Interview mit Johanna Gastdorf zum Tatort: Pauline

Das Erste: Haben Sie in diesem "Tatort" eigentlich die undankbarste Rolle?
Johanna Gastdorf: Auf den Gedanken bin ich überhaupt nicht gekommen ...

Immerhin traut man Ihnen als Dorfpolizistin Katharina Lichtblau offenbar nicht zu, den Mord an der 12-jährigen Pauline allein aufzuklären. Kaum ist die Leiche gefunden worden, rückt auch schon Kommissarin Lindholm aus Hannover an.
Das betrachtet meine Dorfpolizistin aber nicht als Abwertung ihrer Person. Diese Frau ist sehr bodenständig und geerdet, hört auf ihren Instinkt und hat Vertrauen in ihre Mitmenschen. Und sie ist klug genug, der erfahrenen, erfolgreichen Kommissarin die Führung zu überlassen, ohne allerdings nur noch zu kuschen oder sich unterbuttern zu lassen. Sie vertraut weiterhin ihrem Instinkt und sagt frei heraus, was sie denkt. Genau dieser direkte Zugang zu ihrem Instinkt hat mich an dieser Figur interessiert.

Was geschieht, als Sie und Kommissarin Lindholm sich zum ersten Mal begegnen?
Da prallen schon zwei Welten aufeinander: Katharina Lichtblau als Dorfpolizistin, die noch völlig unter dem Eindruck des Todes von Pauline steht und ihre Tränen kaum zurückhalten kann, Charlotte Lindholm als rationale, beherrschte Ermittlerin, die sich besorgt fragt, wie sie mit dieser aufgewühlten, emotional ins Geschehen verstrickten Frau zusammenarbeiten kann.

Mit emotionaler Verstrickung bekommen Sie es auch in Ihrem Beruf als Schauspielerin zu tun. Wie stark verstricken Sie sich in Ihre Rollen? Können Sie nach Drehschluss gut abschalten?
Bei meinen ersten Film- und Fernsehdreharbeiten konnte ich das nicht. Als langjährige Theaterschauspielerin galt für mich die Devise: Nach der Probe ist vor der Probe. Selbst nach der Premiere feilt man weiter an seiner Rolle. Eine abgedrehte Szene allerdings ist im Kasten und damit abgehakt. Beim "Wunder von Bern" hat mich Regisseur Sönke Wortmann immer gestoppt, als ich mit ihm eine abgedrehte Szene besprechen wollte. Dass es hier nichts mehr zu diskutieren gibt, habe ich mittlerweile gelernt.

Zurück zum "Tatort": Wo liegen die starken Seiten Ihrer Dorfpolizistin? Immerhin zieht sie eine Tochter mit Down-Syndrom groß ...
Ja, da stand übrigens wirklich ein Mädchen mit Down-Syndrom vor der Kamera. Deshalb verliefen die Drehs mit ihr manchmal anders als geplant. Aber zu den starken Seiten: Dass Katharina die Mutter einer Tochter mit Down-Syndrom ist, liefert fast schon einen Schlüssel zu ihrer Persönlichkeit. Wie ich von Mütter mit Down-Kindern weiß, geben gerade diese Kinder ihren Eltern eine enorme Kraft zurück. Diese Eltern sind oft zu besonderer Dankbarkeit und bedingungsloser Liebe fähig.

Aber etwas naiv ist Frau Lichtblau, oder? Weil sie nicht aufpasst, wird sie von ihrer geistig behinderten Tochter auf spielerische Weise in die Revierzelle gelockt und eingesperrt - was Paulines Vater Bruno die Gelegenheit gibt, eine Waffe aus dem Revier zu entwenden. Ein grober Schnitzer.
Sie hat sich da von ihrer Tochter mit einem Aufziehspielzeug in die Zelle locken lassen. Ich hoffe, dass sie nicht zu dümmlich wirkt, dass dieser Schnitzer nachvollziehbar ist.

