Gespräch mit Dr. Marwan Abou Taam

"Tatort"-Fachberater, Islamwissenschaftler, Politologe und Terrorismusexperte beim Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz

Imam Abu Abdallah (Ferhat Keskin) heißt Julia (Mala Emde) herzlich willkommen.
Imam Abu Abdallah heißt Julia herzlich willkommen. | Bild: NDR / Christine Schroeder

Das 17-jährige Mädchen, das im Film zum Islam konvertiert und nach Syrien ausreisen will, stammt aus einer deutschen Familie. Ist diese Geschichte realistisch?

mit europäischem Hintergrund, die sich dem "Islamischen Staat" angeschlossen haben. Darunter sind Mädchen aus Österreich und aus Ostdeutschland, die keinen Migrationshintergrund haben. Der Film thematisiert die Ursachen und Mechanismen ihrer Radikalisierung und zeigt sehr realitätsnah, wie die Mädchen von Seelenfängern rekrutiert werden. Sie machen ihnen in einer konkreten persönlichen Konfliktsituation Angebote, die ihre Lage scheinbar verbessern. Islamisten gehen sehr rational vor. Sie wissen, dass sie hier ein leichtes Spiel haben. Der Film gibt das gut wieder.

Warum lassen sich die Mädchen darauf ein?

Nach unseren Erkenntnissen gibt es drei Hauptmotive für diesen radikalen Schritt. Die meisten Frauen, die aus Deutschland in Richtung IS ausreisen, begleiten ihre Ehemänner. Dann gibt es stark ideologisierte Frauen, die sich auf die Reise machen, weil sie vom Projekt IS überzeugt sind. Sie wollen das islamische Gebiet bevölkern und Kinder gebären, wahre gläubige Kinder von gläubigen Männern. Die dritte Gruppe hat eine verquere romantische Vorstellung von den Kämpfen in Syrien. Diese Frauen reisen aus, um einen echten Kämpfer des IS zum Mann zu nehmen.

Was erleben diese Frauen in Syrien?

Unverheiratete junge Frauen ohne Begleitung werden in einem Gästehaus untergebracht und dort zwangsverheiratet. Erst wenn sie vermählt sind, dürfen sie das Haus wieder verlassen. Die Ehen, die dort geschlossen werden, sind nicht für eine lange Dauer angelegt. Es sind mehr oder weniger Sex-Ehen. Vergewaltigungen gehören zum Alltag. Gerüchten zufolge werden vor allem junge unerfahrene Frauen vielen Sexpartnern zugeführt. Sie erleben ihre totale Versklavung, womit sie nicht gerechnet haben.

Wie viele deutsche Frauen sind nach Syrien gegangen?

In Deutschland sind insgesamt 9000 Salafisten aktiv. 870 bis 900 Personen sind ausgereist, davon sind etwa 20 Prozent Frauen. Eine Zeitlang konnten wir beobachten, dass mehr Frauen als Männer angeworben wurden, und zwar von ihren Freundinnen, die bereits ausgereist waren. Inzwischen gehen wieder in der Mehrzahl Männer nach Syrien. Aber es ist schwieriger geworden, ins Land zu kommen, seit sich die Türkei deutlich vom IS distanziert hat.

Im Film steckt der Verfassungsschutz hinter der Rekrutierung des Mädchens. Passiert so etwas wirklich?

Es ist durchaus denkbar, dass der Verfassungsschutz Informationen über eine bestimmte salafistische Gruppe nicht an die Polizei weiterleitet, weil er einen Informanten in die Szene eingeschleust hat und somit Informationen abschöpfen kann. Solche Aktivitäten gehören zum Handwerk des Verfassungsschutzes, und die Behörde entscheidet selber, ob und wann sie die Polizei einschaltet. Dass daraus ein Konflikt zwischen Verfassungsschutz und Polizei entstehen kann, macht der Film an mehreren Stellen deutlich. Wenn allerdings ein minderjähriges Mädchen in die Fänge der Salafisten gerät, dann wird der Verfassungsschutz meiner Ansicht nach nicht spielen, sondern früh und schnell reagieren, um es aus dem Milieu herauszuholen. Hier spitzt der Film die Situation zu, was für einen Krimi völlig legitim ist.

Haben Sie die Hoffnung, dass dieser "Tatort" eine abschreckende Wirkung erzielt?

Es ist mein Interesse, junge Mädchen davor zu warnen, in die Fallen der Salafisten zu tappen und deren falschen Versprechen auf den Leim zugehen. Natürlich bin ich Realist genug, um zu wissen, dass es sich um einen Unterhaltungsfilm handelt, aber wenn er einen präventiven Nebeneffekt hat, dann ist es ein großer Erfolg.

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