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Ghana: Nachfahren der Sklaven – Rückkehr nach 400 Jahren

PlayEin Mann hält einen Stammbaum mit Bildern
Ghana: Nachfahren der Sklaven – Rückkehr nach 400 Jahren  | Bild: NDR

Im August 1619 begann eines der dunkelsten Kapitel der Menschheitsgeschichte: der Handel mit Sklaven über den Atlantik hinweg, von Afrika nach Amerika. Viele Millionen Menschen wurden in Ketten gelegt, nur jeder Dritte überlebte die Qualen – so Schätzungen. Vor allem in Ghana wird dieses Ereignisses gedacht: Nirgendwo gibt es so viele Kastelle, von denen aus Gefangene in die sogenannte "Neue Welt" gebracht wurden. Zwei Millionen Touristen erwartet das Land dieses Jahr – ein Spitzenwert. Gleichzeitig hat Ghana 2019 zum Jahr der Rückkehr ausgerufen: Vor allem aus den USA seien Hunderte "Heimkehrer" dem Ruf des ghanaischen Präsidenten gefolgt, heißt es in der Hauptstadt Accra.  

Almina Castle am Küstenabschnitt "Al Mina" war einer der ersten Stützpunkte des Handels mit Sklaven. Deren Nachkommen suchen heute, 400 Jahre später, nach Spuren, der eigenen Geschichte, der eigenen Identität. Viele kommen aus den USA, die meisten als Touristen. Aber manche auch, um zu bleiben.

600 Männer und 400 Frauen im Kastell zusammengepfercht auf engstem Raum. Vor der Verladung auf Schiffe, vor Zwangsarbeit oder Tod. Vor allem die Nachfahren aus den USA legen Kränze des Gedenkens nieder. Gekommen sind auch Afiya Khalia und Marcus Taylor. "Ich bin schon ganz gut in Geschichte und weiß einiges. Und trotzdem: Auf das hier war ich nicht vorbereitet. Mich macht das einfach nur fertig", sagt Taylor, Khalia ergänzt: "Worte allein können nicht ausdrücken, was ich denke, was ich fühle."

Von Detroit nach Ghana

Almina Castle
Almina Castle war einer der ersten Stützpunkte des Handels mit Sklaven. | Bild: NDR

Marcus Taylor aus Detroit will in Ghana seine Heimat finden. Seit er hier ist, sind Afia und er ein Paar. Marcus hat ein Haus in der Hauptstadt Accra gemietet. Sein Umzugscontainer aus den USA ist noch nicht da. Im Wohnzimmer stehen nur zwei Sofas – und alte Bilder von Afias Verwandten. Familiengeschichte bedeutet in diesem Haus etwas. Auch wenn sie schmerzt, oft verbunden war mit Erniedrigung und Gewalt in der alten Heimatstadt Detroit: "Als ich zwölf Jahre alt war, haben Polizisten meine Familie angegriffen. Ich sah, wie jeder Mann aus der Familie geschlagen wurde. Auch meine Großmutter und meine Mutter wurden vor meinen Augen geschlagen – ich war zwölf! Wir kamen gerade von der Beerdigung meiner Ur-Großmutter. Als ist diese große Ungerechtigkeit sah, in dem Alter, fühlte ich: 'Hier gehöre ich nicht her!'", erinnert sich Taylor.

Nebenan bereitet sich Afia auf ihre nächste Klientin vor. Die 38-Jährige praktiziert in einem Nebenraum Körper-Therapie: eine Mischung aus traditioneller, westlicher Massage und ghanaischer Stammesspiritualität. Die Hinwendung zu Afrika ist auch bei ihr eine Folge von Ablehnung und Diskriminierung in den USA, sagt sie. Sie war noch jung, als sie ihr Arbeitgeber vorlud: "Mit 19 hatte ich mein Aha-Erlebnis. Zum ersten Mal wurde mir klar gesagt, dass es nicht akzeptabel ist, Afrikanerin zu sein. Die Person sah mich an und sagte: 'Weißt du, ich mag Dich wirklich. Dein Haar ist echt süß. Aber wir werden Dich versetzen müssen – wenn Du nicht Deine Frisur änderst. Die Chefs sind der Meinung, Deine Haare sind etwas zu 'ethnisch''. Und ich dachte: zu ethnisch? Was soll das heißen?"
All das hat sie nun hinter sich gelassen. Alles, was sie jetzt tut, soll ihr gut tun – und anderen: "Mit meinen Therapien gebe ich den Menschen Hoffnung. Für mich sind sie genauso heilsam wie meine Musik."

Das Tor ohne Wiederkehr wird zum Tor der Rückkehr

Marcus Taylor im Interview
Marcus Taylor fühlte früh, dass die USA nicht seine Heimat sind. | Bild: NDR

Eine der Frauen sein, die etwas verändern – das will Afia. In Los Angeles hatte sie mit Hip Hop angefangen, hier in Accra macht sie weiter, unterstützt von Marcus. In ihren Texten geht es um Frauen, Schwarz sein, und immer wieder Identität. Marcus hat in den USA und Canada als Bodybuilder Karriere gemacht. Nach einer Krankheit trainiert er nun wieder. Im November will er sich in London zum "Mister Universe" küren lassen. "Sie haben mich gefragt, für welches Land ich antreten will – ob ich die USA, Kanada oder Ghana repräsentieren möchte. Ich bin dabei, meine ghanaische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Deshalb ist das eine gute Sache für mich, Ghana zu vertreten."

Die Sklavenburg Almina. Zurückkehren an die Orte des Grauens, um einen neuen Anfang machen zu können. Das letzte Tor, die letzten Meter auf afrikanischen Boden – vor dem Abtransport übers Meer. "Aus dem Tor ohne Wiederkehr ist nun das Tor der Rückkehr geworden", sagt der Touristenführer.

Für Afiya Khalia und Marcus Taylor ist es eine Rückkehr. Denn eine Heimat sind die USA schon lange nicht mehr: "Nichts hat sich da geändert. Deshalb müssen wir selbst etwas ändern. Wir können nicht erwarten, dass andere etwas ändern, wenn sie jahrelang nichts getan haben. Die Franzosen haben ein Sprichwort: 'Die Dinge ändern sich, aber sie bleiben gleich.' Also, so kann ich einfach nicht mehr leben", sagt Taylor. Für ihn und seine Freindin geht die Geschichte weiter – in eine neue, afrikanische Zukunft.

Autor: Norbert Hahn, ARD-Studio Nairobi

Stand: 08.09.2019 20:14 Uhr

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