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Indien: Varanasi, die Stadt des glücklichen Todes

PlayEin Mann mit einem Stab und nacktem Oberkörper.
Indien: Varanasi, die Stadt des glücklichen Todes | Bild: NDR

Ich bin auf dem Weg in ein Hospiz in Varanasi, dem sogenannten Mukti Bhawan. Übersetzt heißt das: "Haus der Erlösung". Kalikant Dubey ist hier Priester. Seine Rituale beginnen frühmorgens. Ausnahmsweise darf ich dabei sein, während er heilige Asche auf einen Stein aufträgt. Der Stein, der in diesem Fall einen hinduistischen Gott symbolisiert.

Reporter Oliver Mayer: "Was ist für Sie das Spezielle am Mukti Bhawan?"

Priester Kalikant Dubey: "Wer zu uns kommt, der sucht Erlösung. Unsere Gäste glauben daran, dass sie dem Kreislauf der ewigen Wiedergeburt entkommen, wenn sie in Varanasi sterben. Wir begleiten sie dabei, in dem wir Lieder spielen, ihnen Basilikum und Ganges-Wasser geben."

Mukti Bhawan: 15 Tage Zeit zu sterben

Hier gibt es eine ganz besondere Regel: Menschen, die ins Mukti Bhawan kommen, haben genau 15 Tage Zeit, um zu sterben. Für mich klingt das fast stressig – nach Zeitdruck in den letzten Atemzügen. Für viele gläubige Hindus scheint das keine Rolle zu spielen.

Reporter: "Sind denn manchmal alle zehn Zimmer voll?"

Kalikant Dubey: "Ja klar, manchmal sind alle Zimmer belegt. Im September oder Oktober war das. Da waren wirklich alle Räume voll. Wir haben zwei Betten in einem Raum. Eines für denjenigen, der Erlösung finden will und eines für seine Begleitung. Manchmal kommen natürlich noch mehr Familienangehörige mit. Dann legen wir Matratzen auf dem Boden aus."

Leichenverbrennung am Ganges

Ein Mann mit einem Stab und nacktem Oberkörper.
Die hinduistische Religion spielt im indischen Alltag eine zentrale Rolle. | Bild: NDR

Auf mich wirkt der Ort eher steril, außer den beiden Holzpritschen ist er quasi komplett leer. Trotzdem wollen viele Menschen genau hier sterben. Worin aber liegt die Faszination dieser Stadt? Warum ist der Ort vielen Millionen Hindus so wichtig? Fragen, die mich zum Ganges führen. Der längste Fluss Indiens gilt gleichzeitig als der heiligste. Dem Glauben nach kann ein Bad im Ganges helfen, alle Sünden loszuwerden. Für viele gilt es als besonders erstrebenswert, nach dem Tod hier am Ufer verbrannt zu werden. An einem Ort, der mich im ersten Moment überfordert. Reporter: "In jedem Haufen liegt eine Leiche, die gerade verbrennt. Ich trage dieses Tuch weil der Geruch – dieser Leichengeruch – mir in die Nase steigt. Ich kann es nicht beschreiben. Es ist surreal hier."

 Für ihn gehört all das zum Alltag: Pachkosi Chaudhary verbrennt die Leichen – es ist sein Beruf.

 Reporter: "Wie und wann haben Sie mit diesem Job angefangen?"

Pachkosi Chaudhary: "Ich bin jetzt 33 Jahre alt. Zum ersten Mal war ich hier mit 13, da habe ich vielleicht vier bis fünf Leichen pro Jahr verbrannt. Später wurden es dann immer mehr. Ich habe die Toten im Ganges gewaschen - damals sah es hier noch ganz anders aus. Im Grunde arbeite ich so gut wie immer. Wenn ich es nicht mache: wer soll es sonst tun? Wir kümmern uns hier um alles, sonst tut es ja niemand."

 Reporter: “Das ist hart, oder?"

 Pachkosi Chaudhary nickt. Er gehört zur Kaste der Doms – eine Kaste, die zu den untersten in der indischen Gesellschaft zählt. Etwa 2,50 Euro verdient er pro Feuer. Gut drei Stunden dauert es, bis ein Leichnam verbrannt ist. "Für uns ist das hier alles Routine. Eine Gewohnheit. Aber wir behandeln die toten Körper weiter wie Menschen und sprechen sogar mit ihnen", sagt Pachkosi Chaudhary. Die Toten, erklärt mir Pachkosi, sollen hier schließlich in Würde bestattet werden.

"Wer in Varanasi stirbt, kann sich glücklich schätzen."

Im Mukti Bhawan ist inzwischen eine Familie angekommen, die sich um einen sterbenden Angehörigen kümmert. Die Atmosphäre ist ganz anders als ich sie mir vorgestellt habe. In der Nähe des kranken Mannes spielen die Kinder. Ich frage Kalikant Dubey, den Priester im Haus, ob vielleicht genau dieser Gegensatz das Leben ausmacht. "Ja, so ist das Leben. Hier kommen Menschen hin, bei denen die Ärzte gesagt haben, dass sie nichts mehr für sie tun können. Ihr letzter Wunsch ist es, zu Gott zu kommen. Wer hier in Varanasi stirbt, der kann sich glücklich schätzen."

Am Abend singt die Familie fast zwei Stunden lang gemeinsam — sie preisen dabei verschiedene Hindu-Götter. Je mehr Zeit vergeht, desto besser verstehe ich, warum Menschen genau hier sterben wollen. Denn statt Angst vor dem Tod spüre ich vor allem Liebe und Dankbarkeit für das gemeinsam Erlebte.

Autor: Oliver Mayer, ARD-Studio Neu Delhi

Stand: 25.02.2024 20:39 Uhr

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