiter exponentiell. Wenn ein Computer also im Nanosekundenbereich unvorstellbare Datenmengen verarbeiten und zig Milliarden Entscheidungsoptionen auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen kann, dann handelt er fast schon "intelligent". De facto ist es längst Realität, dass Computer uns überwachen, manipulieren und für uns entscheiden. Das letzte Tabu, dass nämlich auch Tötungsentscheidungen von Maschinen gefällt werden, ist – z. B.im amerikanischen Drohnenkrieg –, wahrscheinlich schon längst gefallen. Hinzu kommt, dass wir es inzwischen mit selbstlernenden Programmen und Algorithmen zu tun haben, die sich ständig verbessern. Wir selber füttern diese Maschinen durch unser sorgloses Datenverhalten permanent mit immer neuen Informationen über unser Verhalten, Denken, Fühlen. Wir sind gerade dabei, unsere Souveränität zu verlieren und merken das noch nicht mal. Wenn Sie so wollen: "Twitternd" in die Versklavung! – Vielleicht das größte Menschheitsthema, neben der Vernichtung unseres Lebensraums und der ungerechten Ressourcenaufteilung unter der Weltbevölkerung.

Ist das nicht ein bisschen viel für einen Tatort, der ja vor allem einen spannenden Krimi erzählen soll?


Nicht, wenn man das Thema in einem spannenden Konflikt behandeln kann. Und der ist ja in "HAL" gegeben: Ein Mann kämpft gegen die Maschine, die er selbst entwickelt hat und die sich auf gefährliche Art verselbstständigt. Wenn Sie so wollen, Pinocchio, Frankenstein.

Es gibt in "HAL" keine fremde Macht oder ein Verbrechersyndikat etc., die Macht übernehmen wollen, die Entwickler kreieren im Gegenteil Sicherheitssysteme und Pre-crime-Programme. Ist es die Logik der Systeme, die unvermeidbar zuschlägt?


Wir übergeben Verantwortung an Maschinen, die sich selbst optimieren. Das ist längst Realität. Die Gefahr, die "HAL" beschreibt, dass sich nämlich Maschinen aus ihrer programmierten Logik heraus unserer Kontrolle entziehen, riecht vielleicht etwas nach Science Fiction. Aber z. B. Abschaltungspannen bei Atomkraftwerken zeigen, dass das nicht sehr weit hergeholt ist.

Wie ist denn Ihre eigene Haltung?

Ist mit der Figur David Bogmann, der Skrupel bekommt vor den Geistern, die er rief, ein Appell verbunden? Appelle sollte man vermeiden, siehe oben! – Aber es würde mich schon sehr freuen, wenn nach "HAL" weiter diskutiert wird in der großen Tatort-Gemeinde.

Beträchtliche Teile des Filme sind erst in der Postproduktion entstanden, andererseits haben Sie Drehort und Perspektiven gefunden, die den Near-Future-Charakter des Films unterstreichen. Wie sind Sie an die Umsetzung herangegangen, gab es ein besonderes Konzept? In "HAL" gibt es ja, ohne spoilern zu wollen, eine Art digitaler Mitspieler.


Ein unvermeidbares Mittel beim filmischen Erzählen ist es, Erzählperspektiven einzunehmen: Mit wem fühle ich, mit welchem Charakter "sieht der Zuschauer". Der Computer ist bei uns ein Charakter und bedarf einer besonderen Sichtweise, die bei "HAL" der menschlichen durchaus überlegen ist. Das wollte ich unbedingt visualisieren und habe mit Hilfe von Kameramann Stefan Sommer und dem Digital-Designer Martin Winkler nach einer eigenen Bildästhetik gesucht. Gleichzeitig haben wir uns der Möglichkeiten moderner digitaler Bildbearbeitung bedient, wenn wir z. B. ein Bauwerk, das eigentlich in der Nähe von Offenburg steht, visuell an den Stuttgarter Flughafen verlagern. Ich habe das hier ganz bewusst gemacht: Kein Bild ist verlässlich, nichts "echt". Bilder manipulieren und werden manipuliert: Eine fast schon banale Erkenntnis angesichts der Probleme, die sich hinter Big Data auftürmen. Die erfolgreiche Programmentwicklerin und Autorin des Buches "Sie wissen alles", Ivonne Hofstetter, schreibt, es wäre längst an der Zeit, "das einzige Supergrundrecht unserer Gesellschaftsordnung, die Menschenwürde, gegen die digitale Revolution" zu verteidigen. Sie fordert dafür eine neue Gesetzgebung, eine Ethik der Algorithmen und eine gesellschaftliche Debatte darüber, was der Mensch in Zukunft sein will. Das kommt von einer Frau, die täglich mit Algorithmen umgeht und ihr Geld damit verdient! Das sollte uns zu denken geben.

Abschließend: Wie bewahren Sie Ihr Smartphone auf?


In der Hosentasche, ich bin da völlig naiv. Aber meine Kinder kleben längst die eingebauten Kameras ihrer Computer ab.

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