So., 06.08.23 | 18:30 Uhr
Das Erste
Brasilien: Land der Influencer:innen
Wenn Werbefirmen ihr Budget nicht mehr für Plakat- oder Fernsehwerbung ausgegeben, dann wird klar, dass die kaufkräftigen Kund:innen dort nicht mehr erreicht werden. In Brasilien ist das so. Werbung funktioniert am besten über Influencer:innen, jener Gruppe von Menschen, die sich selbst im Netz in Szene setzen und dort für sich, ihr Anliegen oder eben für Produkte werben. In Brasilien sind sie so einflussreich, wie kaum irgendwo in der Welt. Denn auch wenn es viele arme Menschen im Land gibt, ein Handy hat jeder und ist damit auch erreichbar für die Influencer:innen.
Soziale Influencer wollen die Realität zeigen
"Diese riesige Seilbahn funktioniert einfach nicht, da sieht man, wie unser Geld rausgeworfen wird." Das Smartphone hat René Silva immer zur Hand. Denn überall gibt es Themen, die er seinen Followern zeigen möchte. Warum funktioniert – seit Jahren schon – die Seilbahn nicht mehr, die sich über die Favela in Rio des Janeiro spannt? René ist sozialer Influencer. "Ich will ein Influencer sein, der die Realität dort zeigt, wo ich lebe. Damit Menschen, die diesen Ort nicht kennen, meine Sicht auf die Welt sehen."
Über 300.000 Follower allein auf Twitter. René ist in ganz Brasilien bekannt und er macht den Behörden Druck, dass sie sich um die Menschen in den Favelas kümmern, die oft arm sind. Auf die herabgeschaut wird. Die Besseres verdient haben."Wenn es um die Favela geht, dann geht es immer nur um Drogenhändler, um Tod, viele Drogen. Das erzählt das Fernsehen. Die Massenmedien. Das ist nicht unsere Realität."
Mehr Influencer als Ärzte
Direkte Kommunikation mit den eigenen Leuten und darüber hinaus. Im ganzen Land greifen Influencer zum Smartphone, um über ihre Realität zu berichten. Es gibt bereits Influencer-Schulen, die zeigen, was es braucht, um erfolgreich zu sein. Da steckt Geld drin. Viel Geld! Die Marketing-Agentur Mynd in Sao Paolo, setzt längst auf die Macht der Influencer – über 400 stehen hier unter Vertrag. "In Brasilien gibt es mehr Influencer als Ärzte", sagt Carlos Scappini. "Brasilianer lieben soziale Netzwerke, weil wir lieben zu kommunizieren. Früher haben wir unsere Idole im Fernsehen gesehen, im Kino. Heute können wir mit ihnen ständig in Kontakt sein."
Über Influencer können Unternehmen jede gewünschte Zielgruppe erreichen. Jedes Jahr wachse der Markt um 50%, sagt Carlos Scappini. Ein Millionen-Geschäft. Das Business boomt. "Alle brasilianischen Unternehmen setzen Influencer für ihre Werbe-Kampagnen ein. Weil so kannst du eine große Vielfalt von Menschen sehr spezifisch und direkt ansprechen." Arm, reich, schwarz, trans- und homosexuell. Je vielfältiger die Influencer desto besser. Werbung von Weißen für Weiße funktioniert in Brasilien nicht mehr. Influencer ist in Brasilien ein Top-Job. Biologie-Lehrerin Jessi hätte nicht gedacht, dass sie eines Tages ein Super-Star mit 1,6 Millionen Followern sein würde. Sie filmt nicht einfach darauf los. Sie plant ihre Inhalte, weiß genau, wer ihr Publikum ist, und muss vor allem authentisch bleiben. "Alles was du postest, muss du dir zweimal überlegen. Nicht, dass man ein negatives Echo erzeugt. Deine Fans mögen dich, aber wenn sie denken, dass du in die falsche Richtung gehst, sind sie di ersten, die dich kritisieren." Jessi ist als Influencerin erfolgreich, wenn ihre Fans mit ihr kommunizieren. Dafür muss sie Input aus ihrem Alltag geben. "Wenn es gerade einen Trend bei Instagram gibt, wollen meine Follower sehen, dass ich das aufgreife. Die Leute wollen Dich begleiten, sie wollen wissen, was du tust. Was du isst, was anhast, alles."
Influencer haben Einfluss auf Wahlentscheidungen
Zurück nach Rio de Janeiro zum Social-Influencer René. Sein nächster Post geht online. Wer holt diesen Müll ab? Was René postet, ist oft politisch. Und das hat ihm schon große Probleme eingebrockt. Influencer bestimmen in Brasilien maßgeblich Wahlentscheidungen. René hatte deshalb den linken Präsidentschaftskandidaten Lula da Silva in seine Favela eingeladen. Der politische Gegner schießt sich auf ihn ein. René wird als Drogendealer diffamiert. In kaum einem anderen Land, gibt es derart aggressive Fake-News Kampagnen: "Als die Falschmeldungen losgingen und sich rasend schnell verbreiteten, konnte ich nicht schlafen, ich war verzweifelt."
Der Influencer will seine Macht für Gutes einsetzen. Mit seinem Post hat er zum Beispiel dafür gesorgt, dass eine dunkle, dreckige Ecke im Viertel mit Spenden zu einem Bolzplatz umgebaut wurde. "Es ist eine große Verantwortung, die wir Influencer tragen, aber es macht mich auch stolz, weil ich ein soziales Problem zeige und es wird gelöst." Wo er geht und steht, wird der Influencer angesprochen. Nachbarn fragen, ob er bei ihren Problemen nicht mit seinem "guten Einfluss" helfen kann.
Autorin: Xenia Böttcher, ARD-Studio Rio de Janeiro
Stand: 06.08.2023 22:39 Uhr
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