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Thailand: Boxen, um zu überleben

Thailand: Boxen, um zu überleben | Bild: NDR

Gleich muss sie in den Ring. Auf diesen Kampf hat sich Phuong wochenlang vorbereitet. So wie die anderen Kinder beim Muay Thai-Turnier unter freiem Himmel. Mädchen müssen in Thailand unter dem Seil in den Ring. Phoung ist 11 Jahre alt, kämpft heute gegen eine 13-Jährige. Die ist größer und erfahrener, dennoch in der gleichen Gewichtsklasse.

Hartes Training für den Traum eines besseren Lebens

Phuong Natnicha Polar wohnt mit ihren Geschwistern in einem Dorf im Norden Thailands. Bei der Oma. Ihre Eltern sind weggezogen, nach Bangkok, auf der Suche nach Jobs. Phoung will es mal besser haben. Auch darum investiert sie so viel in den Sport: "Mein Traum ist es, mit Muay Thai mal so viel Geld zu verdienen, dass ich ein neues Haus kaufen kann. Wir haben eine Menge Löcher im Dach und manchmal regnet es rein. Darum will ich erfolgreich sein, damit ich meine Oma unterstützen kann." Diese arbeitet von früh morgens bis spät abends in einer Nudelfabrik in der Nähe. Für umgerechnet 15 Euro pro Tag. Wenn die Enkelkinder von ihren Kämpfen ab und zu mal ein Preisgeld mitbringen, hat die ganze Familie etwas davon. "Ohne Muay Thai wäre es schwierig. Von meinem Einkommen alleine kommen wir nicht über die Runden. Darum hilft das tatsächlich sehr. Die können sich dann etwas dazu verdienen", sagt Kemphorn Polar.

In der Region Isan gibt es außer Landwirtschaft nur wenig. Selbst Reisanbau ist wegen der Trockenheit unattraktiv. Kaum Chancen und Perspektiven für die junge Generation. Es sei denn, sie werden erfolgreiche Muay Thai-Kämpfer. Hier in der Gegend entstand der Nationalsport vor rund 600 Jahren. Und noch heute kommen die erfolgreichsten Kämpfer aus Isan. Für Phuong und die anderen ein vielversprechender Traum.

Tägliches Training im lokalen Boxcamp: Gesetzlich sind Muay Thai-Kämpfe erst ab 10 Jahren erlaubt. Doch wer erfolgreich werden will, muss schon früher Erfahrung sammeln. Das wissen alle hier. Letzte Tipps vom Trainer für den Kampf am Abend. Coach Pichet Chinnehanha hat schon viele erfolgreich aufsteigen sehen. Aber noch mehr, die es nicht geschafft haben: "Das ist ein harter Weg. Man braucht locker 4 bis 5 Jahre hartes Training, um erfolgreich zu sein und sich langsam hochzuarbeiten. Die Kleinen wiegen nur 20 Kilo, dann 30, oder 40 wie Fon. Sie müssen sich erst im Distrikt, später in der Provinz durchsetzen. Irgendwann vielleicht auf nationaler Ebene. Das schafft nicht jede, dazu braucht man Fleiß und Durchhaltevermögen."

 Kämpfen ohne Kopfschutz

Zwei Mädchen in Boxhandschuhen stehen sich im Ring gegenüber.
Kämpfen für den Traum eines besseren Lebens. | Bild: NDR

Phuong ist trotzdem zuversichtlich, dass sie es schaffen kann. Auch beim Duell auf dem Dorfplatz in ein paar Stunden: "Ich glaube schon, dass ich heute Abend gewinnen werde." Doch beim Kampf geht es härter und heftiger zur Sache als gedacht, das spürt Phuong, mit den roten Handschuhen, schon in den ersten Sekunden. Dazu die brutale Lautstärke. Die Mädchen prügeln aufeinander ein. Währenddessen wickeln Zuschauer ihre Wettgeschäfte ab. Auch das hat Tradition in Thailand. Denn Wetten sind eine weitere, verlockende Methode, schnelles Geld zu machen. Und es spült mehr Geld in den Muay Thai-Zirkus mit Kindern.

Sie kämpfen immer noch traditionell ohne Kopfschutz. Obwohl Videos in sozialen Medien belegen, wie fatal das enden kann. 2018 knallt ein 13-Jähriger nach heftigen Treffern auf den Ringboden – und steht nie wieder auf. Nach Anucha Tasakos Tod diskutierte Thailand kurz über Regelverschärfungen. Doch die Vorschläge verhallten schnell. Neurologin Jiraporn Laothamatas vom HRH Princess Chulabhorn College of Medical Science in Bangkok hat anschließend in einer Studie die Gehirne junger, boxender Kinder untersucht. Sie hat Entwicklungsstörungen und Lernprobleme erkannt. Normalerweise haben Kinder in Thailand einen Intelligenzquotienten von 90 bis 110. "Schon bei Kindern, die nur zwei Jahre boxen, geht der IQ runter auf 88 und 86. Und wenn das alles in einem Alter unter 19 Jahren passiert, dann verlieren sie die Fähigkeit, vielleicht mal zu studieren oder einen höheren Bildungsweg einzuschlagen." Doch Funktionäre und erfolgreiche Boxer halten nicht so viel von Veränderungen im Muay Thai-Regelwerk.

Keine Veränderungen der Muay Thai-Regeln

Besuch im Boxstall von Jeeradecj Ken-In, Präsiden Muay Thai Boxing Association Khon Kaen. Stolz zeigt er uns seine Titel und Trophäen. Mit dem Preisgeld aus Profikämpfen hat er sich ein Leben in der Provinzhauptstadt aufgebaut. Mit einem höheren Einstiegsalter oder verpflichtender Schutzausrüstung wäre er nicht so weit gekommen, meint er: "Das echte Muay Thai-Boxen sollte ohne Kopfschutz gekämpft werden. Dann hat man als Sportler langfristig bessere Sieg-Chancen. Weil man härter wird. Wenn es nämlich irgendwann ernst wird und man in den Ring steigt, ist es ein Vorteil, wenn man das Kämpfen ohne Schutzausrüstung schon aus dem Training kennt. Diese Boxer sind dann einfach abgehärtet."

Auf dem Dorfplatz in Isan muss Phuong schon in der ersten Runde an ihre Grenzen gehen. Dann plötzlich: ein Schlag aufs Auge. Phong kann nichts mehr sehen. Technischer Knockout nach 43 Sekunden. Nur 15 Euro Prämie, statt 22 für einen Sieg. Sanitäter statt Siegerkranz. Ein paar Minuten später geht ihr schon wieder besser. Doch an dieser Niederlage hat sie zu knapsen. "Ich hab einfach einen blöden Fehler gemacht, ich hab nicht aufgepasst. Ich werde jetzt noch härter trainieren." Für sie ein Rückschlag auf ihrem Weg in eine bessere Zukunft. Am Montag ist erstmal wieder Schule. Und vielleicht schon in zwei Wochen die nächste Chance im Ring.

 Autor: Florian Bahrdt, ARD-Studio Singapur

Stand: 20.07.2025 22:43 Uhr

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