Interview mit der Polizei München zum Thema "Bettel-Mafia"

Robert Röske, Polizeihauptkommissar und Leiter der Zivilen Altstadtgruppe (ZAG) der Polizei München im Gespräch

Anuscha Dablika (Cosmina Stratan) hilft ihrer Schwester Tida (Mathilde Bundschuh), deren Fruchtblase unerwartet früh geplatzt ist.
Anuscha Dablika hilft ihrer Schwester Tida, deren Fruchtblase unerwartet früh geplatzt ist. | Bild: ARD Degeto/BR / Walter Wehner

Wie steht es aktuell in München um die "Bettel-Mafia"?

Im Moment gibt es ungefähr 40 bis 50 Bettler in der Münchner Innenstadt. Es ist für uns sehr schwierig, konkrete Aussagen über eine "Bettel-Mafia" zu machen. Wir sind uns allerdings  sicher, dass es Strukturen im Hintergrund gibt, deren Organisationsform man als mafiös bezeichnen kann. Die tatsächliche Aufklärung kann jedoch nur im Herkunftsland der jeweiligen Bettler-Gruppen erfolgen. In Deutschland agieren meist nur Mittelsmänner, die die Vorgänge vor Ort regeln. Diese werden jedoch durch die eigentlich Geschädigten, die Bettler selbst, geschützt, weil sie sie zum Beispiel mit Gewaltandrohung ihrer Familien in Rumänien bedrohen. Auch andere Repressalien, Körperverletzungen oder der Verlust ihrer Einnahmequelle machen es den Bettlern unmöglich, die Hintermänner zu verraten. Dadurch gibt es auch sehr selten Festnahmen, weil die Verbrecher für uns nicht greifbar sind.

Wie empfinden Sie selbst den Begriff der "Bettel-Mafia", den die Presse geprägt hat?

Wir benutzen den Begriff auch intern, weil er als Schlagwort in aller Munde ist und jeder direkt weiß, was gemeint ist. Er beschreibt diese Strukturen allerdings nicht umfassend. Die Organisationsstruktur ist lockerer als bei der echten Mafia. Es gibt keinen Paten, an den das ganze Geld fließt, eher Kleingruppen, die den Transfer regeln und die Leute für verhältnismäßig geringen Lohn dazu bringen, für sie zu betteln.

Kann man in diesem Zusammenhang von Menschenhandel sprechen?

In Einzelfällen gab es Ansätze von solchen Tatverdachtsmomenten, die sich aber nie bestätigt haben. Auch hier ist wieder das größte Problem, dass die Leute sich nicht äußern. Einmal gab es so eine Äußerung, kurz darauf wurde die Anklage aber zurückgenommen. Wir gehen davon aus, dass da ein gewisser Druck ausgeübt wurde.

Welche Entwicklung nahm diese Problematik in den letzten Jahren?

Im Jahr 2006 kamen die ersten osteuropäischen Bettler durch die Osterweiterung der EU. Sie reisen durch die Metropolen in Westeuropa. Erst war das weitgehend unorganisiert. Bald fanden jedoch organisierte Transfers und Schleusungen statt, wobei besonders Menschen mit ersichtlichen Erkrankungen oder Amputationen engagiert wurden, die dann auch noch Vermittlungsgebühr zahlen mussten. Im Moment ist die Problematik europaweit bekannt, wobei es überall verschieden harte Gesetze gibt. In Köln werden in der Innenstadt zum Beispiel über 600 Bettler verzeichnet, ganz zu schweigen von Rom und den Bettlern an der Spanischen Treppe.

Können Sie grob umschreiben, welches Betteln in München erlaubt und welches verboten ist?

Seit August 2014 gibt es eine neue Allgemeinverfügung, die sich vor allem auf den Bereich des Altstadtrings bis zur Paul-Heyse-Unterführung am Bahnhof bezieht. Dort ist nur das stille Betteln erlaubt. Untersagt ist generell aktives oder aggressives Betteln, Betteln mit Kindern oder Tieren oder Zurschaustellung von echten oder falschen Gebrechen. Wir haben festgestellt, dass sich die Bettler tatsächlich an diese Angaben halten und sich auf das stille Betteln konzentrieren. Eine Ausnahme für die Allgemeinverfügung ist die Fußgängerzone, dort ist Betteln jeglicher Art untersagt.

Wie sollte man sich als Bürger richtig verhalten: Geben oder nicht geben?

Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Man muss wissen, dass ein sehr geringer Teil tatsächlich bei den Leuten ankommt, die bedürftig sind. Oft verschafft man lediglich den Hintermännern ein gutes Leben. Und wir sprechen hier von beträchtlichen Summen. Bettler bekommen in der Vorweihnachtszeit oder bei Großereignissen, wie dem Oktoberfest, zwischen 100 und 400 Euro am Tag. Das kommt natürlich auf den Standort und die Art und Weise des Bettelns an. Da muss man dann Abwägen: Ist das ein einheimischer oder ein ausländischer Bettler? Beide sind natürlich gleich bedürftig. Der Einheimische ist allerdings nicht mafiös strukturiert. Dennoch ist das sehr schwierig zu unterscheiden. Ich kann nicht sagen „geben sie nichts“, weil manche Bettler wirklich ihren Lebensunterhalt damit verdienen. Man muss kritisch sein und hinterfragen, wer da genau wie bettelt. Jeder Euro, der in diese ominösen Kanäle fließt, hält das System weiter am Laufen.