Waren Sie sich mit Regisseur Niki Stein beim "Tatort" denn immer einig darüber, wie eine Szene gespielt und gedreht werden soll?
So wie sich Katharina Lichtblau von Charlotte Lindholm nicht unterbuttern lässt, so wenig lasse ich mich von Regisseuren an der kurzen Leine führen. Mitdenken sollte erlaubt sein, finde ich. Aber da habe ich bei Niki Stein offene Türen eingerannt. Oft war es allerdings so, dass Maria Furtwängler und ich einen ähnlichen Standpunkt vertreten haben, aber Niki Stein ließ sich von unserem Damen-Doppel kaum aus der Fassung bringen. Im Gegenteil: Unter uns Dreien herrschte eine sehr konstruktive Atmosphäre.

Auch im Film scheint trotz der Hierarchie-Unterschiede so etwas wie Frauen-Solidarität zwischen Lindholm und Lichtblau zu entstehen, oder? Als der Ehemann der Dorfpolizistin mit Frau Lindholm flirten will, erteilt die Kommissarin ihm eine Abfuhr – und Lichtblau lobt sie dafür.
Ja, Charlotte Lindholm kanzelt ihn kräftig ab, Katharina Lichtblau dagegen macht klar, dass sie ihn trotzdem liebt. Deshalb lag mir daran, dass der Ehemann nicht allzu lüstern und schmierig wirken sollte.

Wie fühlt es sich eigentlich an, als Schauspielerin Polizeiuniform zu tragen?
Ich war froh, dass ich die neue, dunkelblaue Uniform tragen durfte. Allerdings habe ich mich neben der hochgewachsenen Maria Furtwängler schon gelegentlich als kleine blaue Knolle gefühlt. Andererseits haben wir in der kalten Vorweihnachtszeit gedreht, und bei den Außendrehs war ich froh, dass ich dieses wärmende Kostüm tragen durfte.

Sie haben in zwei sehr erfolgreichen deutschen Kinofilmen mitgespielt, in "Sophie Scholl" der für den Oscar nominiert war, und in "Das Wunder von Bern". Erfüllen Sie diese Arbeiten mit Stolz?
"Das Wunder von Bern" möchte ich auch als kleines Wunder für mich bezeichnen. Nachdem ich fast 20 Jahre am Theater gespielt hatte, kam quasi über Nacht dieser Kino-Erfolg, der für mich durchaus eine Art Wendepunkt bedeutete. Besonders schön dabei war, dass Regisseur Sönke Wortmann mich besetzt hatte, weil er mich auf der Bühne erlebt hatte.

Für "Das Wunder von Bern" sind Sie 2003 mit dem Bayerischen Filmpreis für die beste Nebenrolle ausgezeichnet worden - als Mutter des fußballbegeisterten elfjährigen Matthias Lubanski. Und in diesem Jahr erhielten Sie den renommierten Grimme-Preis für eine Rolle im "Polizeiruf 110". Waren das auch für Sie besondere Filme?
Ja, die Arbeiten an diesen Filmen waren allesamt besondere, herausragende Momente für mich, die intensive Atmosphäre am Set von "Sophie Scholl" mit Regisseur Marc Rothemund und Julia Jentsch als Sophie Scholl genauso wie der "Polizeiruf", den Andreas Kleinert inszeniert hat.

0 Bewertungen
Kommentare
Bewerten

Kommentare

Kommentar hinzufügen

Bitte beachten: Kommentare erscheinen nicht sofort, sondern werden innerhalb von 24 Stunden durch die Redaktion freigeschaltet. Es dürfen keine externen Links, Adressen oder Telefonnummern veröffentlicht werden. Bitte vermeiden Sie aus Datenschutzgründen, Ihre E-Mail-Adresse anzugeben. Fragen zu den Inhalten der Sendung, zur Mediathek oder Wiederholungsterminen richten Sie bitte direkt über das Kontaktformular an die ARD-Zuschauerredaktion: https://hilfe.ard.de/kontakt/. Vielen Dank!

*
*

* Pflichtfeld (bitte geben Sie aus Datenschutzgründen hier nicht Ihre Mailadresse oder Ähnliches ein)

Kommentar abschicken

Ihr Kommentar konnte aus technischen Gründen leider nicht entgegengenommen werden

Kommentar erfolgreich abgegeben. Dieser wird so bald wie möglich geprüft und danach veröffentlicht. Es gelten die Nutzungsbedingungen von DasErste.de.

Links