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Kolumbien: Todesroute Darién-Dschungel

PlayMenschen durchqueren Dschungel
Kolumbien: Todesroute Darién-Dschungel | Bild: SWR

Der Venezolaner Luis Hernandez will mit seiner Familie den Darién-Dschungel durchqueren, Ziel USA. Sein jüngstes Kind ist erst fünf Jahre alt. Der Darién zwischen Kolumbien und Panama gilt als eine der gefährlichsten Fluchtrouten der Welt. Er ist die einzige Landverbindung auf dem Weg von Südamerika in die USA. Erstmals hat ein ARD-Team Migranten über steile, schlammige Bergpfade und durch Flüsse bis zur Grenze nach Panama begleiten können. Einheimische machen aus der Not ein Geschäft, kassieren bei den Migranten ab. Auch das organisierte Verbrechen verdient mit.

100 Kilometer durch den Dschungel

Was wirkt wie ein verrückter Marathon, ist eine Reise unter Lebensgefahr. Hunderte Migranten brechen in den Darién-Dschungel auf. Der einzige Landweg zwischen Kolumbien und Panama, 100 Kilometer unwegsames Gelände. Hier lauern Kriminelle, Krankheiten, wilde Tiere. Aber: Der Traum von den USA treibt sie an. Das Basis-Lager in Nord-Kolumbien. Luis Hernandez quetscht sich heute mit sieben Familien-Mitgliedern in zwei Zelte. Die Venezolaner haben nur etwas Geld dabei, und das, was sie am Körper tragen. "Wir haben einen langen Weg vor uns, aber ich will, dass es meine Kinder mal besser haben."

Flüchtlinge im Basislager vor Holzhütte
Im Basislager wollen viele mitverdienen  | Bild: SWR

Die Migration ist hier ein Millionen-Geschäft. Unternehmer, Lokal-Politiker verdienen mit – und der Golf-Clan, ein Drogenkartell, das die Region kontrolliert. Durch den Darién müssen alle, und alle müssen zahlen. 350 Dollar pro Kopf – dafür gibt es ein Armband wie im All-Inclusive-Hotel. Es garantiert Sicherheit bis Panama und einen "Guide" – wie sie sich selbst nennen. "Immerhin hast du jemand, der dich führt", sagt Alejandra. "Besser zahlen, als allein gehen."

Kolumbiens Staat ist abwesend. Hier hat das Kartell das Sagen und ein Heer von Händlern. Das Basislager war vor zwei Jahren ein schlammiger Weg. Jetzt gibt es Internet, Restaurants, Ablenkung. Träger mit nummerierten Shirts lungern herum. Jeder will mitverdienen. Handy-Aufladen: ein Dollar. Zehn Dollar ein Essen. Luis und seine Frau Nanyelis sparen das lieber. "Klar, wir müssen improvisieren." Als Mechaniker schlug sich Luis ein paar Jahre in Kolumbien durch. Aber es reichte nicht für die Familie. Also ziehen sie weiter. "Wir haben Angst, dass was passiert, wegen der Kinder", sagt Nanyelis. Nanyelis hofft, dass die Kinder von der Gefahr nichts mitbekommen. Dass es für sie eher ein Abenteuer wird.

Unterwegs kassieren die "Helfer" ab

Sechs Uhr am Morgen. Die Guides lassen keinen allein auf die Strecke. Nach zehn Minuten sind die Füße nass. Wir dürfen mitlaufen, bis zur Grenze von Panama. Die Schleuser wollen uns zeigen, dass die Migranten in Kolumbien sicher sind. Die meisten kommen aus Venezuela, erzählen ähnliche Geschichten: von Not und Hoffnung. "Wir wollen in die USA, für eine bessere Zukunft", sagt Marley. Wie Luis besitzen hier viele keinen Pass, sie müssen diese Route nehmen. Es wird schnell heißer, schwül, über 30 Grad. "Wir haben einen Haufen Steine in den Schuhen – und die Sohle ist jetzt schon hin."

Menschen durchqueren Bach
Der Weg durch den Darién ist mühsam  | Bild: SWR

Wie aus dem Nichts tauchen immer wieder Rastplätze auf. Je tiefer es in den Wald hineingeht, umso teurer wird es. Händler bieten alles Mögliche an, aber alles kostet. "Hey, ich will deiner Freundin den Rucksack tragen." 60 bis 100 Dollar fordern die Träger, die Rucksäcke oder auch Kleinkinder schleppen. "Manche sagen, wir seien Schleuser. Aber wir machen ja nichts Schlechtes, wir helfen."

