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Kenia: Afrikas neue Mittelklasse

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Kenia: Afrikas neue Mittelklasse | Bild: BR
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Boom-Town Nairobi: Die Immobilienpreise haben sich in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt - genauso wie die Zahl der Autos. Die neue Mittelklasse macht's möglich: gut ausgebildet und hoch motiviert, treibt sie die Wirtschaft voran.

Die Menschen in den Slums bleiben außen vor. Fast die Hälfte der drei Millionen Einwohner von Nairobi lebt in Wellblechhütten. Schon die Fahrt im Vorortzug ist für sie ein Luxus.

Richard Kimani lässt sich zur Arbeit chauffieren. Ein Unternehmer und typischer Vertreter der neuen Mittelklasse.

Richard Kimani, Unternehmer:
"Wir sind die Vorbilder und helfen mit, die Armut in Kenia auszumerzen. Arme Menschen sind ja nicht arm, weil sie das wollen. Sie sind arm, weil sie einfach keine Chance bekommen."

Kimanis Chance war die Idee, Mineralwasser unter dem Namen "Mount Kenyan" zu vermarkten. Dass das Wasser eigentlich aus einem Bohrloch am Rande von Nairobi kommt, weiß kaum einer.

Ein enger Kontakt mit den Bauern

Täglich inspiziert er seine Fabrik mit 225 Angestellten . Den größten Umsatz macht er mittlerweile mit Fruchtsäften. Ein lukratives Geschäft: Die junge städtische Mittelschicht in Kenia hat Geld und legt Wert auf gesunde Ernährung. Dazu kommen Exporte in die afrikanischen Nachbarländer. Nur mit Europa tat er sich bislang schwer.

Richard Kimani, Unternehmer:
"Wir verkaufen bis in den Nahen Osten und nach Südafrika. Nirgendwo haben wir Qualitätsprobleme. Was uns zu schaffen macht, ist die nötige Zertifizierung in Europa."

Das Problem dürfte sich bald erledigen. Mit einem Millionenkredit der Deutschen Investitions- und Entwicklungsbank hat er in Bayern eine neue Abfüllanlage bestellt. Dann wird er Saftkonzentrate auch nach Deutschland liefern.

Um sich den Nachschub an Früchten zu sichern, hat Kimani 360 kenianische Bauern unter Vertrag. Früher ist ein Großteil der Mangoernte verrottet. Heute haben die Bauern in dem Saftfabrikanten einen festen Abnehmer.
Dass es bei der Ernte in Strömen gießt, stört den Unternehmer nicht. Im Gegenteil: Durch den Regen wird der Saftgehalt höher. Und das heißt auch für die Bauern: bessere Preise.

Selbstbewusste Aufsteiger

Richard Kimani:
"Sie haben von uns gelernt, wie man den Ertrag steigert. Früher war das hier Brachland und jetzt wachsen Mangos und andere Früchte auf dieser Farm."

Sein Vater war Landwirt. Als er starb, verkaufte Kimani die Äcker und bekam so das Startkapital für sein Unternehmen. Den Wagen seines Vaters hat er behalten: ein britischer Vauxhaull aus dem Jahr 1938.

Eigentlich wollte er den Wagen restaurieren. Aber bislang fand er nie die Zeit für das Prachtstück aus Metall.

Kimani gehört nicht zur alten Oberschicht Kenias. Er ist ein Aufsteiger, der es zu Wohlstand gebracht hat. Mit seinem jüngsten Sohn genießt er am Sonntag ein paar ruhige Stunden am Pool. Sein einziger freier Tag in der Woche.

Die Vertreter der neuen Mittelklasse sind selbstbewusst und sie denken über den Tag hinaus. Gefragt sind Geschäftsideen mit Zukunft.

Biogas für Kenia

Im achten Stock eines Hochhauses im Zentrum von Nairobi hat Martha Kagiri ihr kleines Büro. Nach der Schule hat sie in Kenia zunächst Landwirtschaft studiert, danach in Schweden Umwelttechnologie. So lernte sie Biogasanlagen kennen, die sie heute in ihrer Heimat nachbaut.

Martha Kagiri:
"Es gibt viele Gegenden in meinem Land, wo die Menschen keinen Strom haben und zum Kochen Feuerholz sammeln müssen. Es fehlt Energie. Und deshalb ist Biogas so nützlich in diesem Land."

Die Gaskocher bezieht sie aus China, nicht weil sie am besten, sondern am billigsten sind. Ihre Kunden sind vor allem mittelständische Farmer. Gülle und Mist zum Vergären gibt es umsonst. Eine komplette Anlage kostet ab 750 Euro aufwärts.

Hat sich Kenia gebessert?

Auf der Baustelle ist Martha Kagiri verändert: geflochtene Haare, Arbeitsklamotten und ein strenger Befehlston. Dass eine Frau das Kommando hat, daran können sich Kenias Männer nur schwer gewöhnen. Aber sie ist der Boss.

Probleme gibt es genug. Mal sind die Auftraggeber mit ihren Zahlungen in Verzug, mal muss nach einem Regen die Mauer des Rückhaltebeckens verstärkt werden. Mit den Behörden kommt sie anscheinend klar.

Martha Kagiri:
"Heutzutage muss man niemanden mehr bestechen. Früher war das anders. Aber mit der jetzigen Regierung ist es für uns leichter geworden, Geschäfte zu machen."

In diesem Farmhaus ist Martha Kagiri aufgewachsen. Ihre Mutter lebt bis heute hier.

Natürlich gibt es im Haus Biogas. Vor sechs Jahren hat Martha auf dem elterlichen Hof ihre erste Anlage gebaut. Und die liefert genügend Energie für Kochen und Licht.
Vor 20 Jahren gab es auf dem Hof weder Gas noch Strom. Aus dem Wald mussten sie Brennholz heranschleppen. Das ging – so erinnern sich Mutter und Tochter – gewaltig auf die Knochen.

Martha war die zweitjüngste unter fünf Geschwistern. Und schon damals irgendwie anders.

Erfolgreich mit dem eigenen Weg

Tabitha Kagiri, Marthas Mutter:
"Sie hatte immer ihren eigenen Willen. Sie war klein, kräftig und spielte am liebsten mit den Jungs. Machte Dinge, die Mädchen sonst nie machen."

In Nairobi ist Martha Kagiri wieder die adrette Geschäftsfrau. Allein lebend, ohne Mann und Kinder - mit einer Schwäche für Tattoos. Ungewöhnlich für eine afrikanische Frau. Doch für die Vertreter der neuen Mittelklasse ist heute möglich, was früher undenkbar war.

Martha braucht auf ihrem Arm eine Auffrischung: zwei Fäuste, die die Ketten sprengen. Ein Symbol für ihre Unabhängigkeit.

Martha Kagiri:
"Es gibt nicht viele Frauen, die sich tätowieren lassen. Bei den Jüngeren ist das anders. Sie scheren sich nicht darum, was andere über sie denken."

Die Vertreter der Mittelschicht gehen ihren eigenen Weg, unbeeindruckt von Tradition und alten Machteliten. Von der Politik halten sie sich in der Regel fern. Zu viel Geklüngel, zu wenig Offenheit. Der Mittelschicht gehört die Zukunft. Und das könnte Afrika nachhaltig verändern.

Autor: Peter Schreiber / ARD Nairobi

Stand: 22.04.2014 14:54 Uhr

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