Im Gespräch mit Marvin Kren

Regie

»Das ist das Tolle am "Tatort": Man kann politische Gespenster aufgreifen und zur Diskussion stellen.«

Katharina Lorenz und Thorsten Falke
Die verzweifelten Flüchtlinge, die in einem Container aufgegriffen wurden, begegnen den Kommisaren im Verhör mit Distanz – und können so keine neue Spur für die Ermittlungen in dem Fall legen. | Bild: NDR / Boris Laewen

"Kaltstart" ist, nach zwei Kinofilmen, Ihre erste Fernseharbeit. Was war für Sie das Reizvolle an der Aufgabe, einen NDR "Tatort" zu inszenieren?

Ich stand zwischen zwei Projekten, und es war für mich relativ schnell klar, dass ich den "Tatort" mache, weil das eine tolle Möglichkeit ist, interessantes Fernsehen zu machen, auf sehr hohem Niveau, mit ganz tollen Schauspielern. Diesen "Tatort" mit Wotan Wilke Möhring halte ich überhaupt für einen der spannendsten, die es gerade gibt, weil die Ermittler bei der Bundespolizei sind. Thorsten Falke und sein Team suchen die Verbrecher nicht mehr im Schlafzimmer, wegen Eifersüchteleien oder Rachegelüsten, sondern das sind hochpolitische "Tatorte", die auf einer höheren, einer internationalen Ebene spielen. So kann man Themen verhandeln, die man sonst eigentlich nur aus den Nachrichten bekommt. Das macht diese Arbeit irrsinnig spannend.

Wie sind Sie an den Stoff herangegangen? Was stand für Sie im Vordergrund?

Wenn man den "Tatort" mit einem Genre vergleichen möchte, würde ich sagen, es handelt sich um einen Spionagethriller im besten Sinne. Weil die Ermittler hier einer größeren Waffenlobby auf die Spur kommen und es darum geht, dass die Beobachter selbst zu Beobachteten werden. Das ist sehr spannend gemacht, und es war eine filmische Herausforderung, das umzusetzen.

"Kaltstart" schildert zunächst einmal die heikle Situation illegaler afrikanischer Migranten, die nach Wilhelmshaven geschleust werden. Haben Sie hier mit Laien oder mit Profis gearbeitet?

Die meisten davon waren Laien, bis auf den, der den Vater gespielt hat, und die Situation hatte etwas sehr Besonderes, weil die Produktion viele echte Migranten gefunden hat, die diese Szenen spielen wollten. Leute, die jetzt in Wilhelmshaven und Umgebung wohnen, aber tatsächlich so eine Flucht durchgemacht haben. Das war natürlich ein Riesenzufall, und als Regisseur merkt man in so einer Situation, wie heikel und riskant es auch ist, so etwas wie die Öffnung dieses Containers zu drehen. Die Laiendarsteller haben mich aber darin bestärkt, indem sie gesagt haben, dass es für sie gut ist, diese traumatischen Situationen noch einmal durchzuspielen, und ich bin sehr stolz auf diese Szenen. Ich bin mit dem größten Respekt da herangegangen und habe sehr viel dabei gelernt. Wenn man von Laien viel verlangt, muss man gemeinschaftlich und respektvoll mit ihnen arbeiten.

Ihr Film liefert starke Bilder, insbesondere vom Jade Weser Port. Berichten Sie uns von der Arbeit mit Kameramann Moritz Schultheiß am visuellen Konzept.

Wir hatten uns vorgenommen, einen Spionagethriller zu machen, und das muss man erst mal finden in Deutschland. Das Tolle an Wilhelmshaven war, dass dieser Ort mit den vereinzelten kleinen Häfen, den Militärschiffen und der tollen Brücke, die sie dort haben, eine unglaublich tolle Kulisse liefert. Das wollten wir uns zunutze machen, indem wir ganz viel draußen gedreht haben. Mit einer abenteuerlichen Brennweite mit geringer Tiefenschärfe konnten wir diese spannenden Bilder machen. Dabei hatten wir natürlich amerikanische Vorbilder, den Film "Der Staatsfeind N. 1" mit Will Smith aus den Neunzigern zum Beispiel oder auch verschiedene Episoden aus "Breaking Bad" oder "Homeland".

Wir sehen immer wieder Luftaufnahmen des Containerterminals und der Stadt. Wie ist das entstanden?