Eigentlich wollte Kolumbiens Regierung die Fluchtroute besser kontrollieren. Aber es kommen immer mehr Menschen. 800.000 werden es wohl dieses Jahr. Wer kann, wirft Überflüssiges ab. Und wer Hilfe braucht, muss auf die Guides hoffen. Nach fünf Stunden schmerzt Nanyelis ganzer Körper. Aber zum Umkehren ist es zu spät. "Mein Bein tut mir extrem weh", klagt Nanyelis, "aber ich habe eine Tablette genommen." "Leute, wie ist die Stimmung?" fragt einer. "Gut!" … "Das ist nur ein Spaziergang."

In Panama warten die Kriminellen

Nach acht Stunden das erste Nachtlager, drei Nächte im Dschungel werden noch folgen. Hitze, Nässe und Sorgen zehren an den Kräften. Immerhin gibt es ein Dach, der Boden ist schmutzig von hunderttausenden Migranten, aber trocken. "Ich hab mir den Zeh mit einem Stock aufgeschlitzt." … "Ich hatte einen Krampf" … "Meine Müdigkeit sitzt in der Hüfte, ich kann die Beine nicht heben." Der Proviant wird knapp. Die Stimmung sinkt auf einen Tiefpunkt. "Wir machen das aus der Not", sagt Nanyelis. "Da hat doch keiner Lust drauf." Morgen werden sie Panama erreichen. Dort soll es noch gefährlicher werden. Statt Trägern warten dort Kriminelle, die den geschwächten Menschen ihre letzten Habseligkeiten rauben. Andere Migranten haben von Toten am Wegesrand erzählt. "Es soll schlimm sein, mit Klippen und einer Steinwüste. Ich hatte Albträume davon." Um vier Uhr wecken uns die Einheimischen unsanft. "Ich nehm' Schmerzmittel", sagt Nanyelis. Hier verlassen wir die Familie, so ist es ausgemacht. In einem Auffanglager, auf der anderen Seite des Darién, werden wir auf sie warten.

Flüchtlings-Familie
Noch lange nicht am eigentlichen Ziel angekommen | Bild: SWR

Panama. Für die letzte Etappe müssen die Migranten Boote nehmen. Die Grenzpolizei registriert sie im Lager Lajas Blancas – und winkt sie durch. Tausende kommen derzeit an: dehydriert, viele verletzt. Auf Luis und Nanyelis warten wir zwei Tage vergeblich – aber wir treffen Diannys Franco, die es durch den Darién geschafft hat. "Kriminelle haben uns bedroht, ausgeraubt und angegrabscht. Es war schrecklich.” Laut Hilfsorganisationen häufen sich sexuelle Übergriffe, auch auf Kinder. "Ärzte ohne Grenzen" forderten Panamas Behörden auf, gegen die Kriminellen vorzugehen. Doch die Grenzpolizei überlässt die Migranten im Wald sich selbst.

"Das ist ja hier keine Stadt, sondern ein Dschungel", meint Edgar Pitti, Kommandant der Grenzpolizei. "Das ist kompliziert. Ich müsste Teams aufstellen, mit 10 oder 15 Personen." Wir warten noch einen Tag. Dann endlich. Nach drei Tagen: Luis und die Familie – abgekämpft und froh aus dem Darién raus zu sein. "Es war echt schrecklich. Mir haben Kriminelle mein Telefon und 10 Dollar geklaut – und meiner Frau den Rucksack." Und Nanyelis meint: "Es ist unvorstellbar, wir haben sehr gelitten." Der Dschungel liegt endlich hinter ihnen. Aber bis in die USA sind es noch tausende Kilometer. Der Bus bis Costa Rica kostet wieder Geld, 60 Dollar pro Kopf. Ihr letztes Erspartes. Wie es dann weitergeht, wissen sie nicht.

Autorin: Marie-Kristin Boese, ARD-Studio Mexiko

Der Weltspiegel Podcast "Die Todesroute – Quer durch den Darién-Dschungel" mit Marie-Kristin Boese (ARD-Studio Mexiko) und Judith Kohlenberger, Migrationsforscherin an der Uni Wien. Host: Joana Jäschke, Redaktion: Steffi Fetz. In der ARD Audiothek und überall, wo es Podcasts gibt.

Stand: 14.04.2024 20:57 Uhr

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