Wie ist das polizeiliche Vorgehen beim Aufspüren von mafiösen Bettlerbanden?

Wir beobachten die Szene, uns sind die Leute meist bekannt. Sie kommen turnusmäßig immer wieder zurück. Wir bekommen auch Mitteilungen aus der Bevölkerung, dass z.B. Gruppierungen mit Lieferfahrzeugen angeliefert werden und ihnen Bettelkarten, Bilder, Krücken, Gehhilfen, Rollstühle, etc. aus- und Bettelorte zugeteilt werden. Bei einem Fall in der Galeriestraße erinnere ich mich daran, dass in den frühen Morgenstunden ein Bus ankam, aus dem fünf bis sechs Bettler ausstiegen. Nach kurzer Einsatzbesprechung sind sie dann losgezogen. Wir haben die Leute natürlich kontrolliert, Daten und Kennzeichen festgehalten, damit sie aus der Anonymität gerissen sind und sie dann sehr genau beobachtet. Das reicht jedoch nicht für Verhaftungen, dazu bräuchten wir Aussagen, dass da etwas Mafiöses vorgeht. Seit 2004 ist es nur in zwei Fällen passiert, dass wir eine schriftliche Aussage von einem Bettler in Bezug auf einen Hintermann bekommen haben. Daraufhin haben wir dann internationale Haftbefehle erwirkt.

Was erlebt man als Leiter der ZAG in über zehn Jahren?

Unser Job ist nicht immer lustig, teilweise sogar sehr traurig, wenn zum Beispiel kleine Kinder oder Säuglinge dazu missbraucht werden, um Mitleid zu erwecken. Einmal haben wir einen Bettler mit Krücken kontrolliert. Er sah aus, als hätte er massive Verletzungen. Während der Kontrolle hat er Angst bekommen, hat die Krücken weggeworfen und ist in feinster Leichtathletikmanier durch die Fußgängerzone davon gespurtet. Oder ein Bettler mit einem amputierten Bein hat uns mal so heftig angegriffen, dass wir zu zweit gut damit beschäftigt waren, ihn im Zaum zu halten. Da wir in Zivil unterwegs sind, reagierten die Leute im Umfeld da sehr verwirrt. Die wissen ja nicht, wer wir sind und sehen nur zwei Leute, die mit einem Behinderten rangeln. Das kann dann auch mal skurril werden.

Wie wird Ihr Job generell von den Bürgern wahrgenommen?

Im Laufe der Jahre ist der Bürger kritischer und dadurch dankbarer in Bezug auf die ZAG geworden. Auch dadurch, dass das Thema so stark in den Medien aufgegriffen wurde. Am Anfang dieses Phänomens wurden die Kontrollen in der Innenstadt von den Passanten als sehr kritisch gesehen und wir sogar angefeindet. Mittlerweile ist das einer Zustimmung in der Bevölkerung gewichen.

Haben Sie auch schon minderjährige Bettler/innen erlebt?

Ein minderjähriges Mädchen wurde mal ganz gezielt von ihrer Mutter, die in der Entfernung wartete, in einen Biergarten geschickt. Sie ist hartnäckig geblieben, bis die Leute an den Tischen ihr etwas gegeben haben. Da haben wir das Jugendamt eingeschaltet, die der Mutter das Sorgerecht entziehen wollten. Daraufhin haben diese Versuche aufgehört. Wenn das Kindswohl gefährdet ist, muss man auch mal rigoros durchgreifen, um das Kind zu schützen.

Wie stark ist zur Weihnachtszeit der Zuwachs an Bettlern?

Wir verzeichnen zu Weihnachten sowohl einen zahlenmäßigen Zuwachs in der Innenstadt, als auch um die Christkindlmärkte herum. Da ist das Betteln zwar verboten, aber natürlich versuchen die Bettler, die spendenfreundliche Stimmung der Bevölkerung zur Weihnachtszeit aufzufangen. Es werden auch vermehrt Versuche gestartet, mit Hilfsmitteln, wie Gebrechen oder Leiden das Mitleid der Menschen anzuzapfen.

Wie sieht es mit milieuspezifischen Straftaten aus? Gibt es Ihnen bekannte Mordfälle in diesem Milieu?

Es gibt Streitigkeiten um die besten Plätze, um Nahrungsmittel oder Kleidungsstücke. Es ist auch nicht auszuschließen, dass die Bettler für gewisse Einbrüche zumindest mitverantwortlich sind, weil sie Tipps an andere Strukturen geben, die sich eben auf Einbrüche spezialisiert haben. In Zusammenhang mit den Hintermännern wird zwar Druck ausgeübt, es kommt auch mal zu Körperverletzungen und es gibt Drohungen und Nötigungen, jedoch musste die Mordkommission bisher zum Glück noch nicht ermitteln. Es gibt aber auch da eine Kultur des Schweigens, die jegliche Ermittlungen natürlich erheblich erschwert.

Wie und wo werden diese organisierten Bettler untergebracht?

Sie schlafen meist in ihren Autos, unter Brücken, in Gebüschen, wir haben auch schon mal ein richtiges Camp mit selbstgebauten Pappzelten im Wald gefunden. Vereinzelt leben sie auch in Abbruchhäusern oder bei Bekannten/Verwandten. Die Mehrzahl campiert jedoch im Freien.

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