Wir wollten in dem Film zeigen, dass die ganze Stadt unter einer höheren, fast gottgleichen Beobachtung steht, und dieser nach und nach immer mehr ein Gesicht geben. Zum Glück hatten wir großartige Unterstützung von der Produktionsfirma und vom NDR, so dass wir die Aufnahmen mit einer top-shooting eingestellten Kamera vom Hubschauer aus machen konnten. Diese Bilder haben wir dann so nachbearbeitet, dass sie aussehen, als würden sie von einer Überwachungskamera stammen.

Die Ermittler nehmen zunächst den bankrotten Spediteur Dreyer ins Visier, der ziemlich durchgedreht ist. Steht diese Figur stellvertretend für den Wahnsinn des Großprojekts Jade Weser Port oder warum haben Sie ihn so inszeniert?

Für mich war Dreyer in erster Linie jemand, der nicht weitsichtig genug war und den Hals nicht voll genug kriegen konnte. Ihm hat die Gier das Hirn vernebelt. Ich möchte den Jade Weser Port gar nicht in so ein schlechtes Licht stellen, weil das ein weitsichtiges Unternehmen ist, das scheinbar jetzt nicht funktioniert, aber ich bin optimistisch genug, dass die großen Pötte da früher oder später auch anlegen werden. Die Figur Dreyer steht aber durchaus für eine Form von Größenwahnsinn und von Gier, die ins Verderben führt, und das ist sicher stellvertretend für viele Unternehmer unserer Zeit.

Nach und nach begreifen wir, dass es um mehr geht als um Schleuser; Jertz und der Milizionär Jérôme Mdanga sind Handlanger anonym bleibender Waffenhändler. Sie haben mit André Hennicke und Jimmy Jean-Louis ausdrucksstarke Typen besetzt.

Ich bin riesiger Fan von André Hennicke, seit ich 2005 "Antikörper" von Christian Alvart gesehen habe, in dem es schon einmal ein Zusammentreffen zwischen Wotan und André gab. André Hennicke ist hinter der Kamera ein sehr sympathischer, liebenswürdiger Mensch, aber gleichzeitig hat er diese unglaublich dämonische Ausstrahlung, und ich bin jedes Mal fasziniert von seiner Präsenz. Mir war es wichtig, einen relativ klaren Bösewicht im Film zu haben, damit man schnell versteht: das ist böse und das ist gut. Jimmy Jean-Louis kenne ich aus einer amerikanischen Produktion, aus „Heroes“; auch den wollte ich haben, weil er eine ganz besondere Ausstrahlung hat. Er hat etwas sehr Viriles, Männliches und kann dem Bösen auch eine gewisse Attraktivität verleihen. Ihm sieht man einfach gerne zu.

Was Falke und Lorenz lange Zeit nur ahnen, wird irgendwann zur Gewissheit: Sie werden bespitzelt …

Ja, das ist ein überraschendes Moment in dieser Geschichte, dass nicht nur die Ermittlungsbehörden observieren und überwachen, sondern dass sie selbst observiert und überwacht werden. Das ist eine unheimliche Perversion, und natürlich ist das mehr Fiction als Realität. Aber wer weiß? Vielleicht gibt es tatsächlich schon private Organisationen, die Verbindungen haben zu Satelliten, die jeden beobachten können. Die aktuellen Veröffentlichungen zum Thema Überwachung haben uns ja alle aufgeschreckt, weil wir gar nicht für möglich gehalten hätten, was heute technisch schon alles geht und auch tatsächlich gemacht wird von Seiten der Behörden. Und was die können, können andere vielleicht auch.

Ihr Film läuft auf einen spannenden Showdown am Hafen zu, der mit einer Überraschung endet. Thorsten Falke traut seinen Augen nicht. Ein Gruß aus der Zukunft?

Als jemand, der vorher Horrorfilme gemacht hat, habe ich einen schmerzlosen Zugang zum Phantastischen und zur Sciene-fiction und dementsprechend begeistert war ich, als ich diese Szene zum ersten Mal las. Dass es tatsächlich vorkommt, das Monster aus der Zukunft, wenn man so will, dass man dem wirklich auch ein Gesicht gibt. Und ich finde, man muss es tun, denn wenn man den Zeitungsartikeln der letzten Monate Glauben schenken möchte, ist das ein Prozess, der nicht mehr aufzuhalten ist. Das ist das Tolle am „Tatort“: Man kann politische Gespenster aufgreifen und zur Diskussion stellen. Ich kann mir vorstellen, dass einige den Kopf schütteln werden, aber in fünf Jahren werden wir wahrscheinlich alle anders darüber denken.

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